Der Bundespräsidentschaftswahlkampf dürfte laut Experten der spannendste in der Zweiten Republik werden. Erstmals gebe es fünf Kandidaten, denen man den Sprung in die Stichwahl zutraue, sind sich die Meinungsforscher einig. Außerdem wird mit der Flüchtlingskrise stärker als sonst ein tagespolitisches Thema eine Rolle spielen. Auch Auswirkungen auf den Bund sind zu erwarten.
Der erste Wahlgang dürfte nach Ansicht der Experten ein extrem knappes Rennen werden. "Es gibt keinen erklärten Favoriten", sagt etwa Meinungsforscher Peter Hajek (public opinion strategies). Gleicher Ansicht sind Wolfgang Bachmayer (OGM) und der Politik-Berater Thomas Hofer. Bachmayer rechnet damit, dass sich die Stimmen im ersten Wahlgang recht gleichmäßig verteilen - in einem Spektrum von 16 bis 24 Prozent pro Kandidat.
"Erstmals nicht klar, wer in Stichwahl kommt"
Möglicherweise könnten nur wenige Zehntelprozentpunkte den Ausschlag zwischen Platz zwei und drei geben - und damit über den Sprung in die Stichwahl entscheiden, so Bachmayer. "Ich glaube, dass es ziemlich eng zugehen wird", so der OGM-Chef. Auch Hofer sprach von einer "potenziell historischen Wahl": "Es ist erstmals in der Geschichte nicht klar, wer in die Stichwahl kommt."
Hajek geht zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass der offiziell als unabhängig antretende Ex-Grünen-Chef Alexander Van der Bellen die besten Chancen hat, in die Stichwahl zu kommen - "auch deshalb, weil er mit seiner kritischen Haltung gegenüber der FPÖ eine klare Haltung und Unterscheidbarkeit zu den anderen Kandidaten aufweisen kann". Damit könne Van der Bellen auch kritische Wähler aus dem linken Lager der SPÖ ansprechen. Dennoch sei Van der Bellens Sprung in die Stichwahl keineswegs gesichert: "Ich würde nie sagen, er ist gesetzt."
Politikverdrossenheit erhöht Chancen von Griss
Als "Außenseiterkandidatin mit guten Chancen" bezeichnete Hajek die unabhängig antretende Ex-OGH-Richterin Irmgard Griss. "Sie hält sich derzeit sehr gut." Grund dafür sei vor allem ihr Alleinstellungsmerkmal: "Sie kommt von außerhalb des Systems. Da gibt es viele Wähler, die sagen, der geben wir eine Chance", so Hajek. Das Potenzial für solche Kandidaten werde immer größer, weil die Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik immer mehr steige. Es könne daher erstmalig passieren, dass in der Stichwahl keiner der beiden von den Regierungsparteien nominierten Kandidaten vertreten ist. Bachmayer sieht das ähnlich: Griss sei die "einzig wirklich unabhängige" Kandidatin.
Der von der FPÖ erst am Donnerstag ins Rennen geschickte Norbert Hofer sei vor allem aufgrund seines verbindlichen Auftretens ein durchaus geeigneter Präsidentschaftskandidat, sagt Hajek. Sein Nachteil sei seine geringe Bekanntheit. Eine weitere Schwierigkeit der FPÖ sei es, dass deren Wähler schwer zu mobilisieren seien, da viele FPÖ-Anhänger das Amt des Bundespräsidenten für "abschaffungswürdig" halten, so Hofer. Die FPÖ könne aber darauf setzen, dass es im April aufgrund steigender Flüchtlingszahlen zu einer Zuspitzung bei diesem Thema kommen könnte. Hier könnte die Partei eine "Anti-Rot-Schwarz-Geschichte" aufziehen. Denkbar sei auch, dass Hofer sein Engagement im sozialen Bereich hervorkehrt und so vor allem SPÖ-Kandidat und Ex-Sozialminister Rudolf Hundstorfer angreift, meint Hajek.
Das Antreten der FPÖ habe die Ausgangslage "grundsätzlich verändert", sagt Hajek. Ohne die Blauen hätten ÖVP-Kandidat Andreas Khol und Griss "mehr vom Kuchen" gehabt. Nun gebe es drei Kandidaten rechts und zwei links der Mitte. Griss allerdings strahle ins linke Lager hinein - "ganz im Gegensatz zu Khol und Hofer". Sie stehe allerdings auch in Konkurrenz zu Van der Bellen - die beiden würden einander gegenseitig Stimmen wegnehmen, so Hajeks Einschätzung.
Mit Schmutzkübeln ins höchste Amt?
Grundsätzlich hingen die Chancen der Kandidaten sehr vom Verlauf des Wahlkampfes ab, sind sich die Experten einig. Die Konkurrenz werde versuchen, die jeweils anderen Kandidaten in ihrer Reputation zu erschüttern. So wurden seitens der SPÖ bereits Überlegungen Hofers über eine Aufweichung des Verbotsgesetzes thematisiert oder Hundstorfer von der FPÖ vorgeworfen, als Sozialminister versagt zu haben.
Thematisch dürfte vor allem die Flüchtlingskrise eine Rolle spielen. Das sei insofern ein Novum, da tagesaktuelle Themen bei Präsidentschaftswahlkämpfen bisher eher eine untergeordnete Rolle gespielt haben, wie die Experten einhellig sagen. Laut Hajek sind die Positionen hier bereits bezogen - die spannende Frage sei, wie sich das Thema entwickle.
Asyl: "Schmied" FPÖ oder "Schmiedl" ÖVP?
Bachmayer geht davon aus, dass mit einer flüchtlingsfreundlichen Politik nicht allzu viel zu gewinnen ist: Die "Willkommenskultur" sei bereits eine Minderheitsmeinung in der Bevölkerung, so seine Einschätzung. Spannend werde sein, inwieweit Khol mit seiner harten Positionierung Erfolg haben wird. Die Frage sei, ob die Wähler zum Schmied (FPÖ) oder zum Schmiedl (ÖVP) gehen, so Bachmayer.
Starke Auswirkungen wird die Wahl laut Experten auch auf die Bundespolitik haben, vor allem auf SPÖ und ÖVP. Sollte eine der beiden Regierungsparteien mit ihrem Kandidaten im ersten Wahlgang scheitern, bedeute das ein "Krisenszenario" für diese Partei, so Hofer. "Dann muss sich der Parteichef nicht nur die Frage gefallen lassen, ob er den richtigen Kandidaten ausgewählt hat", sondern auch den Vorwurf, dass er selbst und seine Politik es erstmals in der Geschichte verhindert hätten, in die Stichwahl zu kommen. "Das ist ein echtes Horrorszenario." Auch nach Ansicht Bachmayers werde es "ganz große Wellen" schlagen, sollten Hundstorfer und/oder Khol die Stichwahl verpassen.
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