Terror in Istanbul
Foto vom Moment der Explosion gibt Rätsel auf
Nach dem verheerenden Anschlag in Istanbul, bei dem ein Selbstmordattentäter am Dienstag zehn Touristen mit in den Tod riss, sorgt jetzt ein Foto für Rätselraten: Die bereits wenige Minuten nach dem Anschlag über soziale Netzwerke geteilte Aufnahme soll genau den Moment der Explosion im zentralen Altstadtviertel Sultanahmet zeigen. Unklar ist aber bislang, von wem das Foto gemacht wurde - und ob das Bild überhaupt echt ist.
Für die Echtheit der Aufnahme, die auch ein Screenshot von einem Video sein könnte, spreche laut übereinstimmenden Medienberichten, dass sie sich bis 9.46 Uhr MEZ (10.46 Uhr in Istanbul) zurückverfolgen lässt. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Foto - das ursprünglich nicht nur die Explosion, sondern auch ein Smartphone, auf dem das Foto gespeichert ist, zeigt - von der für den Sender CNN Turk tätigen Journalistin Özgen Aydos beim Kurznachrichtendienst Twitter geteilt. Die Aufnahme wurde somit nur elf Minuten nach dem Anschlag ins Internet geladen.
Ein Touristenführer habe das Bild in einer WhatsApp-Gruppe von Kollegen zugespielt bekommen und an CNN Turk weitergeleitet, beruft sich die "Berliner Morgenpost" auf den türkischen Journalisten Mehmet Atakan Foca, der Erfahrung in der Verifizierung von Bildern hat. In elf Minuten ohne Kenntnis des genauen Explosionsorts ein solches Bild zu erstellen, hält Foca demnach für "fast ausgeschlossen".
Wer hat das Foto aufgenommen?
Unklar ist auch, wer das Foto aufgenommen hat. Foca kontaktierte jenen Touristenführer, der das Bild an CNN Turk geschickt hatte. Der habe angegeben, ein Kollege sei von einem Touristen einer Reisegruppe gefilmt worden, das Bild sei dabei entstanden. Doch auch er habe keinen Kontakt zu jenem Touristenführer vor Ort herstellen können, der das Bild von dem Touristen erhalten haben soll. Die Information, dass das Bild von einem Urlauber aufgenommen worden sei, sei bisher also "von keinem unmittelbaren Zeugen bestätigt", schreibt die "Berliner Morgenpost".
Auch die Recherchen der "Bild"-Zeitung brachten dazu vorerst nichts Erhellendes ans Tageslicht. "Aus diesen mysteriösen Umständen kann bislang auch nicht ausgeschlossen werden, dass kein Unbeteiligter, sondern ein in die Pläne eingeweihter Helfer des Attentäters das Foto bzw. das Video, aus dem es stammt, gemacht hat", mutmaßt die "Bild" deshalb. Allerdings wäre das Foto "dann eher zunächst in einem Islamisten-Forum mit einem Bekennerschreiben als bei traditionellen Medien aufgetaucht", gibt das Blatt zugleich zu bedenken.
Bislang unbeantwortet blieb auch eine Anfrage der "Morgenpost" bei CNN-Turk-Journalistin Aydos. Die weiteren Recherchen der Zeitung ergaben, dass die Agentur Zumapress mit Sitz in Kalifornien das Bild später Medien anbot. Zumapress erklärte dem Blatt, das Bild von der Agentur Depo Photos aus Istanbul erhalten zu haben. Depo Photos habe wiederum erklärt, es von einem Touristen bekommen zu haben. Auch Depo Photos reagierte auf Anfrage der "Morgenpost"-Redaktion bislang nicht.
Ort der Explosion im Bild deckt sich mit späteren Fotos
Eine weitere Frage, die es im Zusammenhang mit dem Foto zu klären gilt: Wo wurde es aufgenommen? Die "Bild"-Redaktion überprüfte eigenen Angaben zufolge den Aufnahmeort und -winkel des Bildes und glich ihn mit weiteren Anschlagsfotos und Kartenmaterial ab. Fazit: Die grelle Explosion auf dem Foto sei exakt an der Stelle erfolgt, an der sich der Selbstmordattentäter nahe einer Sitzbank, um die die deutsche Reisegruppe stand, in die Luft sprengte. Und auch die "Morgenpost" erklärte, der Ort der Explosion auf dem Bild würde zu den Fotos passen, die später von der Arbeit der Einsatzkräfte am Anschlagsort gemacht wurden.
Auch Widersprüche, die sich bei der Analyse des Fotos ergaben, seien den Berichten zufolge keine bzw. nur schwache Belege dafür, dass die Aufnahme eine Fälschung sein könnte. So findet es Foca, der selbst von der Echtheit des Bildes überzeugt ist, erstaunlich, dass nur wenige Menschen zu sehen seien. Im ersten Moment verwunderlich sei zudem laut "Bild", dass die "quasi in dem grellen Blitz" zu sehenden Menschen - die höchstwahrscheinlich durch die Detonation getötet oder verletzt wurden - in dem Foto so ruhig wirken.
Die Zeitung begründet dies damit, dass die Aufnahme direkt im Moment der Explosion gemacht wurde. Aufgrund der verzögerten menschlichen Reaktionsfähigkeit sowie der Trägheit von Massen (also beispielsweise Körpern) sei eine Reaktion - auch auf eine so heftige Explosion - erst nach Sekundenbruchteilen zu erwarten.
Dass es sich um eine echte Aufnahme handelt, lege der "Bild" zufolge zudem die Ausbreitung der Explosion nahe. Zu erkennen ist, dass sich die Schockwelle (der rötliche Schatten) rascher ausbreitet als der Feuerball. Auch dass ein Großteil der Explosionskraft nach oben geht, deckt sich mit Videos anderer Bombenattentate, schreibt die Zeitung in ihrer Analyse.
Handy könnte von Behörden sichergestellt worden sein
Sollte das Foto ein Screenshot eines Videos sein, stellt sich zudem die Frage, warum dieses noch nicht aufgetaucht ist. Manche Medienunternehmen würden dafür große Summe zahlen, wie die "Morgenpost" einwirft. Aber auch dafür gebe es Erklärungen: "Wer immer die Szene festgehalten hat, hat vielleicht ganz andere Gedanken. Oder will nicht, dass schreckliche Bilder öffentlich werden. Möglicherweise haben die Behörden das Handy auch für die Ermittlungen sichergestellt."
Fest steht: Um Klarheit über die Echtheit des Fotos zu erhalten, müsste die Aufnahme technisch mit Programmen zur Fotoforensik auf Manipulationen überprüft werden. Dazu muss aber laut "Morgenpost" das Originalbild vorliegen, denn beim Versenden über Chatdienste wie WhatsApp gehen Informationen verloren. Und wenn es sich dann auch noch um einen Screenshot von einem Video oder ein Foto vom Foto handelt, sei der Aufwand zur Überprüfung enorm.
Video: Blutiger Anschlag in Istanbul
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