Streit auf EU-Gipfel

Faymann: “Es bleibt beim Ende des Durchwinkens”

Ausland
08.03.2016 08:07

Die Europäische Union ist zerstritten wie noch nie, im Ringen um eine Lösung in der Flüchtlingskrise brach am Montag beim EU-Türkei-Gipfel in Brüssel ein Machtkampf unter den Mitgliedsstaaten aus. Und Ankara stellt weitere Forderungen: noch einmal drei Milliarden Euro, Visafreiheit sowie ein absurdes "Asylwerber-Karussell". Das verstoße gegen die Spielregeln, so der Tenor. Bundeskanzler Werner Faymann stellte nach dem Treffen jedenfalls klar: "Es bleibt beim Ende des Durchwinkens auf der Balkanroute."

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat die Devise vorgegeben: "Ich hoffe, er kommt mit dem Geld zurück", sagte er über die Teilnahme von Regierungschef Ahmet Davutoglu beim EU-Gipfel.

Zahlreiche Forderungen der Türkei
Und so präsentierte Ankara in letzter Minute eine neue Wunschliste. Die Türkei fordert nun bis 2018 drei Milliarden Euro zusätzliche Unterstützung für syrische Flüchtlinge, also insgesamt sechs Milliarden. Die frühestens für den Herbst vorgesehene Visafreiheit für türkische Bürger soll spätestens Ende Juni kommen. Zudem sollen in den EU-Beitrittsverhandlungen umgehend fünf neue Kapitel eröffnet werden.

Die Verhandler auf dem EU-Gipfel: Werner Faymann (li.), Ahmet Davutoglu (Mitte), Angela Merkel (re.) (Bild: APA/AFP/POOL/VIRGINIA MAYO)
Die Verhandler auf dem EU-Gipfel: Werner Faymann (li.), Ahmet Davutoglu (Mitte), Angela Merkel (re.)

Dazu kommt ein mehr als eigenartiges "Flüchtlings-Karussell": Die Türkei ist bereit, sämtliche Neuankömmlinge aus Griechenland zurückzunehmen. Im Gegenzug soll die EU für jeden abgeschobenen Syrer im Rahmen eines "Resettlement" einen anderen der 2,7 Millionen Syrer aufnehmen, die schon in der Türkei leben. Im Klartext: Kommen 3000 Flüchtlinge in Griechenland an, werden sie zurück in die Türkei geschickt. Sind 1500 Syrer darunter, werden 1500 andere Syrer auf die EU-Staaten umverteilt.

Orban legte Veto gegen Deal ein
Klingt absurd, ist es auch. Noch dazu, weil nicht klar ist, wo die Asylwerber hin sollen, der Widerstand gegen einen Verteilungsschlüssel ist groß. Ungarns Regierungschef Viktor Orban etwa legte umgehend ein Veto gegen den Deal ein. Man werde nicht zustimmen, "Asylwerber direkt aus der Türkei umzusiedeln", sagte Orban. Ungarn lehnt seit Monaten strikt jede Aufnahme von Flüchtlingen im Rahmen europäischer Verteilungsmechanismen ab. Orban will seine diesbezügliche Politik auch mit einem Referendum einzementieren.

Und der britische Premier David Cameron sagte, sein Land werde nicht an einem gemeinsamen europäischen Asyl-System teilnehmen. Stundenlang wurde gestritten, viele Länder sprachen von einer Erpressung. Schließlich signalisierte die EU Bereitschaft, auf den Deal einzugehen, Details blieben aber offen.

Viktor Orban (Bild: AFP)
Viktor Orban

EU-Granden trotz allem optimistisch
Trotz der Kritik an Ankara wird in den Schlussfolgerungen des Gipfels der türkische Vorschlag "herzlich begrüßt". Alle 28 EU-Staaten erklärten, dass sie die Eckpunkte mittragen. EU-Ratspräsident Donald Tusk soll bis zum nächsten Gipfel die Feinheiten ausarbeiten. Bundeskanzler Faymann sagte, der genaue Inhalt einer möglichen Vereinbarung mit der Türkei sei noch auszuverhandeln und soll beim nächsten Gipfel vorgelegt werden. Allerdings hält er die Zweifel an der Türkei als Partner "nicht für eine Kleinigkeit".

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel erklärte, wenn der Vorschlag beschlossen und dann umgesetzt werde, sei das "der Durchbruch". Wenn sich die gefährliche Reise durch die Ägäis nicht mehr lohne, weil es nach der Ankunft in Griechenland gleich zurück in die Türkei gehe, könne dies mit den anderen getroffenen Maßnahmen "die Illegalität verschwinden lassen". EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagte, es werde für Syrer "keine Anreize mehr geben, Schmuggler zu bezahlen". Und Tusk erklärte: "Die Tage irregulärer Einwanderung sind vorüber."

Die Eckpunkte des Deals mit der Türkei
Mit der Türkei wird nun laut EU-Kommission über folgende Punkte verhandelt:

  • Rückführung aller Migranten, die unerlaubt aus der Türkei auf die griechischen Inseln übersetzen. Die Kosten dafür trägt die EU.
  • Geordnete Aufnahme von syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen durch die EU-Staaten. Für jeden Syrer, der von den griechischen Inseln zurück in die Türkei gebracht wird, soll einer legal in die EU kommen können. Dafür könnte der existierende Rahmen zur Umsiedlung von Flüchtlingen genutzt werden.
  • Beschleunigung des Verfahrens zur Aufhebung der Visumpflicht für türkische Staatsbürger, die in die EU reisen wollen. Ziel ist es, dass Türken spätestens von Ende Juni an kein Visum mehr für Reisen in EU-Länder brauchen.
  • Mehr Tempo bei der Auszahlung der drei Milliarden Euro, die die EU der Türkei bereits im November für die Versorgung von Flüchtlingen zugesagt hat. Die ersten Projekte sollen bis Ende März finanziert werden. Zudem soll die EU über zusätzliche Hilfsgelder entscheiden.
  • Start der Vorbereitungen für eine Ausweitung der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.
  • Zusammenarbeit mit der Türkei, um die humanitären Bedingungen in Syrien zu verbessern. Ziel ist es, dass die lokale Bevölkerung und Flüchtlinge in einigermaßen sicheren Gebieten leben können.

Merkel wirbelte alles durcheinander
Zuvor hatte Merkel noch alles durcheinandergewirbelt und ihre Macht demonstriert. "Die Balkanroute ist geschlossen" - dieser Satz aus dem Gipfel-Entwurf, mit dem die EU die Wende in der Flüchtlingspolitik einleiten wollte, löste einen Machtkampf aus. Merkel torpedierte diese Fassung, die so völlig konträr zu ihren bisherigen Aussagen ist. Die Mini-Änderung heißt nun: Der Migrationsstrom über die Balkanroute ist zum Erliegen gekommen.

Angela Merkel (Bild: APA/AFP/EMMANUEL DUNAND)
Angela Merkel

Faymann: "Ende des Durchwinkens"
Damit zeigte sich am späten Abend auch Faymann, unterstützt von Tusk sowie den Staaten entlang der Balkanroute, zufrieden. "Es ist ohnehin klar, dass das ein Ende des Durchwinkens bedeutet, dass die Balkanroute geschlossen bleibt", so Faymann. Die einfachste Zeit sei jene des Durchwinkens von Flüchtlingen gewesen. Aber "wir sind nicht dazu da, es jemandem leicht zu machen, sondern um Ordnung zu schaffen". Ohne den "klaren Aufschrei und den Weckruf Österreichs wäre es nicht zu dieser Dichte an Besprechungen gekommen - und auch nicht zu dieser klaren Entscheidung".

Werner Faymann (Bild: APA/BKA/Kerstin Joensson)
Werner Faymann

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Kostenlose Spiele
Vorteilswelt