Darf Peiniger blenden
Stunde der Rache für mit Säure verätzte Iranerin
Der Kampf der Ameneh Bahrami um Gerechtigkeit scheint in dieser Woche also seinen Abschluss zu finden. Sie war 24 Jahre alt, studierte Elektrotechnik in Teheran und führte ein unbeschwertes, glückliches Leben. Bis ein Kommilitone, der vergeblich um ihre Liebe und Zuneigung gebuhlt hatte, die Studentin in einen dunklen, schmerzhaften Abgrund stürzte.
Die Schwefelsäure, die der Attentäter über Ameneh vergoss, zerfraß das Gesicht der schönen, jungen Frau und raubte ihr das Augenlicht. Sie erlitt Verbrennungen an Gesicht, Brust, Armen und Händen – die Säure griff überdies auch Speiseröhre und innere Organe an. Rund 20 Operationen musste sich Ameneh seit jenem Anschlag unterziehen. Schon für den 30. Mai ist ein weiterer Eingriff an Mund und Nase in Barcelona geplant, wo sich die Iranerin seit mehreren Jahren medizinisch behandeln lässt.
In einem beispiellosen Gerichtsverfahren erstritt sich die Iranerin im Jahr 2008 ein Blutracheurteil, welches ihr nach islamischem Recht zugestand, ihren Peiniger mit Säure zu blenden – obwohl eine Frau im Iran nur halb so viel wert ist wie ein Mann. Die Scharia nennt das Recht "Qisas" - es ist das alte "Auge um Auge, Zahn um Zahn"-Prinzip. Der Richterspruch erregte weltweit Aufsehen.
"Irgendwann wird er schreien. So wie ich jeden Morgen schreie"
In ihrem Buch "Auge um Auge" ließ Ameneh Bahrami die Vollstreckung dieses Urteils im vergangenen Jahr noch offen. Dort zitierte sie ihren Großvater, der ihr riet: "Den Wettstreit um die Menschlichkeit gewinnt, wer verzeiht. Nicht der, der nimmt oder zerstört." Gleichwohl beschrieb sie in ihrem Buch auch ihre immer wiederkehrenden Tagträume, in denen sie mit einer Pipette dem betäubten Attentäter mit ruhiger Hand die zerstörerische Säure in die Augen träufelt: "Irgendwann wird er schreien. Wenn er wieder aufwacht. So wie ich jeden Morgen schreie, wenn ich meine Augen öffnen möchte und es nicht kann."
"Ich bin sicher, dass ich das Urteil vollstrecken werde"
Der Zwiespalt der Ameneh Bahrami zwischen Rache und Vergebung scheint am Samstag um 12 Uhr sein Ende zu finden. Dann wird sich entscheiden, ob sie den finalen Schritt zur Vollstreckung tatsächlich gehen möchte. Alles sieht zurzeit danach aus. Nur wenige Stunden nach dem Anruf aus Teheran erklärte Ameneh im Gespräch mit dem deutschen Autor Michael Gösele, der auch ihr Buch geschrieben hat: "Ich bin sicher, dass ich das Urteil vollstrecken werde. Ich mache das nicht für mich, sondern für die gesamte iranische Bevölkerung. Ich möchte nicht, dass sich so eine Tat noch einmal wiederholt. Das ist keine Vergeltung, sondern eine Lehre."
Behörden raten ihr, bis Samstag unterzutauchen
Ihr Bruder wird die junge Frau am Samstag mit dem Auto zu dem Justizkrankenhaus fahren. Eine Stunde vor dem Vollstreckungstermin soll sie dort erscheinen. Wenn sie ihrem Peiniger Madschid Mowahedi gegenübertritt, werden ihre Eltern, ihr Bruder und zwei Reporter sie begleiten. Bevor sie ihrem Attentäter die Säure in die Augen tropfen soll, wird der Mann eine Narkose bekommen. Im Gegensatz zu ihr damals wird er also keine Schmerzen haben. Wer Ameneh dabei die Hand führen wird, ist derzeit noch unbekannt.
Der Sprecher der iranischen Justizbehörden jedenfalls riet Ameneh, bis zum Vollstreckungstermin unterzutauchen, um einem möglichen Mordanschlag durch Angehörige des Delinquenten zu entgehen. Ein Leben in absoluter Dunkel- und Abgeschiedenheit bis zum Samstag – das kennt die Iranerin viel zu gut. Genauer gesagt, seit sie sich in ihrer Heimat vor Gericht, in einem Prozess über mehrere Instanzen, das Recht erstritt, den Mann zu blenden, der ihr aus verschmähter Liebe das Leben zerstört hatte. Sie hatte auch durchgesetzt, dass sie den Mann auf beiden Augen blenden darf. Ursprünglich hatten die Richter ihr nur ein Auge des Täters zugestanden. Nach dem Scharia-Recht sind zwei Augen einer Frau nur ein Auge eines Mannes wert.
"Ich habe fast alles verloren"
"Das Attentat hat mein Leben zerstört", sagte sie. "Ich habe fast alles verloren, mein Gesicht, mein Augenlicht, meine Arbeit." Die Haut ihres Gesichts ist narbig und gespannt. Ihr rechtes Auge ist aus Glas, das linke von einem Hautstück überwachsen. Die Ärzte haben praktisch keine Hoffnung, dass sie jemals wieder sehen kann - und das wegen eines Studienkollegen, der es nicht ertragen konnte, dass sie ihn nicht heiraten wollte.
Dabei kannten sie sich nicht einmal gut, wie Ameneh sagte. "Er war kein Freund oder Verlobter. Ich hatte ihn nur in der Universität ein paar Mal gesehen." Der Antrag war über die Mutter des Mannes übermittelt worden. Als sie ihn zurückwies, stoppte er sie an jenem Tag im September 2004 auf der Straße in Teheran und schüttete ihr die Schwefelsäure ins Gesicht.
Seit dem Attentat sitzt "el chico", "der Bursch", wie Ameneh ihren Peiniger nennt, im Gefängnis. Nun verkündete das Gericht, dass er die Möglichkeit habe, gegen Bezahlung einer Strafe von umgerechnet 150.000 Euro an Ameneh nach der Vollstreckung das Gefängnis zu verlassen. Andernfalls muss Madschid Mowahedi den Rest seiner zwölfjährigen Gefängnisstrafe absitzen – auch ohne Augenlicht.
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