Freudentaumel

Das Wunder in Chile ist perfekt: Alle 33 Kumpel gerettet

Ausland
14.10.2010 08:25
Mission erfüllt: Die historische Rettungsaktion in Chiles San-Jose-Bergwerk in der Atacama-Wüste hat ein Happy-End. Am späten Mittwochabend (Ortszeit) fuhr der letzte der 33 verschütteten Kumpel aus dem Stollen auf, in dem die Minenarbeiter 69 Tage lang in mehr als 600 Metern Tiefe gefangen waren. Die perfekt organisierte Bergungsaktion dauerte 22 Stunden und 39 Minuten. Zweieinhalb Stunden danach kam auch der letzte von sechs Erstrettern wieder nach oben.

Als letzter Kumpel entstieg der Schichtführer und "Boss" genannte Bergarbeiter Luis Urzua Iribarren (links im Bild) der Rettungskapsel "Phönix" (eine Liste aller geretteten Kumpel findest du in der Infobox). Er hatte in der Tiefe entscheidend zum Zusammenhalt der Gruppe beigetragen. Urzua wollte erst alle Männer gerettet wissen, bevor er sich selbst auf den Weg nach oben machte.

Er wurde mit frenetischem Jubel empfangen und vom sichtlich ergriffenen Präsidenten Sebastian Pinera (Bild re.) umarmt. "Sie haben Ihre Aufgabe erfüllt", sagte Pinera. "Ich gratuliere Ihnen, Sie sind ein guter Kapitän." Der Staatschef harrte die ganze Zeit am Ausgang des Rettungsschachtes aus und begrüßte die Kumpel mit den Worten: "Willkommen zurück im Leben."

"Mision cumplida Chile"
Die im Schacht verbliebenen Retter hielten Minuten nach der Bergung des letzten Kumpels ein Schild in die unterirdisch installierten Kameras. Darauf stand: "Mision cumplida. Chile" (Mission erfüllt. Chile). Auf der Oberfläche knallten inzwischen die Sektkorken und die Menschen sangen die Nationalhymne. Als letzter Retter kam Manuel Gonzalez am Donnerstag um 0.32 Uhr Ortszeit (5.32 Uhr MESZ) glücklich aus dem Schacht.

Pinera dankte den Kumpeln für ihre Ausdauer und den Rettern für deren unermüdlichen Einsatz. "Chile ist heute nicht mehr das gleiche Land wie vor 69 Tagen", sagte er. Das Land sei heute geeinter und stärker und werde in Welt mehr respektiert und geschätzt. Die Bergleute hätten ein leuchtendes Beispiel von Mut, Loyalität und Kameradschaft gezeigt. Pinera fügte aus ganzem Herzen hinzu: "Viva Chile!" ("Es lebe Chile").

Um ihre Augen nach Wochen in der Dunkelheit vor dem Tageslicht zu schützen, trugen alle Bergleute extra dunkle Sonnenbrillen. Nach einem kurzen Treffen mit ihren Angehörigen und einem ersten ärztlichen Check bei der Mine wurden einige der Männer in ein Krankenhaus im nahen Copiapo gebracht, wo sie genauer untersucht werden sollten. Die meisten befänden sich in einem "zufriedenstellenden Zustand", sagte Gesundheitsminister Jaime Manalich. Zwei Kumpel müssten sich allerdings am Donnerstag einer schweren Zahn-Operation unter Vollnarkose unterziehen, ein weiterer werde wegen einer Lungenentzündung mit Antibiotika behandelt.

"Es lebe Chile, Scheiße!" und "Danke Herr"
Der erste Kumpel war bereits am Mittwoch um 0.10 Uhr (5.10 Uhr MESZ) unversehrt der Rettungskapsel entstiegen. Den spektakulärsten Auftritt legte Bergmann Mario Sepulveda hin, der als Zweiter um 1.09 Uhr Ortszeit emporgezogen wurde. Der wegen seiner ausführlichen Video-Berichte aus dem steinernen Gefängnis auch "El Periodista" ("Der Journalist") genannte Arbeiter trat kurz nach seiner Rettung zum Interview vor die Kameras - und gab sich bescheiden. "Wir sind keine Stars, wir sind nur Bergleute", ließ er die Welt wissen.

Der als 27. Bergmann befreite Franklin Lobos Ramirez war in sichtlich guter Verfassung, als er oben ankam. Chiles Ex-Fußballstar wurde nach der Ankunft von seiner Tochter bestürmt und umarmt. Sie hatte ihm einen Ball mitgebracht, den Lobos auch sofort mit dem Fuß empor kickte. "Er hat das wichtigste Match seines Lebens gewonnen", kommentierte das chilenische Fernsehen.

Jede Ankunft wurde von den Familien gefeiert. Dabei spielten sich bewegende Szenen ab. Viele Kumpel dankten Gott für ihre Rettung und trugen T-Shirts mit der Worten "Gracias Senor, thank you Lord" (Danke Herr). Dann folgte ein Auszug aus Psalm 95 der Bibel: "In seiner Hand sind die Tiefen der Erde, sein sind die Gipfel der Berge." Und zum Schluss: "Ihm gehören Ehre und Ruhm."

69 Tage zwischen Angst und Hoffnung
Für die Bergleute ging am Mittwoch ein langes Leiden zu Ende. 69 Tage schwankten sie und ihre Familien zwischen Angst und Hoffnung. Nie zuvor mussten Bergleute so lange unter Tage ausharren. Um mit den knappen Ressourcen auszukommen, aßen die Kumpel in den ersten Tagen lediglich alle zwei Tage zwei Löffel Thunfisch. Erst nach 17 Tagen konnte die Gruppe ein Lebenszeichen absetzen und wurde danach durch enge Röhren mit Lebensmitteln, Trinkwasser, Kleidung, elektronischen Geräten sowie Klappbetten versorgt.

Weltweit verfolgte die Öffentlichkeit mit Spannung das Schicksal der Verschütteten. Nach Schätzungen des Internationalen Verbands der Bergbaugewerkschaften kommen jedes Jahr mindestens 12.000 Kumpel weltweit bei ihrer Arbeit ums Leben. Die 33 Chilenen hatten seit dem 5. August in der Kupfer- und Goldmine in der Atacama-Wüste rund 800 Kilometer nördlich der Hauptstadt Santiago festgesessen. In der Hauptstadt wurde die Nachricht der geglückten Aktion mit einem Hupkonzert gefeiert.

Präsident Pinera sagte nach erfolgreichen Bergung im chilenischen Fernsehen, dass die wochenlange Aktion zwischen zehn und 20 Millionen Dollar gekostet habe. Die Ausgaben seien zu zwei Dritteln vom Staat übernommen worden, der Rest sei über private Spenden finanziert worden. "Jeder Peso war es wert, jeder Peso wurde gut investiert", so Pinera.

Grüße sogar vom Papst
Bei den Bergleuten waren Grußbotschaften aus der ganzen Welt eingetrudelt, Dutzende Staatsoberhäupter und Premierminister übermittelten ihre Glückwünsche. Gefreut haben durften sich die tiefgläubige Chilenen vor allem über die Worte von Papst Benedikt XVI. "Ich empfehle die Bergleute, die in der Atacama-Region in Chile verschüttet sind, weiterhin mit Hoffnung der Güte Gottes", sagte das katholische Kirchenoberhaupt in Rom. 

US-Präsident Barack Obama wünschte den Arbeitern in einer Videobotschaft Glück. EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso erklärte in einem Schreiben: "Die Kameradschaft und die Widerstandskraft der Bergleute, die Planung und Effizienz der Rettungsaktion und die Solidarität aller haben der Welt eine Botschaft der Hoffnung und Zuversicht gegeben."

Bilateraler Freudentaumel
Sogar die seit dem Salpeterkrieg am Ende des 19. Jahrhunderts zerrütteten Beziehungen zwischen Chile und Bolivien scheint die Freude über die Rettungsaktion vorübergehend zu kitten. Chiles Präsident Pinera winkte doch tatsächlich mit einem bolivianischen Fähnchen in die Kameras, als Carlos Mamani, der einzige Bolivianer unter den 33 Minenarbeitern, um 8.08 Uhr MESZ der Rettungskapsel "Fenix 2" entstieg. Auch Boliviens Präsident Evo Morales reiste an, um Mamani später im Krankenhaus zu besuchen. Gemeinsam mit Pinera trat er auch vor die TV-Kameras.

Die bolivianische Zeitung "Los Tiempos" feierte am Mittwoch die chilenische Ingenieurskunst. Die Rettung Mamanis sei das Symbol einer neuen Einheit zwischen beiden Ländern (die aber im Grunde seit Jahrzehnten keine diplomatischen Beziehungen unterhalten). Aber auch wenn Evo Morales dem Geretteten ein Haus und eine Arbeit in seinem Heimatland versprochen hat, ist sich Mamanis Frau Veronica Quispe gar nicht so sicher, ob sie überhaupt zurück wollen. Sie betonte an der Seite Pineras vor dem Bohrloch: "Wir sind ganz Chile dankbar, niemand hat uns aufgegeben."

Spezial-Seilwinde aus Österreich
Die wohl spektakulärste Rettungsaktion in der Geschichte des Bergbaus lief übrigens unter österreichischer Beteiligung. Die Spezial-Seilwinde, mit der die Rettungskapsel nach unten und oben bewegt wurde, hat eine steirische Firma zur Verfügung gestellt (siehe Bericht in der Infobox).

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