Streit ums Geld

Orban lässt Türkei-Deal auf EU-Gipfel platzen

Ausland
08.03.2016 06:06

Der ungarische Premier Viktor Orban hat am Montag beim EU-Gipfel einen Deal mit der Türkei vorerst platzen lassen. Ankara forderte drei Milliarden Euro an zusätzlichen Hilfsgeldern bis 2018, die Aufhebung der Visapflicht für seine Staatsbürger bereits ab Juni sowie die Zusicherung zur verpflichtenden Aufnahme syrischer Kriegsflüchtlinge durch die EU - im Gegenzug für die Rücknahme aller in der Ägäis aufgegriffenen illegalen Migranten. Orban legte dagegen allerdings ein Veto ein, eine Entscheidung wurde somit vertagt.

Wie auf einem Basar und für viele unerwartet hatte der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu den Preis für die Rücknahme von Migranten am Nachmittag in die Höhe getrieben. Ankara fordert nun bis 2018 drei Milliarden Euro zusätzliche Unterstützung für syrische Flüchtlinge, also insgesamt sechs Milliarden. Zudem soll die frühestens für den Herbst vorgesehene Visa-Freiheit für türkische Bürger spätestens ab Juni kommen. Und in den Beitrittsverhandlungen sollen umgehend fünf neue Kapitel eröffnet werden.

"Resettlement" als Streitpunkt
Davutoglus Plan sieht vor, dass die Türkei ab einem bestimmten Zeitpunkt alle neuen Flüchtlinge aus Griechenland zurücknimmt. Die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge darunter will sie dann weiter in ihre Herkunftsländer abschieben. Für jeden Syrer, den Ankara aus Griechenland zurücknimmt, soll die EU im Rahmen eines "Resettlement" einen der 2,7 Millionen Syrer aufnehmen, die schon in der Türkei leben.

Doch wie jeder Teppichhändler, der zur Überraschung seines Gegenübers hoch pokert, könnte Davutoglu auf seinem "Angebot" sitzen bleiben. Für den Deal mit Ankara machte sich zwar die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel stark - für sie wäre eine Verlagerung der Flüchtlingskrise von der griechisch-mazedonischen zur griechisch-türkischen Grenze ein Befreiungsschlag, auch innenpolitisch kurz vor wichtigen Landtagswahlen. Doch Ungarns Ministerpräsident Orban legte in der Sitzung ein Veto ein - vor allem gegen die Aufnahme von Flüchtlingen per "Resettlement".

Veto von Orban, Entscheidung vertagt
Man werde nicht zustimmen, "Asylwerber direkt aus der Türkei umzusiedeln", sagte Orban. Ungarn lehnt seit Monaten strikt jede Aufnahme von Flüchtlingen im Rahmen europäischer Verteilungsmechanismen ab. Orban will seine diesbezügliche Politik auch mit einem Referendum einzementieren. Mit seinem Veto am Gipfel wurde die Entscheidung vertagt, nun soll in den nächsten Tagen weiterverhandelt werden.

Am Veto von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban ist ein Türkei-Deal vorerst gescheitert. (Bild: AP)
Am Veto von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban ist ein Türkei-Deal vorerst gescheitert.

Der beinharte Verhandlungspoker auf dem EU-Gipfel zum Nachlesen:

  • 21.36 Uhr: "Er hat ein Veto eingelegt gegen den Plan, wonach Migranten und Asylwerber direkt aus der Türkei nach Europa umgesiedelt würden" - mit diesen Worten erklärt der ungarische Regierungssprecher Zoltan Kovacs der Nachrichtenagentur Reuters die Haltung seines Ministerpräsidenten.
  • 21.25 Uhr: Laut neuesten Informationen scheiterte eine Einigung durch ein Veto von Ungarns Premier Viktor Orban.
  • 21.01 Uhr: Bereits Ende nächster Woche kommen die EU-Staats- und Regierungschefs zu einem weiteren Gipfel in Brüssel zusammen. Spätestens bei diesem Treffen soll dann weiter über den Deal mit der Türkei beraten werden.
  • 20.53 Uhr: So interpretiert der englische Journalist James Mates die Vertagung der Entscheidung: Die Türkei könnte sich mit ihren Forderungen zu weit aus dem Fenster gelehnt haben.

  • 20.51 Uhr: Laut ersten Informationen vertagt der EU-Gipfel die Entscheidung über einen möglichen Türkei-Deal.
  • 19.54 Uhr: Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere fordert die griechische Regierung bei einer CDU-Wahlkampfveranstaltung dazu auf, ankommende Flüchtlinge im Land zu behalten. Gemessen an der Bevölkerungszahl hätten Deutschland und Österreich im vergangenen Jahr weit mehr Menschen aufgenommen als Griechenland. "Das kann jetzt mal ausgehalten werden", erklärt er in Richtung Athen.
  • 19.32 Uhr: Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann diskutiert mit Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande:
  • (Bild: APA/BKA/KERSTIN JOENSSON)
  • 18.51 Uhr: "Wir wollen Flüchtlingswellen und tragische Ereignisse in der Ägäis verhindern", sagt der Davutoglu und signalisiert damit Zustimmung zu den neuen Vorschlägen der EU. Der Deal ziele darauf ab, Schlepper zu bekämpfen und Flüchtlinge von der Reise nach Europa abzuhalten.
  • 18.37 Uhr: Noch ist nicht gesichert, dass es am Montag überhaupt zu einer Einigung kommt. Ein Aufschub auf den nächsten EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag kommende Woche sei möglich, sagte ein Diplomat in Brüssel. Auch einige türkische Beobachter rechnen damit, dass eine Entscheidung noch länger brauchen könnte.
  • 18.33 Uhr: Der türkische Premier Ahmet Davutoglu begrüßt ersten Meldungen zufolge den neuen Vorschlag der EU. Dieser beinhaltet - wie berichtet - weitere drei Milliarden Euro, ein Ende der Visapflicht für Türken bis Juni und eine Vereinbarung zur Übernahme von syrischen Flüchtlingen direkt aus der Türkei.
  • 18.06 Uhr: Jetzt ist es fix: Beim EU-Gipfel geht es nicht um die ursprünglich kolportierten zusätzlichen 15 Milliarden Euro für die Türkei, sondern um "lediglich" weitere drei Milliarden Euro. Das zusätzliche Geld soll wieder für die Flüchtlinge zweckgewidmet sein und nicht direkt an die Türkei überwiesen werden.
  • 17.54 Uhr: Der türkische Premier verlässt vorerst die Beratungen mit der EU - und ist gut gelaunt:
  • Der türkische Premier Ahmet Davutoglu hat gut lachen, als er die Beratungen mit der EU verlässt. (Bild: AP)
    Der türkische Premier Ahmet Davutoglu hat gut lachen, als er die Beratungen mit der EU verlässt.

  • 17.49 Uhr: Offenbar bahnt sich ein neuer Deal zwischen EU und Türkei an: Demnach soll zeitlich befristet für jeden syrischen Flüchtling, der von der Türkei aus Griechenland zurückgenommen wird, ein anderer Syrer von der Türkei in einen EU-Staat umgesiedelt werden (resettlement). Die EU würde die Kosten übernehmen.
  • 17.06 Uhr: Die zuvor von Schulz angekündigten weiteren drei Milliarden Euro für die Türkei scheinen Teil einer EU-Antwort auf die 15-Milliarden-Euro-Forderung des türkischen Premier Davutoglu zu sein. Im Rahmen des Flüchtlingsdeals sollen bis Ende 2018 weitere drei Milliarden Euro in die Türkei fließen, zudem verpflichtet sich die Union auch, die Visapflicht für Türken bis Ende Juni aufzuheben.
  • 16.53 Uhr: Laut EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat die Türkei zur Bewältigung der Flüchtlingskrise bis 2018 zusätzlich weitere drei Milliarden Euro gefordert. Dies wäre damit weit von den lancierten Forderungen entfernt, dennoch aber immerhin eine Verdoppelung der bisher zugesagten Summe.
  • 16.43 Uhr: Derzeit tagen die Staats- und Regierungschefs der EU und beraten, wie sie mit den neuen Forderungen der Türkei umgehen sollen. Gegen 19 Uhr ist ein gemeinsames Abendessen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu geplant.
  • 16.37 Uhr: Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling lehnt Forderungen der Türkei über die bereits vereinbarten insgesamt drei Milliarden Euro hinaus ab. "Ich bin nicht bereit, über die drei Milliarden hinaus noch mehr Geld zur Verfügung zu stellen", sagt der ÖVP-Politiker.
  • 16.20 Uhr: Angeblich fordert die Türkei zur Bewältigung der Flüchtlingskrise 15 Milliarden Euro - verteilt über fünf Jahre.
  • Merkel lehnt Schließung der Balkanroute ab
    Vor dem Gipfel hatte sich Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel gegen eine Schließung der Balkanroute ausgesprochen. Die Zahl der Flüchtlinge müsse laut Merkel nicht nur für einige Länder, sondern für alle verringert werden. Dazu sei eine "nachhaltige Lösung" gemeinsam mit der Türkei erforderlich. Die deutsche Kanzlerin wandte sich damit gegen eine Formulierung im Entwurf der Schlusserklärung des Gipfels, wonach die Balkanroute für Flüchtlinge aus Syrien nun "geschlossen" sei. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz hatte zuvor eine Schließung der Balkanroute verteidigt.

    Diese Formulierung entspreche faktisch nicht den Tatsachen, auch wenn die Zahlen erheblich zurückgegangen seien, hieß es. Schon auf dem Flüchtlingsgipfel vor zwei Wochen war allerdings erklärt worden, die Politik des "Durchwinkens" Hunderttausender Flüchtlinge von Griechenland nach Mitteleuropa müsse ein Ende haben.

    Die Verhandler auf dem EU-Gipfel: Werner Faymann (li.), Ahmet Davutoglu (Mitte), Angela Merkel (re.) (Bild: APA/AFP/POOL/VIRGINIA MAYO)
    Die Verhandler auf dem EU-Gipfel: Werner Faymann (li.), Ahmet Davutoglu (Mitte), Angela Merkel (re.)

    Merkel fordert besseren Schutz der EU-Außengrenze
    Merkel forderte ferner die Verringerung der Zahl der illegalen Flüchtlinge - "und zwar nicht nur für einige wenige Länder, sondern für alle, auch für Griechenland. Deshalb brauchen wir eine nachhaltige Lösung, bei der der Schutz der Außengrenze, der Voraussetzung für Schengen ist, realisiert wird." Das alles müsse verbessert werden, "nicht durch wenige bilaterale Maßnahmen", sagte Merkel, ohne die jüngsten Schritte Österreichs mit der Obergrenze namentlich zu erwähnen.

    (Bild: AP,APA/AFP/EMMANUEL DUNAND, thinkstockphotos.de)

    Faymann für Schließung "aller Flüchtlingsrouten"
    Österreichs Kanzler Faymann hingegen forderte, "alle Flüchtlingsrouten" zu schließen. "Ich bin sehr dafür, mit klarer Sprache allen zu sagen: Wir werden alle Routen schließen, die Balkanroute auch. Schlepper sollen keine Chance haben", so Faymann. Er zeigte sich auch skeptisch zu einer nachhaltigen Lösung mit der Türkei. Es sei zwar gut, wenn man mit dem Nachbarn etwas ausmachen könne, aber: "Ob es hält, wird die Zukunft zeigen", so der Kanzler. "Alles, was herauskommt, ist gut. Darauf verlassen soll man sich nicht, man soll die Außengrenzen auch alleine schützen können."

    Wenn die Türkei akzeptiere, dass die Flüchtlinge gar nicht erst nach Griechenland kommen sollten, sondern die Verteilung in der Türkei stattfinde, "dann wäre das diese Ordnung, die wir immer verlangt haben".

    Die Regierungschefs der EU-Staaten mit dem türkischen Premier Ahmet Davutoglu (9. von links) (Bild: APA/AFP/ALAIN JOCARD)
    Die Regierungschefs der EU-Staaten mit dem türkischen Premier Ahmet Davutoglu (9. von links)

    Mikl-Leitner bezog auf CNN Stellung
    Innenministerin Johanna Mikl-Leitner bezog am Abend in der CNN-Sendung "Amanpour" Stellung zur aktuellen Flüchtlingskrise. Sie verteidigte einmal mehr den österreichischen Standpunkt und forderte die internationale Gemeinschaft zu mehr Hilfe auf. "Was tut der Rest der Welt?", war ihre Frage.

    Mikl-Leitner (Bild: APA/Herbert P. Oczeret)
    Mikl-Leitner

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