"Krone"-Interview

Präsident Klaus: “Heutiges Modell der EU ist Irrtum”

Ausland
09.11.2012 16:52
Am Dienstag trifft der tschechische Staatspräsident Vaclav Klaus zu Besuch in Österreich ein. Aus gegebenem Anlass führten "Krone"-Redakteur Kurt Seinitz und "Krone"-Korrespondent Jan Krupka mit dem passionierten Österreich-Urlauber ein Interview, bei dem er über die aktuelle Krise der EU und seine Liebe zur Alpenrepublik sprach und auch Werbung für sein neues Buch machte.

Der 71-jährige Klaus war 1989 zusammen mit Vaclav Havel ein Exponent der "Samtenen Revolution". Später trennten sich ihre Wege. Klaus gründete eine rechtsliberale Partei und organisierte mit Vladimir Meciar die friedliche Trennung der Slowakei und der Tschechischen Republik, deren Regierungschef er wurde. Seit 2003 amtiert er als Staatsoberhaupt am Hradschin in Prag.

"Krone": Herr Präsident, zwischen den Menschen in beiden Republiken und auch auf wirtschaftlicher Ebene haben sich enge Beziehungen entwickelt. Man hat aber den Eindruck, dass auf der Ebene der hohen Politik noch mehr Potenzial der Zusammenarbeit vorhanden wäre.
Vaclav Klaus: Ein solches Potenzial existiert gewiss, aber es auszunutzen ist schwierig. Normale Leute finden zusammen im kleinen Rahmen und müssen nicht ständig anderen gegenüber recht haben. Die Politiker wollen aber gewinnen und haben deshalb das Gefühl, dass bei den Wählern für konziliante Worte keine Nachfrage besteht.

"Krone": Mag Österreichs Opposition gegen das AKW Temelín und andere Atomkraftpläne eine der Ursachen dafür sein?
Klaus: Die österreichische scharfe Opposition gegen die Kernenergie verstehe ich nicht. Ich denke aber, dass das weit mehr ein politisches Spiel der Politiker und fundamentalistischen Anti-Atom-Aktivisten ist als die authentische Meinung der österreichischen Öffentlichkeit. Die normalen Leute sind im Prinzip rationell und fähig, auf Argumente zu hören.

"Krone": Sie gelten als großer EU-Skeptiker. Auch in der österreichischen Bevölkerung ist Skepsis gegen den politischen Kurs der EU weit verbreitet. Fühlen Sie sich heute bestätigt? Können Sie sich die Tschechische Republik außerhalb der EU vorstellen?
Klaus: Ich bin kein Euro-Skeptiker. Schon zwei Jahrzehnte verfolge ich jedoch aufmerksam die Entwicklung der Europäischen Union und habe zahlreiche sachliche Argumente gesammelt, die zeigen, dass das heutige Modell der europäischen Integration ein Irrtum ist. Darüber habe ich sogar ein Buch geschrieben, dem sein deutscher Verleger den Titel "Europa braucht Freiheit: Plädoyer eines Mitteleuropäers" gab. Vor einigen Wochen ist es im LIT Verlag erschienen. In Österreich kann man es mithilfe der Medienlogistik Pichler-ÖBZ erwerben. Dass ich mit meiner Kritik in vielem Recht hatte, freut mich keineswegs. Mir wäre es lieber, ich hätte mich geirrt.

"Krone": Beide Republiken werden von schwerer Korruption erschüttert. Was halten Sie für die Ursache dieses Phänomens?
Klaus: Die Ursache für die Korruption in unseren beiden Ländern ist die übermäßige Gelegenheit dazu. In beiden Ländern, und in der bürokratischen Europäischen Union, spielt sich eine riesige Menge an Entscheidungen auf Ebene des Staates und aller seiner niedrigeren Organe ab, die eine ideale Pilzkultur für die Korruption sind. Im Privatsektor kommt es viel weniger zu Korruption.

"Krone": Sie haben in der EU einen "Schutzwall" gegen allfällige Rechtsansprüche von Ausgesiedelten/Vertriebenen beziehungsweise deren Nachkommen durchgesetzt. Es gibt zu der Problematik von 1945/46 zwei Standpunkte. Der eine lautet: "Man soll die Geschichte ruhen lassen." Der andere lautet: "Geschichte muss man aufarbeiten und bewältigen", wie dies Österreich seit einigen Jahren mit seiner Geschichte des 20. Jahrhunderts macht. Ich habe den Eindruck, dass die neue Generation der Tschechischen Republik dem zweiten Standpunkt zuneigt.
Klaus: Es tut mir leid, aber eine umfassende Antwort darauf würde einen selbstständigen Artikel erfordern. Jedoch muss ich mich dagegen verwahren, dass Sie sagen, "Geschichte muss man bewältigen". Das offizielle Wörterbuch übersetzt das Wort "bewältigen" in die tschechische Sprache als "beherrschen, unterdrücken, überwältigen, widerstehen", eventuell "überwinden". Ich würde sagen, dass wir die Vergangenheit vor allem annehmen müssen. Und wir dürfen mit ihr schon gar nicht spielen. Was vor mehr als sechs Jahrzehnten passiert ist, lässt sich nicht mehr ändern, und es wäre sehr schlecht, damit gegenwärtige politische Spiele spielen zu wollen.

"Krone": Welche Botschaft richten Sie heute an die Europäische Union?
Klaus: Es ist nicht möglich, der übernationalen Organisation Europäische Union eine Botschaft zu schicken, denn diese Organisation beziehungsweise Institution hat keine Augen und Ohren. Man kann eine Botschaft an die EU-Politiker richten, aber die haben kein Interesse an einer Botschaft. Soeben kam ich von Laos, von einem zweitägigen Gipfeltreffen EU - Asien zurück, wo alle europäischen Spitzenpolitiker anwesend waren. Mir scheint, sie hören nicht zu und nehmen die Realität nicht wahr. Keine – von wem auch immer geschriebene oder ausgesprochene – Botschaft kann so stark und wirksam sein wie das, was uns allen, die wir in Europa leben, die Realität mitteilt. Die Politiker wollen diese Realität nicht sehen.

"Krone": Herr Präsident, während ihrer politischen Amtszeit sind Sie meistens auf Urlaub nach Österreich gekommen. Welcher Teil von Österreich ist Ihnen am meisten ans Herz gewachsen und wohin werden Sie auch in der Zukunft zurückkehren?
Klaus: Von Kindheit an liebe ich Berge, im Winter und im Sommer. Während der Ära des Kommunismus durchwanderte und durchlief ich auf Skiern alle tschechischen und slowakischen Berge und träumte immer davon, dass ich – wenn die Freiheit eintritt – in die Alpen fahren werde. Das ist mir gelungen. Und wenn ich Berge sage, meine ich damit die gebirgigsten, und die sind für mich in Tirol. Ihre Seen sind so schön, aber mich zieht es mehr in die Hügel. Ich gestehe aber, dass ich jetzt leider – auf meinen späten Tagen – immer häufiger die Seilbahnen benutze.

Vaclav Klaus
Geboren am 19. Juni 1941 ist ein tschechischer Politiker und Wirtschaftswissenschaftler. Gemeinsam mit dem Slowaken Vladimir Meciar verantwortete er die friedliche Trennung der Tschechoslowakei und führte sein Land 1993 in die staatliche Unabhängigkeit. Von 1992 bis 1998 war er tschechischer Ministerpräsident. Seit 2003 ist er Präsident der Tschechischen Republik.

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