Türkei-"Putsch"

Dilettanten am Werk oder doch eine Inszenierung?

Ausland
17.07.2016 20:40

Ein "dilettantisch" durchgeführter Putschversuch, der binnen weniger Stunden niedergeschlagen wird. Fast 3000 Richter, die landesweit im Zuge einer "Säuberungsaktion" umgehend verhaftet werden, ohne dass ihnen eine Beteiligung an den Umsturzplänen nachgewiesen werden kann. Ein islamischer Prediger, der seit 1999 im US-Exil lebt und wiederholt als Sündenbock für innenpolitische Krisen dient. All das riecht für viele Beobachter der jüngsten Ereignisse in der Türkei nach einer großen Inszenierung. Was ist dran an den Verschwörungstheorien?

Auch diesmal vermutet Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan seinen Erzfeind Fethullah Gülen hinter dem Putschversuch und fordert, dass die USA den 75-jährigen Prediger festnehmen oder gleich an die Türkei ausliefern. Gülen bestreitet jeglich Verwicklung. In einem seltenen Zeitungsinterview sagte der Kleriker am Samstag der "New York Times", möglicherweise stehe Erdogan selbst hinter dem ganzen Chaos.

Gülen: "Einige Führer inszenierten falsche Attentate"
Als Reaktion auf diese Inszenierung könnte der Staatschef nun seine Macht weiter ausbauen und Regierungsgegner aus der Justiz und dem Militär zu entfernen. Einige Führer inszenierten "falsche Attentate", um mit stärkerer Hand regieren zu können, "solche Leute könnten sich solche Szenarien einfallen lassen", betonte Gülen, der seinerseits den Putschversuch auf das Schärfste verurteilte.

Am Sonntag gab der 75-Jährige bekannt, dass er sich einem Auslieferungsbeschluss fügen würde. US-Außenminister John Kerry hat bereits zugesichert, ein Auslieferungsgesuch der Türkei prüfen zu wollen. Allerdings müsste Ankara richtige Beweise gegen den Prediger vorlegen.

Fethullah Gülen (Bild: Associated Press)
Fethullah Gülen

Politologe: "Das alles hat einen eigenartigen Beigeschmack"
Der Wiener Politikwissenschaftler Cengiz Günay schließt ebenfalls nicht aus, dass eine Inszenierung hinter den Ereignissen der vergangenen Tage steckt. "Das sind schlechte Zeiten für die Türkei. Ich bin sehr besorgt", erklärte der Experte. Es sei schon jetzt eine "Mobilisierung für Erdogan" bemerkbar. "Interessant" ist laut Günay auch, dass die Bevölkerung sogar von Moscheen aus mobilisiert und zum Protest aufgerufen wurde. "Das alles hat einen eigenartigen Beigeschmack, der natürlich Anlass zur Spekulation gibt, dass da selbst, wenn der Putsch von anderen organisiert worden ist, jetzt die Ausbeutung des Themas sehr stark durch Erdogan passiert", betonte der Experte des Österreichischen Institut für Internationale Politik.

Schon zuvor "gewisse Listen"
Er verstehe auch nicht, wie bereits am nächsten Tag nach dem Putschversuch Hunderte Richter verhaftet werden können. Dass nun sogar Verfassungsrichter verhaftet wurden, lege nahe, dass schon vorher "gewisse Listen" mit möglicherweise der Bewegung Gülens nahestehenden Personen existiert hätten.

War der Putsch nicht verdächtig dilettantisch?
Mit zehn Panzern, 1000 Soldaten, sechs Kampfflugzeugen und zwei Hubschraubern könne man keinen Putsch machen, stellte der Militärexperte Mehmet Tezkan von der Zeitung "Miliyet" fest. Von strategisch wichtigen Plätzen und Gebäuden waren nur wenige besetzt, so zum Beispiel der Atatürk-Flughafen und die Bosporus-Brücke in Istanbul. Die Kontrolle über alle Rundfunkanstalten und über das Internet konnte ebenfalls nicht hundertprozentig erlangt werden. Wie Aufnahmen aus der Putschnacht zeigen, standen viele Soldaten mit ihren Panzern nur herum und schienen nicht so recht zu wissen, was zu tun sei.

(Bild: APA/AFP/ADEM ALTAN)

Erdogan kreiste unbehelligt durch die Luft
Einen weiteren Hinweis auf eine Inszenierung orten selbsternannte Verschwörungstheoretiker anhand der Flugstrecke jenes Flugzeugs der Turkish Airlines, in dem der vom Putschversuch unterrichtete Präsident Erdogan saß. Obwohl sechs Kampfjets von Putschisten gesteuert wurden, kreiste das Flugzeug über der Marmara-Region, bevor es nach Istanbul flog. Die Präsidentenmaschine wäre in Reichweite der Kampfjets gewesen und diese hätten sie über Transpondersignale identifizieren können.

22 Uhr an einem Freitag
Auch die Uhrzeit - 22 Uhr an einem Freitag - sei eher unüblich für eine Geheimoperation, die sowohl die Regierung als auch die Bevölkerung überraschen und überrumpeln sollte...

Hat Geheimdienst rechtzeitig Pläne durchschaut?
Laut dem ARD-Korrespondenten Reinhard Baumgarten dürfte allerdings der türkische Inlandsgeheimdienst Wind von den Putschplänen bekommen haben. Aus diesem Grund habe die Operation früher als geplant beginnen müssen, schrieb Baumgarten in einer Analyse für die ARD-"Tagesschau".

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