Theologen fordern:
“Schweiz soll Grenzen für alle Flüchtlinge öffnen”
Von den Spitzen der beiden großen Landeskirchen sei in den letzten Monaten wenig zum Thema Asyl zu hören gewesen, schrieb die "Neue Zürcher Zeitung" (NZZ) am Dienstag. Die vielen Menschen an der Kirchenbasis, die sich für Flüchtlinge einsetzen würden, würden sich "derzeit alleingelassen fühlen", kritisiert Matthias Hui, Redakteur der Zeitschrift "Neue Wege", die Beiträge zu "Religion und Sozialismus" abdruckt, gegenüber dem Blatt. "Mit der Funkstille verspielen die Kirchen auf einem Feld Kredit, auf dem ihre Glaubwürdigkeit bei breiten Bevölkerungskreisen noch am höchsten wäre."
Christdemokrat: "Schweiz kann nicht alle aufnehmen"
Zuvor hatte auch der Präsident der Schweizer Christlichdemokratischen Volkspartei, Christophe Darbellay, ein stärkeres Engagement der Pfarren des Landes gefordert. "Auf hehre Worte müssen von den entsprechenden Wortführern aber auch Taten folgen", sagte Darbellay Ende vergangener Woche in einem Interview mit der "Basler Zeitung". Zugleich hatte der Politiker aber auch betont, dass die Schweiz nicht alle Menschen aufnehmen könne. "Man könne nicht einfach fordern, die Schweiz müsse alle aufnehmen."
Genau diese Forderung kommt nun aber vom Netzwerk "KircheNordSüdUntenLinks". Von Hui und Gleichgesinnten 2011 gegründet, beteiligen sich mittlerweile rund 120 teils namhafte katholische und reformierte Theologen sowie in der kirchlichen Migrationsarbeit engagierte Personen an dem Netzwerk. Laut "NZZ" werde die Gruppe in Kürze eine "Migrationscharta" veröffentlichen, welche die Kirchen zu "schärfstem Protest" gegen die heutige Migrationspolitik aufruft.
Autoren sehen gar "Pflicht zur Migration" bei Unterdrückung
Das Manifest sei radikal, heißt es in dem Bericht: Ausgehend von den biblischen Grundsätzen der Gleichheit und der Würde der Menschen, fordert es etwa ein Recht auf weltweit freie Niederlassung für alle. Den Autoren zufolge bestehe in der jüdisch-christlichen Tradition gar eine "Pflicht zur Migration", wenn diese den Auszug aus unterdrückerischen Verhältnissen bedeute - ein Verweis auf Moses und den Exodus aus Ägypten, wie die "NZZ" anmerkt.
Zudem wird in der Charta ein Recht auf Asyl gefordert, abgeleitet aus der "Präferenz Gottes für die Ausgeschlossenen", und ein Recht auf Sicherung der Existenz. Es brauche eine "Globalisierung der Gerechtigkeit", damit die Gründe eliminiert würden, die "Menschen und ganze Völker zwingen, ihr Land zu verlassen", so die Autoren des Manifests.
Netzwerk will "Kirchenleitungen aufrütteln"
Das Ziel des Netzwerks: Sie möchten die "Kirchenleitungen aufrütteln und sie an die Tradition des kirchlichen Engagements für Flüchtlinge erinnern". Dabei sei Hui durchaus bewusst, dass die Charta Widerstand provozieren werde und auch der Vorwurf des "naiven Gutmenschentums" aufkommen dürfte. Aber naiv sei vielmehr zu glauben, dass man durch das Hochziehen von Mauern das Flüchtlingsproblem in den Griff kriegen könne.
Hui verweist auf Migrationsforscher wie Francois Gemenne, die bezweifeln, dass ein Öffnen der Grenzen die Flüchtlingsströme überhaupt anschwellen lassen würde. Die Theologen seien auch insofern nicht naiv, als sie in ihrer Charta begleitende Maßnahmen für die Bevölkerung fordern: beim Zugang zum Arbeitsmarkt, bei den Löhnen oder beim Grundeigentum. "Zudem müssen die Zuwanderer die vielfältige Identität der hiesigen Menschen und Gemeinwesen anerkennen", betont der Theologe.
Evangelischer Kirchenbund: "Müssen auch Nein sagen können"
Bei der Kirchenführung in der Schweiz dürfte das Manifest allerdings auf wenig Gegenliebe stoßen. So hatte zuletzt etwa der Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, Gottfried Locher, erklärt, dass nicht all die Millionen von Menschen, die unter wirtschaftlicher Not litten, in die Schweiz einwandern könnten. "Wenn wir auch in Zukunft helfen wollen, wo Menschen an Leib und Leben gefährdet sind, dann müssen wir die Kraft aufbringen, in anderen Fällen auch Nein sagen zu können", so Locher in einem Interview. Und Walter Müller, Sprecher der Schweizer Bischofskonferenz, erklärte auf Nachfrage, es sei nicht Aufgabe der Kirche, sich in die Tagespolitik einzumischen.
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