Paris im Herbst vor zwei Jahren. Die nächtliche Seine-Metropole schimmert im Nieselregen. Der Wind reißt mir fast meine Baskenmütze vom Kopf. Ich haste über die Place Vendôme, als mir ein Schal, ein Herrenschal, direkt vors Gesicht flattert - und ich im selben Moment ein ärgerliches "putain", eine recht derbe Unmutsäußerung, vernehme. Ja, Sauwetter, denke ich, und schon halte ich den "Ausreißer", schwarz und weich, in Händen.
Ein Mann kommt auf mich zu, das Silberhaar zerzaust, elegant die Erscheinung. Und ich bleibe an seinen Augen hängen. Augen, die mich irritieren. Eine leichte Verbeugung. Sie sind sehr freundlich, sagt er. Und plötzlich weiß ich, wer vor mir steht: Alain Delon.
Und ich höre mich sagen: Würden Sie mir ein bisschen Ihrer Zeit schenken? Ich bekunde mein professionelles Interesse als Filmkritikerin - und stoße auf Ablehnung. "Sie haben mich also abgepasst?", knurrt Monsieur. Pas du tout, ganz und gar nicht, kontere ich mutig - und überhaupt ist es mein liebster Zeitvertreib, in Paris herrenlose Schals einzufangen. Alain Delon lächelt, sagt "Vous êtes charmante" - "Sie sind reizend". Und fügt hinzu: "D'accord, einverstanden, Ihr Finderlohn ist meine Zeit."
Augenblicke später sitze ich mit ihm in der Ritz-Bar. "Ein Glas Champagner?", gurrt er galant. Ich schwenke um auf Rotwein, was ihn sichtlich freut, er ordert einen Mouton irgendwas. Und ich denke: C'est comme au cinéma - das ist wie im Kino. Erinnerungssplitter an das Gespräch:
Alain Delon: "Versäumnisse im Leben gibt es immer"
Auf welche Charaktereigenschaften sind Sie stolz? A. Delon: "Ich? Ich bin doch total charakterlos." Und die Zeit, ist sie Ihr Freund oder Feind? A. Delon: "Sie war fast immer mein Freund - und wenn man in reifen Jahren in guter Verfassung ist, dann ist sie es wohl immer noch. Aber ich bedaure es, Freunde durch den Tod zu verlieren. Langjährige Freunde - und Hunde."
Sie lieben Hunde? A. Delon: "Sie sind die treuesten Weggefährten. Auf meinem Besitz in Douchy habe ich einen Hundefriedhof angelegt" Das ist rührend. A. Delon: "N'est-ce pas, nicht wahr? Sie haben mich begleitet, sie haben ein Recht, bei mir zu sein." Gibt es Versäumnisse? A. Delon: "Die gibt es immer, oder? Das Versäumnis, sich und der Welt nicht auf den Grund gegangen zu sein. Veruntreute Lieben, familiärer Zwist les choses de la vie die Dinge des Leben eben."
Ein Wort zu Romy Schneider? Delons Gesicht versteinert: "Diese Erinnerungen sind privat. Und kostbar. Hören, Sie, Madame (und ich denke, Mist, jetzt hab ich's vermasselt), manchmal ist das Band der Freundschaft stärker als jenes der Leidenschaft. Aber es hält, pour toujours, für immer." Und die Liebe? A. Delon: "Sie ist ein Rausch, voilà."
Themenwechsel. Sie machen sich rar im Kino, Monsieur, was schade ist. A. Delon: "Ich bin wählerisch. Was soll ich denn spielen? Einen alten Sturkopf? Einen Philosophen? Einen greisen Kardinal?" Ihre bevorzugte Lektüre? A. Delon: "Ich finde immer mehr Gefallen an Gedichten..." Ich bringe Verlaine ins Spiel und habe einen Riesenstein bei ihm im Brett. A. Delon: "Diese technisierte Welt ist arm an Poesie geworden. Wer schreibt denn heute noch Briefe?" Ich, Monsieur. A. Delon: "Ah, Sie sind eine Romantikerin!" Ja, das bin ich. Dieser Moment mit Ihnen ist auch romantisch... "Trinken wir noch ein Glas", sagt Delon, und knipst ein Lächeln an. Bon anniversaire, alles Gute zum heutigen Geburtstag.
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