Experten warnen:
Europa vor Flüchtlingsansturm aus Afghanistan
Danziger geht davon aus, dass in diesem Jahr bisher rund 70.000 Afghanen in Europa angekommen sind. In Österreich waren es bis Ende Juli 8490, womit Afghanen hinter Syrern die zweitgrößte Gruppe von Asylsuchenden sind. Knapp 23 Prozent aller Asylanträge werden laut Statistiken des Innenministeriums von ihnen gestellt.
Enorme Nachfrage nach Reisepässen
Deutsche Sicherheitsbeamte führten die steigende Flüchtlingszahl aus Afghanistan insbesondere auf eine Entscheidung der Regierung in Kabul zurück, berichtet die "Welt am Sonntag". Diese habe Anfang des Jahres begonnen, elektronisch lesbare Pässe auszugeben, mit denen eine Ausreise in den Iran möglich sei. Die Nachfrage sei enorm. "Wir haben nicht genug Beamte und technische Möglichkeiten, um rechtzeitig zu liefern", sagte der Leiter der afghanischen Passbehörde, Sayed Omar Saboor.
Nach Angaben aus deutschen Sicherheitskreisen habe die Zahl der Flüchtlinge aus Afghanistan zudem zugenommen, nachdem die Bundesregierung im August ihre Asylwerberprognose für 2015 auf insgesamt 800.000 erhöht hatte. In Afghanistan sollen Schlepper daraufhin das Gerücht gestreut haben, dass Deutschland über diese Zahl hinaus keine Flüchtlinge mehr aufnehmen werde. Die Folge sei eine massenhafte plötzliche Ausreise gewesen.
Armutszeugnis für internationale Gemeinschaft
14 Jahre nach dem Sturz des radikalislamistischen Taliban-Regimes ist die erneute Massenflucht aus Afghanistan auch ein Armutszeugnis für die internationale Gemeinschaft, der es nicht gelungen ist, das Land zu stabilisieren. "Viele Menschen, die damals zurückkamen, haben Afghanistan wieder verlassen", sagte Danziger.
Der afghanische Ex-Präsident Hamid Karzai appellierte vor wenigen Tagen an seine Landsleute: "Gebt nicht 10.000 Dollar aus, um nach Europa zu gelangen, ohne zu wissen, wie eure Zukunft aussieht, ob ihr auf dem Weg ertrinkt, sterbt oder zurückgewiesen werdet." Bei vielen Afghanen verfangen solche Appelle nicht mehr, sie haben die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in ihrer Heimat aufgegeben.
Hahn rechnet mit mehr Flüchtlingen aus dem Libanon
EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn hält zudem eine starke Zunahme der Fluchtbewegung aus dem Libanon Richtung Europa für möglich. Der Libanon sei "der fragilste Staat" in der Region, sagte Hahn der "Welt" am Samstag. "Von dort könnte die nächste große Flüchtlingswelle kommen." Hahn wies darauf hin, dass derzeit rund eine Million syrischer Flüchtlinge im Libanon leben. Es gebe dort eine hohe Arbeitslosigkeit und eine ausufernde Staatsverschuldung, das sei "eine gefährliche Mischung".
Er habe "immer wieder darauf hingewiesen", dass es rund um Europa 20 Millionen Flüchtlinge gebe und "das enorme Risiko besteht, dass sie sich in Bewegung setzen", sagte Hahn. Nunmehr sei "genau diese Krise eingetreten". Es sei "leider so", dass die Verantwortlichen erst dann reagierten, "wenn die Dinge vor Ort stattfinden". Hahn begrüßte die Ergebnisse des Europäischen Rats aus dieser Woche, sagte aber, dies könne "nur ein Anfang sein".
Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten in der Nacht auf Donnerstag beschlossen, eine Milliarde Euro für die Versorgung von Flüchtlingen rund um Syrien bereitzustellen, stärker mit der Türkei zusammenzuarbeiten und die eigenen Grenzen stärker zu sichern.
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