Böhmermann & Co.
Wie Erdogan seine Kritiker mundtot klagt
Nicht nur der deutsche Satiriker Jan Böhmermann hat Bekanntschaft mit den Anwälten des türkischen Staatspräsidenten gemacht. Wer Recep Tayyip Erdogan im Internet mit einer Figur aus "Herr der Ringe" vergleicht, wird verklagt. Wer darüber berichtet, dass die türkische Version von Google bei dem Begriff "Erdogan" parallel dazu das Wort "Mörder" vorschlägt, wird vom Präsidenten persönlich angezeigt. Auch wer Erdogan einen "Diktator" schimpft, bekommt Post von seinen Anwälten.
Die Beleidigungsklagen des Staatspräsidenten sind mittlerweile legendär. Ein Heer von Anwälten überzieht Kritiker im In- und Ausland mit Klagen. Böhmermann, der nun auch von Erdogan persönlich wegen Beleidigung verklagt wurde, ist also nur einer von vielen. Dennoch birgt gerade diese Klage eine besondere Ironie - denn Erdogan selbst saß einst wegen des Zitierens eines Gedichtes im Gefängnis.
Erdogan zitierte: "Moscheen sind unsere Kasernen"
Dabei wurden ihm 1997 die Zeilen des türkisch-nationalistischen Dichters Ziya Gökalps zum Verhängnis. Erdogan, damals Bürgermeister von Istanbul, hielt eine Rede im westanatolischen Siirt. Dabei fiel auch ein Vers aus einem von Gökalps Gedichten: "Die Minarette sind unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme, die Moscheen unsere Kasernen und die Gläubigen unsere Soldaten."
Wegen dieses Satzes wurde Erdogan 1998 wegen Volksverhetzung zu zehn Monaten Haft verurteilt, von denen er vier absaß. Als die von ihm mitbegründete Partei AKP 2002 erstmals eine Parlamentswahl gewonnen hatte, kündigte Erdogan an: "Wir wollen eine Türkei, in der niemand wegen seiner Gedanken, Meinungen oder weil er ein Gedicht vorgetragen hat ins Gefängnis kommt."
Wer Erdogan kritisiert, lebt gefährlich
Aber schon wenig später wurde klar, dass abweichende Meinungen im System Erdogan nicht willkommen sind. Wer ihn dennoch kritisiert, lebt gefährlich. Noch als Ministerpräsident erstattete Erdogan persönlich Anzeige gegen Dutzende Kritiker - etwa wenn ihn Karikaturisten als Giraffe oder Zebra zeichneten oder Journalisten ihm Korruption unterstellten. Seit seiner Wahl zum Staatspräsidenten im August 2014 weht ein noch schärferer Wind.
2000 Verfahren binnen zwei Jahren
Seitdem wurden laut Justizminister Bekir Bozdag rund 2000 Verfahren wegen "Präsidentenbeleidigung" eingeleitet - wesentlich mehr als in den 14 Amtsjahren seiner Vorgänger Abdullah Gül und Ahmet Necdet Sezer zusammen. Bei einer Verurteilung drohen bis zu fünf Jahre Haft. Bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gezici erklärten sieben von zehn Befragten, sie hätten Angst vor dem Staatspräsidenten.
Schüler wegen "Präsidentenbeleidigung" verhaftet
Mittlerweile befindet sich die gesamte türkische Gesellschaft im Visier von Erdogan, sogar Kinder und Jugendliche. So wurde im Februar des Vorjahres ein Gymnasiast in der Stadt Ayvalik wegen "Präsidentenbeleidigung" festgenommen. Er hatte den Präsidenten auf einer Schülerdemo als "korrupten Politiker" kritisiert. Einen Tag später standen Polizisten in seinem Klassenzimmer.
Im vergangenen Oktober wurden in der Kurdenmetropole Diyarbakir Ermittlungen gegen zwei Kinder eingeleitet - die zwölf und 13 Jahre alten Buben sollen ein Erdogan-Plakat von einer Wand abgerissen haben.
Türkische Verfassung bereits außer Kraft gesetzt?
"Ermittlungen, Festnahmen, Prozesse, alles geschieht auf Druck der Regierung", kritisierte nun Erol Önderoglu von Reporter ohne Grenzen in Istanbul in einem Fernsehinterview. Und weiter: "Diese Prozesse, die ja eigentlich Erdogan selbst führt, zeigen sehr deutlich, dass die Verfassung in der Türkei eigentlich schon außer Kraft gesetzt ist."
Unterdessen wird Erdogan nicht müde, immer weiter zu klagen. Erst in der Vorwoche wurden laut Medienberichten im südostanatolischen Sanliurfa sechs Personen festgenommen. Sie sollen sich in sozialen Netzwerken abfällig über das Staatsoberhaupt ausgetauscht haben.
Jener Arzt, der Erdogan mit Gollum aus dem "Herrn der Ringe" verglichen hat, hat seinen Job in einem staatlichen Krankenhaus mittlerweile verloren. Das Verfahren gegen ihn läuft noch. Allerdings könnte es sogar mit einem Freispruch enden.
Denn Gollum sei eine "friedliebende Figur", heißt es in einem gerichtlichen Gutachten, das vergangene Woche von türkischen Medien veröffentlicht wurde. In dem Roman ist Gollum ein Wesen, das völlig von seiner Begierde nach dem unheilvollen, Macht verheißenden "einen Ring" beherrscht wird. Der Fall hatte sogar "Herr der Ringe"-Regisseur Peter Jackson zu einem Statement bewegt.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.