"Unerwünscht"
Irland: 796 Kinderleichen in Massengrab “entsorgt”
In den irischen Heimen für unverheiratete Mütter lag die Kindersterberate "bei über 50 Prozent", erklärt Susan Lohan von der Initiative "Adoption Rights Alliance". Zu Tausenden wurden die kleinen Leichen anonym verscharrt. Der Fall, der derzeit Schlagzeilen macht, ist besonders grausam. Fast 800 Skelette liegen in einer Jauchegrube in Tuam, einem Örtchen im Westen des Landes.
Landesweit geschätzte 4.000 Kinderleichen "entsorgt"
Das sogenannte Mutter-Kind-Heim dort betrieben katholische Schwestern der Bon Secours von 1925 bis 1961. Es war eines von zehn Heimen dieser Art auf der grünen Insel. Das Massengrab ist spätestens seit den 1970er-Jahren bekannt, als zwei zwölfjährige Buben es zufällig entdeckten. Längst bekannt sind auch ähnliche Fälle, etwa ein Grab in Dublin, in dem mehr als 220 Kinder aus dem protestantischen Bethany-Heim heimlich anonym begraben wurden. Auf etwa 4.000 wird die Zahl der so "entsorgten" Kinderleichen insgesamt geschätzt.
"In solche Heime wurden 'gefallene Mädchen' vorübergehend eingesperrt, damit die Gesellschaft ihre Sünden nicht sehen muss", erklärt Lohan. Historiker schätzen, dass es in den zehn Heimen insgesamt 35.000 waren. Schwanger werden ohne Ehemann - das war im tiefkatholischen Irland eine Schande, die vor den neugierigen Augen der Nachbarn und Verwandten verborgen werden musste.
Minister: "Viele Erkenntnisse sind zutiefst verstörend"
Nachdem sich lange kaum jemand für das Grab in Tuam interessierte, sah sich der irische Kinder- und Jugendminister Charlie Flanagan diese Woche gleich zweimal genötigt, Stellung zu beziehen. "Viele Erkenntnisse sind zutiefst verstörend und eine schockierende Erinnerung an eine dunklere Vergangenheit in Irland, als unsere Kinder nicht so wertgeschätzt wurden, wie es hätte sein sollen", teilte er mit, verwies aber auch darauf, dass Irland nicht alleine dastehe mit dieser Vergangenheit. Mehrere Regierungsstellen prüften, wie man damit umgehe. Auch die Schwestern von Bon Secour meldeten sich zu Wort. Sie seien schockiert und bestürzt über die Berichte.
Ausgelöst hat diese Reaktionen unter anderem Catherine Corless. Sie bohrte so lange hartnäckig, bis sie Zugang zu Akten über das Heim bekam. Die Historikerin gab den fast 800 Toten eine Identität zurück. "Ich habe jetzt die Namen all dieser Kinder, ihre Geburtsdaten und das Alter, in dem sie gestorben sind", schreibt sie in einer Zusammenfassung ihrer Forschungsarbeit.
Historikerin: "Säugling zu behalten, war ausgeschlossen"
Corless berichtet von Gesprächen mit Müttern, die in solchen Heimen Kinder zur Welt brachten. Die Geschichten klingen grausig: keine Hilfe während der Wehen, keine Medikamente oder Schmerzmittel, harte Arbeit, um die dem Heim entstandenen Kosten abzustottern. Den Säugling zu behalten, war ausgeschlossen: "Da man sie schnell weggesperrt hat, hätte keine Familie erlaubt, dass die Tochter mit einem Baby zurück nach Hause kommt", schreibt die Forscherin.
Viele der Kinder wurden zur Adoption freigegeben, ihre Mütter sahen die meisten nie wieder. Einen dieser Fälle machte das Kino dieses Jahr international berühmt: "Philomena" erzählt die wahre Geschichte der pensionierten Krankenschwester Philomena Lee aus Irland. Sie brachte ihren unehelichen Sohn in der Abtei Sean Ross zur Welt, er wuchs bei US-Amerikanern auf und starb, bevor seine Mutter ihn fand.
Mehrere Bürgerinitiativen kämpfen dafür, dass die Adoptionsakten von damals freigegeben werden - so auch Lohan, die die "Adoption Rights Alliance" mitgegründet hat. "Wir verlangen eine umfassende und unabhängige Untersuchung dessen, was in den Mutter-Kind-Heimen passiert ist", sagt sie.
Bürgerinitiative verlangt Stellungnahme vom Regierungschef
Die Diözese Tuam werde in vollem Umfang kooperieren, versicherte Erzbischof Michael Neary diese Woche. "Ich kann mit nur ansatzweise vorstellen, welche emotionalen Qualen die Frauen ausgestanden haben, die ihre Babys zur Adoption weggegeben haben oder sie sterben sahen", schrieb er. Lohan und ihre Mitstreiter sind mit den Reaktionen bisher nicht zufrieden. Sie verlangen, dass Regierungschef Enda Kenny selbst Stellung bezieht.
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