MH17-Jahrestag

Menschliche Tragödie mit weltpolitischen Folgen

Ausland
17.07.2015 06:00
17. Juli 2014, später Nachmittag: Flug MH17 verschwindet vom Radar. Bald herrscht grausame Gewissheit - die Boeing 777 ist über der Ostukraine abgestürzt. 298 Menschen sterben. Die Katastrophe gilt als emotionaler Wendepunkt der Krise im Donbass. Doch wer ist schuld an dem Drama vor genau einem Jahr?

Sichtlich erschüttert tritt der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte am späten Abend des 17. Juli 2014 vor die Kameras. "Dies ist ein tiefschwarzer Tag für die Niederlande", sagt der sonst so wohlgemute Premier am Amsterdamer Flughafen Schiphol. Die Boeing 777 mit Flugnummer MH17 der Malaysia Airlines ist kurz zuvor auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur über der Ostukraine abgestürzt. 298 Menschen verlieren ihr Leben.

Die Opfer kommen aus zehn Ländern, 196 sind Niederländer. Den Angehörigen und seinem zutiefst schockierten Land verspricht Rutte: "Wir werden alles tun, um die Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Wir werden jeden Stein umdrehen." Es klingt wie ein Schwur. Doch ein Jahr später ist das Versprechen weiter nicht eingelöst. Es prallt auf die knallharte Realität des militärischen Konflikts in der Ukraine und der neuen Ost-West-Spannungen.

(Bild: APA/EPA/ALEXANDER ERMOCHENKO)
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Niederländische Soldaten tragen den Sarg eines MH17-Opfers am Militärflughafen von Eindhoven. (Bild: APA/EPA/Marcel van Horn)
Niederländische Soldaten tragen den Sarg eines MH17-Opfers am Militärflughafen von Eindhoven.

Zugang zur Absturzstelle lange Zeit versperrt
Der Zugang zu den Steinen, die umgedreht werden sollten, ist im wahrsten Sinne des Wortes versperrt. Nur mit Mühe erreichen Bergungskräfte und Ermittler die Absturzstelle Hrabowe in dem heftig umkämpften Gebiet. Erst im Mai dieses Jahres werden die wohl letzten sterblichen Überreste geborgen und in die Niederlande ausgeflogen.

Der Absturz der Maschine zerstört auch die anfänglichen Hoffnungen auf eine lokale Begrenzung des Konflikts zwischen ukrainischen Regierungseinheiten und den von Russland unterstützten Separatisten, der im April 2014 ausgebrochen war. Die Konfrontation in der Ex-Sowjetrepublik bekommt durch die Tragödie mit vielen ausländischen Opfern auf einmal eine internationale Dimension.

Drama wird zum politischen Gefecht
Doch die Aufklärung des MH17-Dramas wird zum politischen Gefecht. Für Kiew ist die Schuldfrage sofort nach dem Abschuss geklärt: Schon zwei Stunden später verkündet der Berater des ukrainischen Innenministers Anton Geraschtschenko in einem erstaunlich detaillierten Bericht den Hergang samt präziser Opferzahl. "Terroristen haben mit einem liebevoll von Wladimir Putin übergebenen Flugabwehrsystem Buk ein ziviles Flugzeug abgeschossen", heißt es da. Keine Spur von den sonst bei Katastrophen dieser Art vorsichtigen Formulierungen oder offenen Fragen zu Ermittlungen.

Kiew hat demnach Hinweise, dass die Aufständischen in dem Gebiet über das Luftabwehrsystem Buk samt Raketen verfügten. Bereits drei Tage zuvor war eine ukrainische Transportmaschine in einer Höhe von 6.500 Metern von den militanten Gruppen abgeschossen worden. Anders als den MH17-Abschuss geben sie das auch zu. Sie beteuern aber, für Höhen, in denen Passagiermaschinen fliegen, keine passenden Waffen zu haben.

Auch die USA zeigen sich rasch überzeugt: Die Separatisten seien schuld, und der russische Präsident Putin trage die Verantwortung. Der australische Regierungschef Tony Abbott erklärt wütend, er werde sich Putin beim anstehenden G-20-Gipfel in Australien im November 2014 "vorknöpfen". An Bord der Maschine waren auch 27 Australier. Putin lässt Abbott abblitzen und betont einmal mehr, dass die Ukraine die Schuld trage, weil sie den Luftraum über dem Kriegsgebiet nicht gesperrt habe.

Niemand will es gewesen sein: Spekulationen blühen
Seither legen viele Seiten Dokumente vor. Telefonmitschnitte, Zeugenaussagen, Radarbilder und Satellitenfotos. Sie belegen vor allem eines: Niemand will es gewesen sein.

Komplott-Theorien und Spekulationen werden zusätzlich genährt, da der niederländische Sicherheitsrat, der die Untersuchung leitet, seinen Abschlussbericht noch immer nicht veröffentlicht hat. Russland sieht das als Zeichen, dass etwas vertuscht werden soll.

Der Sicherheitsrat, der nun im Oktober seinen Bericht vorlegen will, soll vor allem Antworten auf diese Fragen geben: Wurde die Maschine tatsächlich von einer Buk-Rakete abgeschossen? Und: Von welcher Stelle aus wurde das Geschoss lanciert? Wurde dieser Ort damals von ukrainischen Truppen kontrolliert - oder von den Separatisten?

Strafrechtliche Ermittlungen dürften schwierig werden
Experten können mit der Analyse der Trümmer, Fotos, der Aufnahmen von Satelliten, Radarbildern und der Daten der Flugschreiber sehr weit kommen. Schwieriger sind dagegen die strafrechtlichen Ermittlungen, die ebenfalls unter Leitung der Niederlande stehen. Die Frage ist, ob die Ermittler tatsächlich alle Beweismittel erhalten. Vieles ist in Händen der Geheimdienste in Russland, den USA und der Ukraine.

Dennoch sind die Ermittler zuversichtlich. "Wir kommen stichhaltigen und überzeugenden Beweisen immer näher", sagt der leitende Staatsanwalt Fred Westerbeke. Sie möchten so weit wie möglich in der Befehlskette vordringen, von "Ausführern" bis zu "Auftraggebern".

Doch was dann? Wer soll über mutmaßliche Täter Recht sprechen? Die Niederlande und auch Malaysia plädieren für die Einrichtung eines UN-Tribunals, nach dem Vorbild des UN-Kriegsverbrechertribunals zum früheren Jugoslawien in Den Haag. Doch dazu muss es eine Resolution des Weltsicherheitsrates geben. Und die Vetomacht Russland signalisiert bereits ihre Antwort: Njet. Sie fordert, dass zuerst die Ermittlungen abgeschlossen werden.

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