Anti-Islam-Streifen
Filmproduzent hat Darsteller betrogen, Szenen nachvertont
In albernen Faschingskostümen und mit schlechter Schminke bewegen sich die Darsteller vor virtuellen Landschaften halb stotternd durch pathetische Dialoge ohne erkennbaren inhaltlichen Zusammenhang. Unter normalen Umständen würde diesem peinlichen Amateurwerk wohl keinerlei Aufmerksamkeit zukommen.
Der 14-minütige "Trailer" des Films war schon wochenlang "inkognito" auf dem Videoportal YouTube online und befand sich sogar auf dem Spielplan eines kleinen Kinos in Los Angeles - für einen halben Tag, ohne einen einzigen Zuschauer anzulocken.
Radikale machten Filmszenen bekannt
Erst mit in einer arabischen Synchronversion und einschlägiger Publicity durch TV-Sender im Nahen Osten vermochten es die Filmszenen, die Aufmerksamkeit Religionsfanatiker zu wecken und in bisher drei Ländern gewalttätige Ausschreitungen zu provozieren, die Menschen das Leben kosteten. Ihren Teil, den Film bekannt zu machen, trugen der in den USA lebende Kopten-Aktivist und Islamkritiker Morris Sadek sowie der als "Koran-Verbrenner" berüchtigt gewordene Pastor Terry Jones bei. Sadek entschuldigte sich mittlerweile, er habe die möglichen Konsequenzen nicht abgeschätzt. Jones bekundete indes, den Film in voller Länge zeigen zu wollen. Auch ein Anruf des Armee-Generals Martin Dempsey, Vorsitzender des US-Generalstabs, mit einer eindeutigen Warnung konnte Jones' nicht davon abbringen.
Spekulationen gibt es auch über radikale Kräfte in der arabischen Welt, die die Aufregung um den Film für ihre Agenden missbraucht und eskalieren lassen haben sollen - einige US-Abgeordnete vermuten eine Al-Kaida-Beteiligung bzw. sogar -Urheberschaft beim Sturm auf die US-Botschaft im libyschen Bengasi.
Dubioser Produzent gab Interviews
Einer Antwort auf die Frage, wer hinter dem Streifen steckt, hatte man sich drei Tage nach den ersten Vorfällen im Nahen Osten bisher nur mühsam genähert. Der Produzent des Films, der sich als Sam Bacile ausgibt, sowie ein angeblicher Berater des Urhebers namens Steve Klein haben der Nachrichtenagentur AP und dem "Wall Street Journal" Telefoninterviews gegeben. Bacile will demnach ein kalifornischer Geschäftsmann mit israelischen Wurzeln sein und insgesamt fünf Millionen Dollar Filmbudget bei rund 100 jüdischen Investoren eingesammelt haben.
Auf die Frage nach seinem Motiv sagte der Mann: "Der Islam ist ein Krebsgeschwür. Punkt." Mit seinem Film wolle er das aller Welt vor Augen führen. Denn die USA würden in ihren Kriegen nur Geld und Menschenleben opfern, er aber greife den Islam mit anderen, besseren Mitteln an. Sein Alter gab er einmal mit 52, einmal mit 56 Jahren an. Recherchen der "New York Times" zufolge gab und gibt es in Israel keinen Staatsbürger mit Namen Sam Bacile, auch konnte noch keiner der angeblichen Investoren namhaft gemacht werden. Für Rückfragen der Reporter war er dann nicht mehr erreichbar.
"Berater" vergleicht Film mit Van Gogh
"Berater" Klein sagte, er habe Bacile zwar nur zweimal getroffen, aber dieser sei mit Sicherheit kein Israeli und auch nicht jüdisch. Als die Reporter bei Bacile telefonisch nachfragen wollten, war dessen Telefonnummer bereits inaktiv. Laut CNN soll der Mittfünfziger Mann aus Ägypten stammen und in den USA mit christlichen Religionsfanatikern sowie mit Kopten-Aktivisten in Kontakt gestanden sein. Die ägyptische Koptenkirche verurteilte am Donnerstag "im Ausland lebende" Mitglieder ihrer Glaubensgemeinschaft, die die Produktion eines den Propheten Mohammed verunglimpfenden Films unterstützt hätten. Namen wurden aber nicht genannt.
Klein sagte dem "Wall Street Journal", er habe Bacile empfohlen unterzutauchen: "Ich sagte ihm, er soll verschwinden - sonst ist er der nächste Theo van Gogh." Der niederländische Regisseur, dessen Werk unvergleichbar mit der Faschingsvorstellung Baciles ist, wurde 2004 wegen seines islamkritischen Films "Submission" ermordet. Gegenüber Reuters stritt Klein jede Verantwortung für die jüngsten Ereignisse von sich: "Ob ich Blut an meinen Händen habe? Nein."
Mann namens "Basseley" unter Polizeischutz
Am Donnerstag wurde ein 55-Jähriger namens Nakoula Basseley Nakoula, der nach eigenen Angaben trotz Namensähnlichkeit nicht Bacile sein will, sondern der Leiter der Produktionsfirma des Films, in einem Ort südlich von Los Angeles unter Polizeischutz gestellt. "Wir haben eine Bitte erhalten, und wir reagierten darauf. Wir sind die Garanten der öffentlichen Sicherheit", ließ sich der Sprecher des Sheriffs von Los Angeles am Donnerstag zu den Gründen für die Anwesenheit der Polizisten vor Nakoulas Haus nicht mehr entlocken.
US-Medienberichten zufolge könnte es sich bei dem koptischen Christen sehr wohl um Sam Bacile handeln. Eine Handynummer, die bei Recherchen aufgetaucht war, führte zu ihm. Zudem sagen Mitwirkende an dem Film, dass er sich den Schauspielern und Mitarbeitern beim Dreh als "Sam Bassily" vorgestellt habe. Er selbst bestreitet, Bacile zu sein, er kenne ihn nur. Nakoula ist vorbestraft und war 2010 wegen Betrugs zu 21 Monaten Haft verurteilt worden.
Schauspieler: "Stehen zu 100 Prozent nicht hinter dem Film"
Immer wahrscheinlicher erscheint, dass der Film nicht durch die Zusammenwirkung einer größeren Gruppe entstand, wie die Szenen zunächst vermuten lassen, sondern von Bacile allein, eventuell mit ein paar Unterstützern wie Klein, orchestriert wurde. Mehr als 80 Schauspieler und Set-Mitarbeiter, die im Sommer 2011 auf eine Annonce geantwortet und für die Dreharbeiten in einer zum Studio umdekorierten Kirche in Kalifornien engagiert wurden, haben via CNN eine gemeinsame Erklärung abgegeben, in der sie sich vom Inhalt der Filmszenen distanzieren und dem Produzenten Betrug vorwerfen:
"Wir, die Schauspieler und Mitarbeiter, sind verärgert und fühlen uns vom Produzenten hintergangen. Wir stehen zu 100 Prozent nicht hinter diesem Film und wurden über seinen Zweck getäuscht. Wir sind schockiert über die drastische Abänderung des Drehbuchs und über die Lügen, die uns allen erzählt wurden. Die tragischen Ereignisse der letzten Tage erfüllen uns mit großer Trauer."
Drehbuch beschrieb Film über "Wüstenkrieger"
Als einziges Mitglied des Filmteams namentlich nennen ließ sich die Schauspielerin Cindy Lee Garcia (Bild). Der US-Website "Gawker" erzählte die Kalifornierin, wie die Mannschaft von Bacile getäuscht wurde. Das Drehbuch war in seiner ursprünglichen Fassung ein in der Antike spielendes Wüstenabenteuer bzw. ein Krimi mit dem Titel "Desert Warriors" (Wüstenkrieger). "Es hatte absolut nichts mit Religion zu tun. Kein Wort über Mohammed oder Muslime", sagte die aufgebrachte Schauspielerin zu "Gawker".
Die Figur des Propheten Mohammed hieß bei den Dreharbeiten "Master George", in sämtlichen Szenen sei nachsynchronisiert worden. Auch Garcias wenige Sekunden kurzer Auftritt im Trailer wurde sichtbar nachvertont. Sie sei aus allen Wolken gefallen, als sie ihre Figur die Worte "Ist dein Mohammed ein Kinderschänder?" sagen hörte. In der Szene im Anschluss wurde die Stimme eines Schauspielers durch "Ist dein Prophet schwul?" ersetzt.
"Ich hatte nichts damit zu tun - und jetzt sind wegen eines Films, in dem ich auftrete, Menschen zu Tode gekommen", sagte Garcia. Über die Identität des Produzenten konnte auch sie kaum Angaben machen. Nachdem sie in den Nachrichten Ausschnitte des Films sah, habe sie ihn angerufen. "Ich habe ihn gefragt, warum er das getan hat. Er meinte nur, er habe genug von radikalen Islamisten, die sich gegenseitig umbringen, und ich solle den anderen Schauspielern sagen, dass es nicht ihre Schuld sei." Ein weiteres Mal habe sie den Produzenten dann allerdings nicht mehr erreicht.
An ihren drei Tagen am Filmset im Juli 2011 sei Bacile ihr nicht großartig aufgefallen. Ein älterer Mann mit grauem Haar und eabe ein paar eigenartige Momente gegeben, zum Beispiel als Bacile wollte, dass eine Darstellerin, mit der "Master George" schlafen sollte, wie ein kleines Kind geschminkt wird. Ein Regieassistent habe dagegen Einwände erhoben. Bezahlt habe Bacile die Mitarbeiter per Scheck. Ob der Urheber des Films in den USA belangt werden kann, ist unklar.
Gewalttätige Proteste auch im Jemen
Die Proteste in der arabischen Welt haben sich nach dem tödlichen Sturm auf die US-Botschaft in der libyschen Stadt Bengasi auf weitere muslimische Länder ausgeweitet. Neben Ägypten, Libyen und dem Jemen, wo es bereits mehrere Tote und Hunderte Verletzte gibt, gingen auch in Tunesien, dem Gazastreifen, im Iran, in Afghanistan und in Pakistan erboste Muslime auf die Straßen.
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