Ein Jahr danach
Airbus-Absturz: “Wunderkind” von Flug 771 genesen
Ruben war mit Mama Trudy (41), Papa Patrick (41) und seinem elfjährigen Bruder Enzo auf dem Rückweg von einem Safariurlaub in Südafrika gewesen, als die Unglücksmaschine in Tripolis zur Zwischenlandung ansetzte. Dabei stürzte der Airbus A330-200 ab und zerschellte.
Lebend aus den Trümmern geborgen
Der Bub wurde nach dem Unglück an seinen Sitz geschnallt inmitten der Trümmer geborgen. Ruben verlor viel Blut und erlitt mehrere Beinbrüche, die in einer viereinhalbstündigen Operation behandelt wurden. Laut dem zuständigen orthopädischen Spezialisten Sadiq Bendala hätten viele Faktoren zum Überleben des Buben beigetragen, unter anderem auch sein Sitzplatz. "Gott hat es wohl so gewollt. Er wollte, dass er noch länger lebt", sagte Bendala damals.
Ohne den Einsatz und das Können der Ärzte im Al-Chadra-Krankenhaus der libyschen Hauptstadt wäre Ruben wohl nicht lebend in die Heimat zurückgekehrt. Davon ist seine Tante Ingrid überzeugt. Ruben lebt heute bei Ingrid, ihrem Mann Willyam und deren Kindern im Süden der Niederlande. Holländische Ärzte bestätigten, dass Ruben die Chance auf vollständige Genesung den ersten Nothilfemaßnahmen der Intensivmediziner in Libyen verdanke.
Schlechte Erfahrungen mit Reportern
Ihre Nachnamen und ihre Wohnadresse wollten Ingrid und Willyam in einem Exklusivinterview mit der niederländischen Presseagentur ANP nicht veröffentlicht sehen. Weitere Interviews lehnen sie ab. Zum offiziellen Gedenken für die 70 niederländischen Opfer des Afriqiyah-Absturzes mit Regierungsvertretern am Donnerstag in Den Haag werden sie Ruben nicht mitbringen. Er soll von Reportern und Fotografen abgeschirmt werden, um seine weitere Gesundung nicht zu gefährden und um ihm "eine behütete Jugend" zu ermöglichen.
Mit Empörung denkt die Familie daran zurück, wie sich einen Tag nach dem Absturz eine große niederländische Zeitung ein "Interview" mit dem damals neunjährigen, noch unter Schock stehenden Ruben erschlich. Das Blatt hatte einen Krankenhausmitarbeiter auf dessen Handy erreicht und ihn überredet, es dem schwer verletzten und verstörten Buben ans Ohr zu halten.
Obendrein war das Kind im Krankenbett fotografiert worden, als es noch nicht einmal wusste, dass seine Eltern und sein Bruder nicht mehr am Leben waren. Zum Ärger der Ärzte setzten sich auch Offizielle mit Besuchen beim "Wunderkind von Tripolis" in Szene - unter ihnen Saif al-Islam, der einflussreiche Sohn des Machthabers Muammar al-Gadafi.
Gadafi organisierte eine Sondermaschine
Immerhin: Gadafi selbst hatte vermutlich angeordnet, dass dem kleinen Niederländer alle erdenkliche Hilfe zuteil wird. In einer Sondermaschine mit modernsten medizinischen Geräten wurde er später, begleitet von libyschen Ärzten, in die Heimat gebracht. Mit an Bord waren Tante Ingrid und Onkel Willyam, die sofort nach Tripolis geflogen waren, um ihrem Neffen zur Seite zu stehen.
Im Februar wollten sie gemeinsam mit Ruben auf dessen Wunsch erneut nach Libyen reisen. "Dort ist er schließlich gerettet worden - und zwar zweimal: an der Absturzstelle und im Krankenhaus. Er will sich erinnern, will genau wissen, was damals geschehen ist", sagt Ingrid. "Ruben wollte den Libyern gern zeigen, wie gut es ihm wieder geht." Vermutlich hätte das dem Buben "sehr geholfen, wirklich mit der emotionalen Verarbeitung zu beginnen". Doch kurz vor dem Start, brach der Aufstand gegen das Gadafi-Regime los. Die Reisepläne sind nun aufgeschoben, nicht aufgehoben.
"Es wird wieder mehr gelacht als geweint"
In Rubens neuer Familie - samt 15-jährigen Zwillingen und einem neunjährigen Mädchen - wird "längst wieder mehr gelacht als geweint, auch wenn die Gedanken an seine Eltern und seinen Bruder jeden Tag hochkommen", sagt Ingrid. "Aber wir verschweigen das nicht. Ganz bewusst. Das Leben geht weiter. Es ist nicht, wie es einst war, aber es geht weiter."
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