In Libyen gestrandet
800.000 neue Flüchtlinge drängen nach Europa
Eine neue Flüchtlingswelle nach Europa kündigt sich an: In Libyen sind rund 800.000 Migranten gestrandet und warten auf die Weiterreise, sagte der französische Innenminister Jean-Yves Le Drian am Donnerstag. Noch gibt es seitens der EU keinen Plan, wie man diese Situation bewältigen will. Erst kürzlich hatten die EU-Spitzen einen Deal mit der Türkei zur Eindämmung der Flüchtlingsströme beschlossen.
Zunächst sprach Le Drian von "Hunderttausenden" in Libyen gestrandeten Flüchtlingen. Auf die Frage eines Journalisten, der wissen wollte, ob eine Schätzung von 800.000 Personen realistisch sei, antwortete der Minister, dass es sich dabei um eine "in etwa angemessene Zahl" handle. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sprach vergangene Woche von fast 500.000 Vertriebenen, die von Libyen aus über das Mittelmeer nach Europa flüchten könnten.
Libyen im politischen Dauerchaos
Libyen versinkt seit dem Sturz von Machthaber Muammar al-Gadafi 2011 im Chaos. Zuletzt fasste die Dschihadistenmiliz IS immer stärker Fuß in dem Land. Die "dringlichste Dringlichkeit" in Libyen sei daher die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit, appellierte Le Drian. Seit Monaten wird darum gerungen.
Bereits in der Vergangenheit hatte Le Drian kritisiert, dass die europäische Anti-Schlepper-Mission "Sophia" vor der Küste Libyens nur begrenzt wirksam sei, weil diese bisher keine Erlaubnis hat, auch in libyschen Gewässern einzuschreiten. Dafür ist zuerst eine Genehmigung der - bisher nicht vorhandenen - Regierung Libyens notwendig.
Türkei-Deal, Libyen: Was auf Europa jetzt alles zukommt
Wie die EU-Staaten die drohende neue Flüchtlingswelle aus Libyen bewältigen wollen, steht noch nicht fest. Erst vergangene Woche wurde der Pakt mit der Türkei zur Eindämmung der Flüchtlingsströme beschlossen, der seit Sonntag in Kraft ist und ab Anfang April vollzogen werden soll. Ankara verpflichtet sich darin, alle illegal eingereisten Migranten von den griechischen Inseln zurückzunehmen, im Gegenzug nehmen die Europäer syrische Kriegsflüchtlinge - vorerst 72.000 - aus der Türkei auf.
Muss Deutschland Hunderttausende Migranten aufnehmen?
Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtete, könnte der Deal für die EU noch unangenehme Folgen haben, insbesondere für Deutschland. Es gelte als ziemlich sicher, "dass die Europäer weitere Hunderttausende Migranten aus der Türkei ausfliegen werden müssen". Die "SZ" beruft sich dabei auf einen Passus im Deal, der wie folgt lautet: "Wenn die irregulären Überfahrten von der Türkei in die EU gestoppt oder zumindest substanziell und nachhaltig reduziert wurden, wird ein 'Humanitäres Aufnahmesystem' aktiviert. Dazu tragen die EU-Mitgliedsstaaten freiwillig bei." Wie die "SZ" aus EU-Kreisen weiters erfuhr, hätte sich die Türkei ohne diesen Punkt nie auf den Flüchtlingsdeal eingelassen, da sonst alle neu ankommenden Flüchtlinge immer nur bei ihr bleiben würden.
Viele EU-Staaten gegen Aufnahmen neuer Flüchtlinge
Das Problem dabei: Da viele EU-Staaten nicht bereit sind, noch mehr Flüchtlinge in nennenswerter Zahl aufzunehmen, werden die von der "SZ" ins Spiel gebrachten "Hunderttausenden Migranten" sehr wahrscheinlich in Deutschland eine Heimat finden müssen. Denn nimmt kein EU-Staat die neuen Flüchtlinge auf, werde die Türkei den Deal aufkündigen.
Damit das nicht passiert, machte Gerald Knaus von der Europäischen Stabilitätsinitiative kürzlich einen Vorschlag: "Die EU sollte das humanitäre Aufnahmesystem schon jetzt aktivieren und sofort ein paar Hundert Flüchtlinge direkt abnehmen." Doch Staaten wie Polen, Ungarn, die Slowakei oder auch Großbritannien haben bereits klargemacht, dass sie keine zusätzlichen syrischen Flüchtlinge aus Lagern in der Türkei aufnehmen werden.
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