Dominoeffekt in EU
Bröckelt nun auch Merkels Asylpolitik?
Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel gerät in der Flüchtlingsfrage innerhalb der EU zunehmend in eine isolierte Position. Noch vor Monaten hatte sie in der sogenannten Koalition der Willigen zahlreiche EU-Staaten, die mit ihr an einem Strang zogen. Doch mittlerweile zeigen sich auch in dieser Gruppe immer mehr Risse. Laut Merkel wird nun das Thema Flüchtlingsverteilung innerhalb der Union beim Gipfel am Donnerstag und Freitag gar nicht erst an der Tagesordnung stehen. Bröckelt jetzt auch die Asylpolitik Berlins?
Neben Deutschland gehören der "Koalition der Willigen" offiziell noch Schweden, Finnland, Belgien, Luxemburg, die Niederlande, Frankreich, Portugal, Griechenland, Slowenien und auch Österreich an. Diese Länder nehmen seit Dezember an den Treffen teil, die in der österreichischen EU-Vertretung in Brüssel stattfinden. Doch die Gespräche verkommen zunehmend zu einer Fassade, denn einzelne Koalitionspartner sind bereits von der ursprünglichen Linie abgewichen.
Wien nicht mehr auf Merkels Kurs
Österreich hat nach der Errichtung des Grenzmanagementsystems in Spielfeld nun entsprechende Maßnahmen auch an zwölf weiteren Übergängen in Kärnten, der Steiermark, Tirol und im Burgenland angekündigt. Es werde nun "Schritt für Schritt gebremst", erklärte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner am Dienstag.
Außenminister Sebastian Kurz wirbt außerdem dafür, notfalls die Übergänge im Nicht-EU-Land Mazedonien dichtzumachen, wenn Griechenland den Schutz der EU-Außengrenze nicht schnell gewährleisten kann. Während Merkel eine Lösung ohne Athen als uneuropäisch ablehnt, fordern das die Visegrad-Länder (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn), also der EU-"Ostblock", schon lange.
Frankreich gegen weitere Umverteilung
Doch nun hat auch Frankreichs Premier Manuel Valls offen Widerstand gegen Pläne für neue EU-Vereinbarungen zur Aufnahme von Flüchtlingen angekündigt. Frankreich will demnach noch die 30.000 Menschen aufnehmen, zu denen sich Paris bei der EU-weiten Umverteilung von 160.000 Flüchtlingen zur Entlastung Italiens und Griechenland verpflichtet hat - "aber nicht mehr".
Selbst das EU-begeisterte Luxemburg mauert seit geraumer Zeit. "Illusorisch" nannte es Außenminister Jean Asselborn, dass Hunderttausende freiwillig verteilt werden könnten. 50.000 hielt er schließlich für möglich - wenn diese von den 160.000 aus dem Umverteilungsdeal abgezogen würden. Belgien wiederum schloss mittlerweile eine Beteiligung überhaupt aus.
Merkel: Neue Quoten wären "lächerlich"
Der EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag sowie die kommenden Wochen dürften für die "Koalition der Willigen" also zu einem echten Härtetest werden. Vor Beginn des Gipfels gab Merkel am Mittwoch eine Regierungserklärung im Bundestag ab. Dabei erklärte die Kanzlerin, dass am Donnerstag in Brüssel keine neuen Flüchtlingsquoten auf der Tagesordnung stehen werden. Da es schon bei der bereits beschlossenen Zahl von 160.000 Flüchtlingen erhebliche Schwierigkeiten gebe, würde sich die EU "lächerlich machen".
Gemeinsam mit den anderen EU-Partnern, der Türkei und der internationalen Gemeinschaft müssten nun folgende Schritte getätigt werden: Bekämpfung der Fluchtursachen im Konfliktgebiet, Schutz der EU-Außengrenzen sowie Ordnen und Schützen des Flüchtlingszuzugs. In allen Punkten seien in den letzten Wochen einige Fortschritte erzielt worden, sagte Merkel. Dringend benötigt würde nun eine Schutzzone (Flugverbotszone) im Grenzgebiet Syriens zur Türkei. Die Türkei fordert eine solche Flugverbotszone seit Langem, Russland lehnt sie ab.
Kooperation mit der Türkei statt Abschottung
In puncto Schutz der EU-Außengrenze bezog sich Merkel auf die Fortschritte, die mit der Bekämpfung des Schlepperwesens im Mittelmeer durch Einbeziehung der NATO erzielt wurden. Für eine Küste, die über 900 Kilometer lang ist, sei die Kooperation von Frontex, NATO und der Türkei nötig. Wesentlich sei auch ein vor Kurzem abgeschlossenes Rückübernahmeabkommen zwischen Griechenland und der Türkei, wo es aber nach wie vor einige bürokratische Hürden zu beseitigen gebe.
Beim EU-Gipfel müssen sich die Mitgliedsstaaten laut Merkel nun zwischen zwei Alternativen entscheiden: Geht man den Weg der europäisch-türkischen Partnerschaft weiter oder gibt man auf und riegelt die griechische-mazedonische Grenze tatsächlich ab? Die deutsche Regierungschefin stellte im Bundestag klar, dass sie sich für erstere Variante entschieden habe und weiterhin mit der Türkei zusammenarbeiten möchte.
Erdogan: Flüchtlinge sind auch mit Zwang nicht aufzuhalten
Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan äußerte sich extrem pessimistisch zu den Perspektiven, den Flüchtlingszustrom in die EU zu bremsen. "Egal wie grob, wie gnadenlos, wie gewissenlos die westlichen Länder sich verhalten, sie haben keine Chance, diesen Strom unter Kontrolle zu halten." Wer in der Türkei Zuflucht suche, sei weiterhin willkommen, sagte Erdogan. "Aber denjenigen, die weiterziehen wollen, um in westlichen Ländern eine Zukunft zu suchen, denen werden wir nichts sagen."
Visegrad-Staaten: Ultimatum für die Türkei
Am Mittwoch setzten die Visegrad-Staaten der Türkei ein Ultimatum. Demnach habe das Land einen Monat Zeit, um wie mit der Europäischen Union vereinbart die Flüchtlingszahlen zu reduzieren. "Wenn der Zustrom von 1500 bis 2000 Menschen am Tag bis Mitte März andauert, wird klar sein, dass die Türkei ihre Versprechen nicht erfüllt hat und wir andere Maßnahmen brauchen, um die europäische Grenze zu schützen", sagte der tschechische Europastaatssekretär Tomas Prouza.
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