Terror in der Türkei

Der große Scherbenhaufen von “Sultan” Erdogan

Ausland
19.03.2016 12:00

Recep Tayyip Erdogan hatte seinen Landsleuten eine Ära der Stabilität versprochen, wenn sie ihn mit der ganzen Macht ausstatten. Damit die Wähler das auch wirklich tun, zettelte er einen Krieg gegen die PKK an. Nun wird der "Sultan" die Geister, die er rief, nicht mehr los. Hatte er gedacht, die PKK-Kurden (plus Zivilisten, Frauen, Kinder) würden sich ohne Gegenreaktion massakrieren lassen, dann bekommt er jetzt die Rechnung präsentiert: Die Türkei versinkt in einer Terrorhölle.

Nach dem Anschlag von Ankara hatte Erdogan einmal mehr angekündigt, den Terrorismus in der Türkei "in die Knie zu zwingen". Doch nichts in den vergangenen Monaten deutet darauf hin, dass das gelingen wird.

Erdogan ist entschlossen, die PKK militärisch zu besiegen - obwohl diese Strategie vor allem dazu führt, dass der Konflikt immer weiter eskaliert. In den Kurdengebieten im Südosten des Landes trifft die Armee Vorbereitungen für neue massive Einsätze, wieder werden ganze Städte in Belagerungszustand versetzt.

Türkische Soldaten bei einer Militäraktion in der Kurdenstadt Diyarbakir in Südanatolien (Bild: APA/AFP/ILYAS AKENGIN)
Türkische Soldaten bei einer Militäraktion in der Kurdenstadt Diyarbakir in Südanatolien

Von Stabilität kann keine Rede sein
Dabei hatte Erdogan einst Stabilität versprochen, nachdem die Türken seine islamisch-konservative AKP doch wieder mit einer absoluten Mehrheit ausgestattet hatten. Diese Mehrheit war der Partei im Juni zuvor erstmals seit dem Jahr 2002 abhandengekommen.

Doch von Stabilität kann keine Rede sein, im Gegenteil: Seit Erdogan die Geschicke der Türkei lenkt, war das Land noch nie so instabil wie jetzt, wozu neben dem Kurdenkonflikt auch die wachsende Bedrohung durch die Terrormiliz Islamischer Staat beiträgt. Die Terrorbilanz von fünf Monaten alleine in Ankara: mehr als 160 Tote bei drei Selbstmordanschlägen. Und das ist nicht die einzige Gewaltstatistik, die eher auf ein Land im Bürgerkrieg als auf einen NATO-Partner und EU-Beitrittskandidaten wie die Türkei schließen lässt.

Am 14. März wurden 37 Menschen bei einem Terroranschlag einer PKK-Splittergruppe in Ankara getötet. (Bild: AP)
Am 14. März wurden 37 Menschen bei einem Terroranschlag einer PKK-Splittergruppe in Ankara getötet.

Kurdisch-Anatolien erinnert an Syrienkrieg
Die türkische Armee will seit Dezember mehr als 1200 PKK-Kämpfer getötet haben, auch zahlreiche Zivilisten und Angehörige der Sicherheitskräfte kamen ums Leben. Kurdische Ortschaften wie Cizre sind nach den Militäraktionen kaum mehr von syrischen Städten zu unterscheiden, so verheerend ist die Zerstörung. Die Gewalt, für die Ankara ausschließlich die PKK verantwortlich macht, hat nach offiziellen Angaben an die 350.000 Menschen vertrieben. Sie suchen bislang noch im eigenen Land Schutz - und nicht in der EU.

Syrien? Nein, die kurdische Staat Cizre in der Türkei (Bild: APA/AFP/ILYAS AKENGIN)
Syrien? Nein, die kurdische Staat Cizre in der Türkei

Die PKK - bzw. die aus ihr hervorgegangene Splittergruppe Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) - ist für die jüngsten Terroranschläge verantwortlich. Der Türkei-Experte Gareth Jenkins warnt, die ewigen Beteuerungen aus Ankara, die PKK werde besiegt, "sind wie ein rotes Tuch für einen Bullen" - sie zwingen die PKK quasi zum Beweis des Gegenteils.

Kurden kehren in das durch Erdogans Militäraktionen zerstörte Cizre zurück. (Bild: APA/AFP/ILYAS AKENGIN)
Kurden kehren in das durch Erdogans Militäraktionen zerstörte Cizre zurück.

Erdogan hat die Türkei tief gespalten
Erdogan sieht in den zunehmenden Terroranschlägen einen Angriff auf die "Einheit und Solidarität unseres Volkes". Doch von Einheit kann keine Rede sein. Die Türkei ist unter Erdogan zutiefst gespalten. Die Bruchlinien verlaufen zwischen glühenden Verehrern und erbitterten Gegnern des Präsidenten. Und sie verlaufen immer mehr zwischen Türken und Kurden - von denen viele dem Staat unterstellen, nicht nur gegen die PKK, sondern gegen die Kurden insgesamt vorzugehen.

Kurden demonstrieren in Brüssel gegen den EU-Türkei-Deal. (Bild: APA/AFP/JOHN THYS)
Kurden demonstrieren in Brüssel gegen den EU-Türkei-Deal.

Der EU kann die alarmierende Lage in der Türkei eigentlich nicht gleichgültig sein, schließlich will sie die Beitrittsverhandlungen mit dem zunehmend instabilen Land sogar beschleunigen. Dennoch schweigt Europa zur Eskalation der Gewalt. Der Grund: Die EU will Erdogan nicht verärgern, der sich Einmischungen von außen verbittet - und den sie braucht, um der Flüchtlingskrise Herr zu werden.

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