Unglücksreaktor

Japan: Stickstoff soll Explosion im AKW verhindern

Ausland
07.04.2011 13:12
Die Schwierigkeiten im japanischen Unglücksreaktor Fukushima 1 nehmen kein Ende. Erst am Mittwoch ist den Arbeitern ein kleiner Erfolg geglückt, da sie das Leck, aus dem stark radioaktiv verseuchtes Wasser ausgelaufen war, geschlossen haben. Aber schon sehen sie sich mit dem nächsten Problem konfrontiert: einer drohenden Wasserstoffexplosion. Um diese zu verhindern, füllen Arbeiter seit Donnerstag Stickstoff in den Kraftwerksblock 1. Sie wollen das brisante Luftgemisch im Reaktorgehäuse verdünnen und so einer Detonation, wie sie kurz nach der Havarie stattfand, vorbeugen.

In den Tagen nach dem Tsunami vom 11. März war es in den Blöcken 1, 3 und 4 zu Wasserstoffexplosionen gekommen, die starke Zerstörungen angerichtet hatten. Die Verantwortlichen in Fukushima schätzen die Gefahr einer neuen Wasserstoffexplosion zwar als niedrig ein, dennoch müssten Vorkehrungen getroffen werden, weshalb mit der Einleitung von Stickstoff begonnen worden sei. Dadurch sei der Druck im Reaktorgehäuse - wie erwartet - leicht gestiegen, Zwischenfälle habe es allerdings keine gegeben, wie nationale Medien berichteten.

Wie der Fernsehsender NHK berichtete, ist der Kühlwasserstand im Reaktorblock 1 nach wie vor niedrig, so dass sich die Brennstäbe gefährlich erhitzen. Dadurch könnte sich das Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff getrennt haben. In diesem Fall steige das Risiko einer Knallgasexplosion. Mit Stickstoff lässt sich das gefährliche Gemisch verdünnen. Ebenso wie Tepco geht auch die japanische Atomsicherheitsbehörde NISA allerdings nicht davon aus, dass durch die Stickstoff-Zuführung große Mengen an radioaktivem Dampf aus dem Reaktorgehäuse strömen können.

Verseuchtes Wasser strömt weiter ins Meer
Doch nicht nur eine eventuell drohende Wasserstoffexplosion beschäftigt die Arbeiter im AKW, auch das radioaktiv verseuchte Wasser ist nach wie vor ein Problem. Nach dem tagelangen Auslaufen von stark radioaktiv verseuchtem Wasser ist das Leck an der Leitung des japanischen Atomkraftwerks Fukushima 1 durch den Einsatz von Flüssigglas zwar endlich geschlossen worden, doch aus Mangel an Alternativen wird weiterhin schwach radioaktives Wasser in den Pazifik abgeleitet, um Platz für stärker belastetes Wasser zu schaffen.

Experten machen sich Sorgen, weil das Wasser nicht nur schnell abbaubares Jod 131, sondern auch langlebiges radioaktives Caesium 137 enthält. Dadurch könnten Meerestiere dauerhaft radioaktiv belastet werden.

Tankfloß und Spezialschiffe sollen helfen
Die Behörden gehen davon aus, dass inzwischen 60 Millionen Liter Wasser im Keller der Reaktorgebäude sowie in unterirdischen Kanälen des Atomkraftwerkes stehen. Das Wasser behindert die Bemühungen, die Atomruine in den Griff zu bekommen und einen drohenden Super-GAU zu verhindern. Hilfe versprechen sich die Arbeiter nun von Spezialschiffen der US-Marine sowie von behelfsmäßigen Tanks, wie etwa einem Tankfloß, das vor dem AKW in Stellung gebracht werden soll. Außerdem ist die Rede von einem Zaun, der im Meer vor Fukushima verhindern soll, dass sich vergiftetes Wasser unkontrolliert im Pazifik ausbreitet.

Gegen das im AKW angesammelte Wasser soll auch ein Megafloat genanntes Tankfloß helfen. Es wird zunächst in eine Werft in der Tokioter Nachbarstadt Yokohama gezogen. Dort soll es für den Einsatz an der Atomruine umgebaut werden, wie die Nachrichtenagentur Jiji Press berichtete. Das stählerne Tankfloß werde voraussichtlich um den 16. April in Fukushima eintreffen. Es ist 136 Meter lang und 46 Meter breit. Bisher diente es im Hafen der Stadt Shimizu in der Provinz Shizuoka als schwimmende Insel für Angler.

Entschädigungszahlungen für Bevölkerung
Die Menschen aus der Gegend um Fukushima können sich nun auf erste Entschädigungszahlungen einstellen. Das Geld könnte zum Monatsende fließen - wie viel, ist aber noch unklar. Tepco werde zunächst vor allem für Arztkosten und Einkommensausfälle aufkommen, hieß es. Über die Höhe will sich Tepco mit der Regierung beraten, wie Kyodo unter Berufung auf den Konzern berichtete.

Rund 80.000 Anrainer der Atomruine hatten sich auf Weisung des Staates in Sicherheit bringen müssen. Zudem leiden viele Landwirte darunter, dass sie wegen radioaktiver Verstrahlung ihr Gemüse und Obst nicht mehr verkaufen können.

Endgültiges Aus für alle sechs Blöcke
Nach dem Willen der Regierung sollen alle sechs Reaktoren im Unglücks-AKW Fukushima 1 nie mehr ans Netz gehen. "Das ist sehr klar, wenn man an die gesellschaftlichen Umstände denkt", sagte Regierungssprcher Yukio Edano. Tepco hatte kurz zuvor noch erklärt, man wolle nur die Blöcke 1 bis 4 dauerhaft stilllegen - die zwei anderen Reaktoren seien noch funktionsfähig. Ob das neuere, rund zwölf Kilometer von Fukushima 1 entfernt gelegene Kraftwerk Fukushima 2 wieder in Betrieb genommen wird, will der Betreiber nach Anhörung der Meinung der Regierung entscheiden.

AKWs in Fukushima - eine Geschichte von Störfällen
Zum Zeitpunkt des Erdbebens am 11. März waren von den sechs Fukushima-1-Blöcken die Meiler 1, 2, 3, 5 und 6 in Betrieb. Zwei weitere Blöcke, 7 und 8, sind für den kommerziellen Betrieb ab 2014 und 2015 geplant. Das AKW Fukushima-Daiichi (Fukushima 1) ist 1971 ans Netz gegangen, Fukushima-Daini (Fukushima 2) liegt rund zwölf Kilometer entfernt und ging 1982 in Betrieb. 

Störfälle prägen die Geschichte beider Atomanlagen in Fukushima. Nach einem Erdbeben im Juni 2008 schwappte radioaktives Wasser aus einem Becken, in dem verbrauchte Brennstäbe lagerten. 2006 trat radioaktiver Dampf aus einem Rohr, 2002 wurden Risse in Wasserrohren entdeckt. Im Jahr 2000 musste ein Reaktor wegen eines Lochs in einem Brennstab abgeschaltet werden. 1997 und 1994 gab es ähnliche Vorfälle, bei denen etwas Radioaktivität freigesetzt wurde. Im September 2002 musste Tepco in einem Vertuschungsskandal einräumen, Berichte über Schäden jahrelang gefälscht zu haben - mehrere Manager traten daraufhin zurück.

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