Das neu gewählte ägyptische Parlament trat wegen des "Massakers" am Donnerstag in Kairo zu einer Krisensitzung zusammen. Der herrschende Militärrat verhängte drei Tage nationale Trauer. FIFA-Präsident Sepp Blatter sprach von einem schwarzen Tag für den Fußball.
Wütende Oppositionspolitiker prangerten einen Mangel an Sicherheitsvorkehrungen im Stadion von Port Said an. Die Militärregierung habe die Kämpfe zugelassen oder sogar provoziert, hieß es. "Nieder mit der Militärherrschaft", skandierten Tausende aufgebrachte Ägypter am Hauptbahnhof von Kairo, wo zurückgekehrte Fans in Empfang genommen wurden. In einem ungewöhnlichen Schritt kündigte der Chef des Militärrates, Feldmarschall Mohamed Hussein Tantawi, im Fernsehen an, die Schuldigen für das Desaster aufzuspüren.
Messer und Macheten als Waffen
Am Mittwochabend hatten in der Hafenstadt Port Said Fans des mit 3:1 siegreichen heimischen Teams Al-Masri gegen Ende der Partie das Spielfeld gestürmt und Jagd auf Spieler der Kairoer Gastmannschaft Al-Ahli gemacht. Kämpfe zwischen gegnerischen Fans entbrannten, eine Massenpanik entstand. Zuschauer wurden totgetrampelt oder stürzten von den Rängen.
"Ich habe Menschen mit Macheten und Messern gesehen", berichtete ein Journalist, der das Match besucht hatte. Einige der Opfer seien mit diesen Waffen getötet worden, andere seien im dichten Gedränge von ihren Plätzen weggedrückt worden und von den Tribünen in den Tod gestürzt. "Wir haben Bereitschaftspolizisten gesehen, die in die Luft geschossen haben", sagte ein Augenzeuge. "Wir wussten nicht, ob sie mit scharfer Munition schießen. Die Menschen haben geschrien und sind gestorben." Fernsehbilder zeigten Sicherheitskräfte im Stadion, die dem Sturm auf das Spielfeld nichts entgegensetzten.
In Kairo kochen die Emotionen hoch
"Wir werden für ihre Rechte kämpfen oder wie sie sterben", riefen Menschen auf einem Bahnhof, wo die zugedeckten Leichen von Fans aus den Zügen ausgeladen wurden. Protestmärsche in der Hauptstadt waren geplant. "Der Militärrat will zeigen, dass das Land in Chaos und Zerstörung stürzt", sagte der 30-jährige Mahmoud al-Naggar, Mitglied der Koalition der Revolutionären Jugend in Port Said. "Es sind die Leute von Mubarak." Tantawi hatte unter Mubarak zwei Jahrzehnte lang als Verteidigungsminister gedient und wird von vielen Ägyptern nach dem Sturz des Machthabers vor einem Jahr als Vertreter des alten Regimes gesehen. Sie kritisieren, dass der erhoffte demokratische Wandel in Ägypten stockt.
"Ultras" schon bei Tahrir-Demos dabei
Die Muslimbruderschaft, die das neu gewählte ägyptische Parlament dominiert, sprach von einer unsichtbaren Kraft hinter den Krawallen. "Wir befürchten, dass einige Offiziere das Volk für ihre Revolution bestrafen wollen", erklärte die Gruppierung. Viele Ägypter zeigten sich überzeugt, die Gewalt sei inszeniert worden, um die "Ultras" zu verunglimpfen. Bei ihnen handelt es sich um Fußballfans, die auch bei den Protesten auf dem Tahrir-Platz in Kairo eine wichtige Rolle spielten. In den Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften der Mubarak-Regierung stellten sie sich auf die Seite der Demonstranten und verhalfen ihnen damit zum Sieg über das Regime.
Nach den Krawallen in Port Said wurden 47 Menschen festgenommen. Tantawi erklärte in einem Telefongespräch mit einem Fernsehsender, er bedaure, was sich in dem Stadion zugetragen habe. Er sprach den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus. Durch den Zwischenfall würden die Pläne einer Machtübergabe an eine zivile Regierung nicht verzögert, beteuerte er. Die Militärregierung hatte angekündigt, sich bis Ende Juni nach der Präsidentenwahl wieder von der Macht zu verabschieden.
Al-Ahli-Trainer: "Die Polizei ist schuld"
Ausschreitungen von gewaltbereiten Fans untereinander oder mit der Polizei sind in Ägyptens Fußballstadien geradezu an der Tagesordnung. Aber solche Gewaltexzesse und so viele Tote wie nach dem Fußballspiel in Port Said hat es bisher nicht gegeben. Al-Ahlis Trainer Manuel Jose sagte, viele Menschen seien in der Umkleidekabine behandelt worden und dort gestorben. "Die Schuld hat einzig und allein die Polizei. Es waren Dutzende im Stadion, aber die waren plötzlich alle verschwunden oder haben gar nichts unternommen", sagte er dem portugiesischen TV-Sender SIC.
Ein für die öffentliche Sicherheit zuständiger Militärvertreter, Ahmed Gamal, wies jegliche Schuld zurück. Es habe einen guten Sicherheitsplan bei dem Fußballspiel gegeben, sagte er. Doch der Gewaltausbruch nach Abpfiff sei nicht mehr einzudämmen gewesen. Er verglich die Ereignisse mit dem Beginn der heftigen Massenproteste am 25. Jänner vor einem Jahr gegen Mubarak. Und Tränengas werde seit den blutigen Zusammenstößen auf dem Tahrir-Platz im Herbst nicht mehr eingesetzt.
Die Europäische Union verlangte eine unabhängige Untersuchung zu den blutigen Krawallen. Die EU-Außenpolitikbeauftragte Catherine Ashton erklärte am Donnerstag: "Ich hoffe, eine sofortige und unabhängige Untersuchung wird Licht in die Hintergründe dieses tragischen Ereignisses bringen."
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