"Vatileaks"-Autor
“Papst als Opfer der Schattenregierung im Vatikan”
"Krone": Herr Nuzzi, Sie sind meist besser über die Vorgänge im Vatikan informiert als der überwiegende Rest der Welt. Was hat der Rücktritt Papst Benedikts ausgelöst?
Gianluigi Nuzzi: Viele Menschen innerhalb und außerhalb des Vatikans empfinden großes Mitgefühl für den Schmerz und die Leiden des Papstes. Sollte sein Gesundheitszustand so schlecht sein, wie ich es gehört habe, besteht Grund zur Sorge. Andererseits bin ich sehr beunruhigt, weil der Rücktritt des Papstes gezeigt hat, dass er die Kurie nicht reformieren und sich nicht gegen Vize-Papst Tarciso Bertone durchsetzen konnte.
"Krone": Hat der Papst demnach ein Machtspiel verloren?
Nuzzi: Ich weiß nicht, wie weit Benedikt XVI. die Ränke und Intrigen im Vatikan realisiert hat. Er ist ein großartiger Theologe, aber kein politischer Mensch. Um die Politik kümmerte sich ausschließlich Staatssekretär Tarciso Bertone. Von vielen Vorgängen hat er den Papst gar nicht informiert. Ein Beispiel: Dass Ettore Gotti Tedeschi am 24. Mai 2012 als Präsident der Vatikanbank zurückgetreten ist (er wurde von Benedikt XVI. 2009 eingesetzt, um die Missstände innerhalb des Instituts aufzuklären), hat der Papst am Abend zu Hause aus den Fernsehnachrichten erfahren. Und er hat geweint.
"Krone": Der Vatikan funktioniert wie eine absolutistische Monarchie, der Papst gilt darin als unfehlbar. Warum ist es für ihn dennoch so schwierig, Reformen durchzubringen?
Nuzzi: Der Papst hat es einfach nicht mehr geschafft, es passierten doch jeden Tag neue Intrigen und Machenschaften. Jetzt ist er einen Schritt zurückgegangen, um so etwas weiterzubringen. Im nächsten Pontifikat wird es kein immer müder und kränker werdendes Oberhaupt geben, das seine Befugnisse delegiert. Tarciso Bertone wird auch nicht mehr Staatssekretär sein. Seine einzige Möglichkeit ist es, nun die Kurie bei der Wahl zu beeinflussen. Merken Sie sich diesen Namen: Kardinal Piacenza. Ihn wird er als seinen Nachfolger ins Spiel bringen. Hier in Rom ist man bei all diesen Spekulationen übrigens sehr an der Meinung des Wiener Kardinals Christoph Schönborn interessiert. Er gilt als Bertone-Gegner und ist gleichzeitig ein Freund Ratzingers.
"Krone": In Ihrem Buch "Seine Heiligkeit" haben Sie geheime Dokumente aus dem Schreibtisch des Papstes veröffentlicht. Schadeten Sie damit letztendlich mehr Benedikt XVI. als gewissen Gruppierungen im Hintergrund?
Nuzzi: Die Skandale rund um die Vatikanbank, der Schriftverkehr der Jesuiten und alles, was ich von Paoletto weiß (Paolo Gabriele, ehemaliger Kammerdiener des Papstes), ergeben für mich das Bild einer Schattenregierung hinter dem Rücken des Papstes. Meine Informanten wollten dies aufzeigen, und dies war womöglich mit ein Grund, warum der Papst einen Schritt zurück gemacht hat.
"Krone": Sind Sie darauf stolz?
Nuzzi: Es stimmt mich traurig. Der Chefredakteur der Tageszeitung "Corriere della Sera" schreibt: "Der Papst war alleine, und man hat ihn alleine gelassen."
"Krone": Was macht nun Ihr Informant "Paoletto" Gabriele?
Nuzzi: Er arbeitet wieder für den Vatikan, aber außerhalb der Mauern in einem römischen Krankenhaus. Von ihm wird man kein Wort mehr dazu hören. Er schweigt wie ein Fisch.
"Krone": Wie sehen Sie die Rolle des Papst-Sekretärs Erzbischof Georg Gänswein?
Nuzzi: Er scheint mir wie Joseph Ratzinger ein einfacher Mensch mit hoher Bildung zu sein: transparent, direkt und nicht an Macht interessiert. Daher frage ich mich, warum Benedikt XVI. 2005 zum Papst gewählt wurde und welche Rolle bereits damals Tarciso Bertone gespielt hat.
"Vatileaks": Der verratene Papst
Nach "Vatikan AG" über die mafiösen Machenschaften der Vatikanbank schlug Nuzzis nächstes Buch "Seine Heiligkeit - Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Benedikt XVI." Ende Mai 2012 wie eine Bombe ein. Kurz nach Veröffentlichung wurde der Kammerdiener des Papstes Paolo Gabriele, genannt "Paoletto", von der Vatikanpolizei festgenommen und in Haft gesetzt. Bereits im Oktober begnadigte Papst Benedikt XVI. den geständigen Palast-Diener.
Nie wurde bekannt, wer die Hintermänner Gabrieles waren. Er selber sprach in einem Interview von einer verschwörerischen Gruppe mit zehn, 20 Mitgliedern. Ziel sei es gewesen, die geheimen Machthaber des Vatikans zu entlarven, die den Papst in Unkenntnis der wahren Vorgänge belassen würden.
Wesentliche Themen der veröffentlichten Korrespondenz waren die Vatikanbank, der Umgang mit Missbrauchsfällen, ungeklärte Kriminalfälle im Vatikan wie die Entführung Emanuela Orlandis sowie eine Auflistung der Spenden für Privataudienzen.
Papst Benedikt XVI., am 16. April 1927 im bayrischen Martl als Joseph Ratzinger geboren, verkündete seinen Rücktritt am 11. Februar 2013 (siehe Infobox) - exakt ein Jahr nachdem erste Geheimpapiere publiziert wurden.
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