Kontingente bleiben

“Warum bekomme ich so einen Brief von der EU?”

Österreich
19.02.2016 06:15

Aller Kritik seitens der EU zum Trotz hält Innenministerin Johanna Mikl-Leitner an den Tageskontingenten für Flüchtlinge fest. Die Kontingente einzuführen sei für Deutschland rechtskonform gewesen - "und das ist es selbstverständlich auch jetzt für Österreich". In einem "ZiB 2"-Interview am Donnerstagabend fragte sie sich überhaupt: "Warum bekomme ich als österreichische Innenministerin so einen Brief?" Sie sei der völlig falsche Adressat. Auch Bundeskanzler Werner Faymann stellte Freitagfrüh nach den Beratungen beim EU-Gipfel klar: "Die Obergrenze wird nicht ausgesetzt."

Der Brief des EU-Migrationskommissars Dimitris Avramopoulos an Mikl-Leitner gebe laut der Ministerin selbst die Antwort darauf, wo das eigentliche Hauptproblem liege. In dem Schreiben heißt es, dass Österreich mit seinen Beschränkungen für einreisende Flüchtlinge gegen diverse Rechtsgrundlagen verstoße. So seien zum Beispiel Kontingente für den Transit von Asylwerbern nicht zulässig - Schutzbedürftige dürften nicht in das Land ihrer Wahl weiterreisen, sondern müssten "im ersten sicheren Land um Asyl ansuchen und bleiben".

"Österreich ist nicht das erste sichere Land"
Mikl-Leitner dazu: "Es ist bemerkenswert, dass gerade Österreich darauf hingewiesen wird, dass sich Asylwerber nicht aussuchen dürfen, in welchem Land sie ihren Antrag stellen. Es sollte allgemein bekannt sein, dass Österreich nicht an der EU-Außengrenze liegt und daher eben nicht das erste sichere Land für Migranten sein kann. Wenn diese berechtigten Hinweise der Kommission an der EU-Außengrenze vollzogen würden, müsste Österreich keine Maßnahmen setzen." Die Innenministerin verdeutlichte laut Angaben ihres Ressorts den Standpunkt Österreichs auch nochmals in einem Telefonat mit Avramopoulos. Am Donnerstag wurde der Kommission auch noch eine schriftliche Klarstellung übermittelt.

Auch Faymann verteidigt verschärfte Flüchtlingspolitik
Auch Faymann verteidigte am Donnerstag die verschärfte Flüchtlingspolitik Österreichs. Zur EU-Kritik sagte er: "Österreich kann man nach 90.000 Flüchtlingen, die wir im Vorjahr aufgenommen haben, nicht vorwerfen, nicht auf Solidarität zu setzen. Dass wir aufschreien und sagen, jetzt kommen auch die anderen dran, ist nicht nur unser Recht, sondern unsere Pflicht." Österreich sei "mit Sicherheit nicht das Land, das einer europäischen Lösung im Weg steht - im Gegenteil".

Freitagfrüh bekräftigte Faymann in Brüssel, dass Österreich seine tägliche Flüchtlingsobergrenze nicht aussetzen werde. Zuvor war bei den die ganze Nacht andauernden Beratungen beim EU-Gipfel von Österreich gefordert worden, die Durchsetzung der Obergrenze zumindest bis zum nächsten, im März geplanten EU-Gipfel auf Eis zu legen. "Es gibt kein Aussetzen von irgendeinem Beschluss", sagte Faymann nach dem Treffen. Beim Gipfel habe es zwar Kritik, aber auch Verständnis für Österreich gegeben.

"Der Beschluss muss rechtskonform umgesetzt werden"
In Hinblick auf die jährliche Obergrenze sagte Faymann: "Wir nehmen 37.500, das ist der politische Beschluss, und der muss rechtskonform umgesetzt werden. Wir lassen uns von niemandem sagen, 37.500 sei wenig. Wir sind keine Wegdrücker, aber wir machen aufmerksam: Wir können nicht das Asylrecht für ganz Europa tragen."

Auf die Frage, ob Österreich weiter Flüchtlinge durchlasse, sagte Faymann: "Wir werden jetzt die durchlassen, die Deutschland akzeptiert oder Schweden oder ein anderes Land. Wir rechnen ja auch damit, dass Slowenien die durchlässt, die wir akzeptieren." Sollte der juristische Dienst der EU-Kommission dazu Fragen haben, werde Österreich darauf antworten. "Unsere Juristen haben sich das genauso gut überlegt." Die Kommission hält das Vorgehen für unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Genfer Konvention sowie mit Artikel 18 der EU-Grundrechtecharta.

Merkel sieht weiterhin Übereinstimmung mit Faymann
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte Freitagfrüh in Brüssel, sie sehe in der Flüchtlingsfrage weiterhin Übereinstimmung mit Faymann. Der Beschluss in Wien zu einer Obergrenze und zu Tageskontingenten habe zwar "viele überrascht, besonders auf der Balkan-Route", sie habe aber kein Aussetzen der Obergrenze von Österreich gefordert. Merkel bestritt damit Darstellungen von EU-Diplomaten, nach denen sie Österreich darauf dränge, Flüchtlingen, die Deutschland als Ziel haben, die Einreise zu verwehren. Die Beschlüsse der österreichischen Regierung zu Tageskontingenten seien besprochen worden, sagte Merkel.

EU hält an Kooperation mit Türkei fest - Gipfel im März
Die Entscheidung Österreichs zeige die Notwendigkeit einer EU-Lösung gemeinsam mit der Türkei, und "Bundeskanzler Faymann hat deutlich gemacht, dass er diese Schlussfolgerung mitträgt". Beim nächsten EU-Sondergipfel zur Flüchtlingsfrage, der bereits Anfang März stattfinden soll, stehe das Übereinkommen der Union mit der Türkei im Vordergrund. Die Einschränkung der illegalen Migration werde die Bereitschaft zu einem geeinten Handeln zur Verteilung von Flüchtlingen auf weitere EU-Staaten stärken.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagte dazu: "Wir haben bestätigt, dass es keine Alternative zu einer guten, intelligenten und weisen Zusammenarbeit mit der Türkei gibt." Laut EU-Gipfelchef Donald Tusk bleibe der gemeinsame Aktionsplan mit der Türkei, der im vergangenen November vereinbart worden war, "eine Priorität". Der Plan sieht unter anderem vor, dass die EU drei Milliarden Euro zur besseren Versorgung syrischer Kriegsflüchtlinge in der Türkei zur Verfügung stellt. Ein am Rande des Gipfels geplantes Sondertreffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu musste wegen der jüngsten Anschläge in der Türkei abgesagt werden.

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