"Noch nicht beendet"
Brüssel: Zahlreiche Festnahmen bei Razzia
Die Zeitung "La Libre Belgique" hatte berichtet, dass Sicherheitskräfte Sonntagnacht einen Verdächtigen in der Region der ostbelgischen Stadt Lüttich gesichtet haben, bei dem es sich um Salah Abdeslam gehandelt haben könnte. Der Mann soll mit einem BMW auf der Autobahn Richtung Deutschland geflüchtet sein. Die Autobahn verbindet Lüttich mit Aachen im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Der belgische Staatsanwalt dementierte diesen Bericht aber wenig später. Weitere Ermittlungen hätten demnach gezeigt, dass der Fahrer des BMW in keinem Zusammenhang zu den aktuellen Anti-Terror-Operationen in Belgien steht.
Innenminister: "Operation noch nicht beendet"
Die Jagd nach mutmaßlichen Terroristen ist nach der Serie von Festnahmen weiter im Gang. "Die Operation ist noch nicht beendet, sie muss weitergehen", sagte der belgische Innenminister Jan Jambon am Montag. Die Terrorgefahr sei immer noch hoch. Gleichwohl forderte Jambon die Menschen auf, nicht in Panik zu verfallen: "Das ökonomische und soziale Leben muss weitergehen." Im Laufe des Vormittags wurden dann fünf Verdächtige festgenommen.
In Brüssel hatten Einsatzkräfte am Sonntagabend einen Sicherheitsring um die beliebte Rue du Midi in der Innenstadt errichtet. Mehrere Straßen wurden abgeriegelt. Die Polizei teilte zunächst lediglich mit, es seien "verschiedene Operationen im Gange", und bat darum, bis zum Abschluss des Einsatzes keine Einzelheiten zu den laufenden Aktionen in den sozialen Netzwerken zu verbreiten.
Kurz vor Mitternacht vermeldeten mehrere Medien dann übereinstimmend das Ende des Großeinsatzes. Die Staatsanwaltschaft bestätigte dann bei einer Pressekonferenz um 0.30 Uhr, dass es bei dem Anti-Terror-Einsatz in der Region Brüssel insgesamt 19 Razzien und 16 Festnahmen gab. Der per internationalem Haftbefehl gesuchte Paris-Attentäter Salah Abdeslam ist aber laut den Behörden nicht unter den Verhafteten. In der als Islamistenhochburg geltenden Gemeinde Molenbeek kam es auf der Straße zu einem Schusswechsel.
Belgiens Premierminister Charles Michel hatte nach dem Beginn des Anti-Terror-Einsatzes am Abend gegenüber RTBF betont, dass es sich um eine "extrem ernste Lage" handle. Die Stimmung in der Innenstadt, in der eigentlich an diesem Wochenende das Weihnachtsgeschäft voll durchstarten hätte sollen, war entsprechend dem Großaufgebot an Polizeibeamten und Soldaten angespannt. Polizisten forderten Passanten lautstark auf, gesperrte Straßen nicht zu betreten. Anrainer um den Grand Place seien gebeten worden, von ihren Fenstern fernzubleiben. An einer Straße wurde ein Linienbus quergestellt, um den Verkehr zu stoppen.
Ein Zeuge in einem Restaurant sagte dem Sender RTL Info, die Polizei habe alle Gäste angewiesen, im Lokal zu bleiben, bis die Polizei ihnen erlaube, das Gebäude zu verlassen. Ein weiterer Augenzeuge berichtete wiederum auf Twitter, er sei von der Polizei aus einem Restaurant in der Rue du Midi eskortiert worden. Auch von einem Einsatz in einem Radisson-Hotel wurden Bilder in dem Kurznachrichtendienst geteilt. Unbestätigten Angaben zufolge wurde das Hotel evakuiert.
Um kurz nach 19 Uhr waren Polizisten über Funk verständigt worden, dass sie sich für einen Anti-Terror-Einsatz bereithalten sollten, berichtete die belgische Tageszeitung "La Libre" im Internet vom Start der Aktion. Laut RTBF waren Polizeieinheiten auch im Stadtteil Etterbeek aktiv. Zudem habe es laut belgischen Medien in der Region um Charleroi, die größte Stadt der Wallonie, Hausdurchsuchungen gegeben.
Höchste Terrorwarnstufe verlängert
Schon vor dem Anti-Terror-Einsatz stand fest, dass Brüssel auch am Montag noch nicht zur Normalität zurückkehren wird. Die Metro in der EU-Hauptstadt werde zu Wochenbeginn weiterhin nicht fahren, Schulen und Universitäten geschlossen bleiben, hatte Premier Michel kurz vor Beginn der abendlichen Polizeiaktionen mitgeteilt. Trotz der Verlängerung der höchsten Terrorwarnstufe sollen am Montag aber die Treffen der EU-Finanzminister und der EU-Bildungsminister stattfinden, hieß es. Andere Treffen seien dagegen abgesagt.
Die nun verlängerte Terrorwarnstufe 4 bedeutet, dass eine "ernste und unmittelbare" Bedrohung besteht. Seit Samstagfrüh gilt diese höchste Terrorwarnstufe für Brüssel, im Rest Belgiens gilt weiter die Stufe 3. "Wir werden die Lage am Montagnachmittag neu bewerten", sagte der Premier weiter. Das Ziel sei, so schnell wie möglich zu einem normalen Leben zurückzufinden.
Der Entscheidung vorausgegangen war eine neue Beurteilung der Lage durch die Sicherheitsbehörden. Michel sagte, es habe konkrete Hinweise auf ein geplantes Attentat von Terroristen in Brüssel gegeben - ähnlich den Anschlägen in Frankreich. In Brüssel sollen sich zwei Terroristen aufhalten, darunter der seit einer Woche gesuchte Salah Abdeslam. Ziele solcher Attacken könnten belebte Orte wie Einkaufszentren oder der öffentliche Nahverkehr sein.
Auch Tausende Österreicher betroffen
Die Nervosität in der belgischen Bevölkerung ist angesichts des Ausnahmezustands jedenfalls deutlich zu spüren. Laut Österreichs Botschafter in Brüssel, Jürgen Meindl, leben derzeit rund 5000 Österreicher in Belgien, der Großteil rund um die Hauptstadt. Die "Krone" hörte sich bei einigen Landsleuten, die in Brüssel leben, um. Angesichts des Polizeiaufgebots bewahrten sie zwar Ruhe - doch in vielen Herzen regierte die Terror-Angst.
"Sondereinheiten stehen Wache und bekommen die Lage hoffentlich bald wieder in den Griff. Ich habe mich in Brüssels Flair verliebt und möchte auch in Zukunft hier leben", sagte etwa Francesca Fata aus Wien. "Selbst aus Österreich habe ich Anrufe, E-Mails und SMS besorgter Freunde erhalten, die meinen, ich sollte lieber nicht außer Haus gehen", erzählte Thomas Thaler aus Wels. Er wagte sich zwar kurz in die City und erlebte dann "allgegenwärtige, knisternde Anspannung in den Gesichtern der Menschen". Alle seien aber froh, dass die Behörden die Gefahr ernst nehmen.
Aus dem Video-Archiv: Razzia gegen Paris-Drahtzieher
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