Unerkannt
Radovan Karadzic narrte auch die Wiener Polizei
Als die Cobra-Beamten die Holztür zu der Wohnung mit dem Rammbock aufbrechen, liegt er im Bett und schläft. Ein älterer Mann, schneeweißer Rauschebart, ein Amulett um den Hals. Er gibt sich als Wunderheiler aus, schlüpft in eine alte Hose und zieht Schlapfen an. Der Mann wirkt auf die Beamten schrullig, spricht gebrochenes Deutsch, ist aber dafür sehr hilfsbereit. Nervös wirkt er nicht. Und so schöpft auch keiner der Ermittler Verdacht. Dass hier ein Mann steht, der für den Tod Tausender Menschen verantwortlich ist, der Drahtzieher der Gräuel im Bosnienkrieg ist - damit rechnet niemand.
In Wohnung von Mordverdächtigem
Der Tag dieses Ereignisses ist der 4. Mai 2007, die Uhrzeit fünf in der Früh. Der Grund für die Stürmung der Wohnung in der Märzstraße in Wien-Rudolfsheim ein ganz anderer: Stunden zuvor kam es zu einem tödlichen Streit im Lokal "Der Pate" in Wien. Es geht, wie so oft, um eine Kleinigkeit. Zwei serbische Freunde spielen Karten, der eine schummelt, der andere wird wütend. Dusan J. zückt eine Pistole und schießt dem Kontrahenten in den Hals. Der 58-Jährige flüchtet. Also sucht die Polizei den Mordverdächtigen in der Wohnung seiner Freundin. Und trifft dort auf den Wunderheiler!
Doch Karadzic zuckt nicht einmal mit der Wimper, als die bewaffneten Spezialeinheit vor seinem Bett stehen. Wie ein gesetzestreuer Bürger gibt er brav Auskunft: "Ich habe den Mann vor ein paar Stunden gesehen, weiß aber nicht, wo er jetzt ist." Und erzählt im Plauderton, dass er zur "Fortbildung" in Wien sei.
Balkan-Schlächter mit Kroaten-Pass
Die Kriminalisten nehmen die falschen Daten aus dem gefälschten Ausweis des Serbenführers auf: Petar Glumac, geboren in Litova Poldje am 16. März 1930, ohne Beschäftigung. Übersetzt bedeutet der Name Petar Glumac: "Peter Schauspieler"...
Die Cobra und Ermittler ziehen sich zurück. Wenige Stunden nach dem merkwürdigen Treffen wird der Todesschütze aus dem Lokal festgenommen. Ein Erfolg der Wiener Polizei.
Drei Monate in Wien gelebt
In dem Haus in der Märzstraße will niemand den bärtigen Wunderheiler gesehen haben. "Sagt mir nichts", meint ein Nachbar und macht die Tür zu. Zu groß ist die Angst. Der Schlächter ist zwar in Haft, aber seine Netzwerke sind aktiv wie eh und je. Dabei hat Karadzic drei Monate hier gelebt. Bei der Frau des Todesschützen, der später auch zu neun Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Hier verkaufte er Salben und Mixturen, gegen Unfruchtbarkeit und Erektionsstörungen. Nun ermittelt auch das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT).
Aufregung um den Ex-Präsidenten Karadzic gibt es auch in der Stadt Salzburg: Sein Leibwächter wurde festgenommen.
Wollte sich 2009 stellen
Karadzic war am Montag in Belgrad festgenommen worden, wo er jahrelang unerkannt gelebt und als Heiler gewirkt hatte. Der frühere bosnisch-serbische Präsident ist trotz der schwerwiegenden Vorwürfe gegen ihn guter Dinge. Der 63-Jährige "fühlt sich ausgezeichnet, grämt sich nicht und liest in der Zelle die Bibel", berichtet die Belgrader Tageszeitung "Blic" unter Berufung auf Karadzics Anwalt Svetozar Vujacic. Ein wenig ärgere den mutmaßlichen Kriegsverbrecher aber der Umstand, dass er "zu früh" entdeckt worden sei: Denn im kommenden Jahr habe er sich ohnehin stellen wollen, da dann das Mandat des UN-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag ausgelaufen und die Zuständigkeit für seinen Fall auf serbische Gerichte übergegangen wäre.
Anwalt legt Berufung ein
Der Anwalt von Radovan Karadzic hat am Freitagabend gegen den Beschluss eines Belgrader Gerichtes Berufung eingelegt, wonach alle Voraussetzungen für die Überstellung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers an Den Haag erfüllt seien. Er habe die Berufung per Post geschickt, sagte Svetozar Vujacic.
Der Anwalt wollte nicht enthüllen, ob er den Brief in Belgrad oder anderswo in Serbien aufgegeben habe, berichtete am Samstag die Tageszeitung "Politika". Vujacic war laut früheren Ankündigungen bemüht, mit seinem Manöver die Überstellung Karadzic' an das UNO-Gericht hinauszuzögern.
"Karadzic wird frühestens am Montag ausgeliefert werden. Wir haben keinen Grund zur Eile, nachdem wir dreizehn Jahre lang auf ihn gewartet haben", erklärte der Sonderstaatsanwalt für Kriegsverbrechen, Vladimir Vukcevic, gegenüber der Tageszeitung "Blic" (Samstag-Ausgabe). Nach seinen Angaben würde die Entscheidung des Anwaltes, die Berufung dem Gericht per Post zuzustellen, nur "für kurze Zeit" den Auslieferungsprozess verzögern. Vukcevic erwartet, dass das Sondergericht für Kriegsverbrechen womöglich schon am Montag über die Berufung Karadzic' entscheiden wird. Der Auslieferungsbescheid muss daraufhin vom Justizministerium verfasst und vom Minister unterzeichnet werden.
Von UNO-Tribunal in elf Punkten angeklagt
Karadzic wurde vom UNO-Tribunal seit 1996 wegen Kriegsverbrechen, Völkermords und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bosnien-Krieges (1992-95) gesucht. Er wurde bisher in elf Punkten wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verletzung des Kriegsrechts und schwerer Verstöße gegen die Genfer Konventionen von 1949 angeklagt. Wann genau der Angeklagte, der mehr als zwölf Jahre auf der Flucht war und vor kurzem gefasst wurde, an das UNO-Tribunal überstellt werden soll, ist bisher nicht bekannt. Erwartet wird, dass die Auslieferung spätestens in der ersten Hälfte der nächsten Woche erfolgt.
Niederländer verantwortlich für Karadzic-Prozess
Der niederländische Richter Alphons Orie wird zunächst die Verantwortung für den Prozess gegen Radovan Karadzic, übernehmen. Der Präsident des UN-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag, Fausto Pocar, wies den Fall am Freitag der Ersten Strafkammer zu, deren Vorsitzender Orie ist. Der niederländische Jurist muss nun entscheiden, welche Richter seiner Kammer das Verfahren übernehmen.
Von Michael Pommer und Christoph Budin, Kronen Zeitung und krone.at
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