"Krone" in Kairo
Die jungen Ägypter “kämpfen bis zum letzten Atemzug”
Dienstag früh, kurz nach 7 Uhr, in einer Seitengasse des Tahrir-Platzes im Herzen von Kairo: Nebelschwaden ziehen durch die Straßenzüge, ein paar streunende Hunde suchen in umgestürzten Mülltonnen nach fressbaren Abfällen, beim Bahnhof brennt ein Stapel mit alten Autoreifen. Im improvisierten Straßencafé ziehen Bauarbeiter seelenruhig an ihren Wasserpfeifen - Alltag in der Metropole.
Plötzlich ein Knall. Schusssalven durchbrechen das Morgengrau. Hektik. Hysterisches Geschrei, der beißende Geruch von Tränengas. Eine Heerschar von jungen Männern mit Holzstecken und selbst gebastelten Schutzschilden in der Hand stürmt von einer Sekunde auf die andere über die eben noch leere Ausfahrtstraße Richtung Autobahnbrücke. Ein Kutscher bahnt sich mit einem Pferdegespann den Weg durch die Massen.
"Sie schießen wieder auf uns"
"Sie schießen wieder auf uns! Das sind Heckenschützen, die sich am Dach der Einwanderungsbehörde verschanzt haben!", brüllt ein Teenager. Auf seinem Kopf trägt er ein Tuch in den ägyptischen Nationalfarben Rot, Schwarz und Weiß. Andere versuchen die aufgebrachte Horde zu beruhigen: "Das waren nur Warnschüsse, kein Grund zur Panik..."
Szenen wie diese sind mittlerweile allgegenwärtig im postrevolutionären Ägypten. Mubarak ist weg, die Verunsicherung bleibt. Radikale Moslems nutzen das Machtvakuum, die einst so gefürchtete Polizei hat sich gleichsam aufgelöst. Hunderte Jugendliche belagern jede Nacht die Innenstadt. Wofür oder wogegen sie genau demonstrieren, ist nicht einmal ihnen selbst immer ganz klar. Aber es gibt wieder einen gemeinsamen Feind: das allmächtige Militär. "Solange sie sich nicht zurückziehen, wird es hier keinen Frieden geben", erzählt Adam El Masri (Bild).
Streifschuss nur durch Zufall überlebt
Dass der 24-jährige Computer-Ingenieur nicht zu den Dutzenden Todesopfern der vergangenen Tage gehört, grenzt an ein Wunder. "Ich wurde vor einer Woche von einem Streifschuss getroffen", sagt er und zeigt auf seine Wunde am Becken. Sein Gesicht ist in einen Verband gehüllt: "Letzte Nacht wollte ich einer Frau helfen, dann haben sich die Soldaten auf mich gestürzt und mich verprügelt und ausgeraubt."
Es ist die Verbitterung über den Stillstand, die diese junge Generation so hart trifft. "Ich bin seit Ende Jänner jeden Abend hier", sagt der ebenfalls von den Kämpfen gezeichnete Mohammed. Sein Bruder starb bei einer der ersten Schlachten. "Dabei wollen wir doch nur eines, nämlich Freiheit", sagt der Student der Wirtschaftswissenschaften.
"Wir kommen nächste Nacht wieder"
Wie diese Freiheit genau aussehen soll, das weiß er auch nicht. Doch über eines ist er sich umso klarer: "Ich komme nächste Nacht wieder. Wir alle kommen nächste Nacht wieder!" Ob der Freiheitsplatz seinem Namen wohl je gerecht wird? Für die nahe Zukunft sieht es dafür jedenfalls recht düster aus. Und das liegt nicht nur am dichten Nebel, der die Stadt derzeit umhüllt...
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