Flüchtlingsparadies
Städtchen in Italien integriert Migranten äußerst erfolgreich
"Die Menschen in der Stadt haben ein so großes Herz, sie sind wie meine Familie", freut sich Asadullah Ahmadsai, der vor vier Jahren aus Afghanistan in das relativ arme Riace am Ionischen Meer gekommen ist. Asadullah verkauft in dem Ort Schmuck und Taschen aus seinem Heimatland. Er hat es auch in Ancona an der wohlhabenderen Adriaküste versucht und dort in einem Restaurant, das von Freunden geführt wird, monatlich sogar bis zu 2.000 Euro verdient. "Aber mein Sohn hat die ganze Zeit geweint. Er wollte unbedingt zurück nach Riace", sagt Asadullah. "In Ancona werden Ausländer nämlich schlecht behandelt und beschimpft."
Kriegsflüchtlinge Seite an Seite mit Einheimischen
In Riace dagegen arbeiten sie entspannt Seite an Seite mit den Einheimischen. "Diese Menschen sind vor dem Krieg geflohen, sie haben Folter erlitten und Dramatisches erlebt", erzählt Bürgermeister Domenico Lucano (Bild oben links) in seinem Büro, wo der Putz von den Wänden bröckelt. Um sie aufnehmen zu können, wurden Dutzende Steinhäuser saniert. Sie standen leer, denn die Menschen sind in den vergangenen Jahren in Massen aus Riace abgewandert - in die USA, nach Argentinien und in den reicheren Norden Italiens, um dort Arbeit zu finden.
Die Flüchtlinge haben das Städtchen nun nicht nur wiederbevölkert, sondern ihm auch zu wirtschaftlichem Aufschwung verholfen. Bäckereien, Tabakshops und Gemüseläden boomen wieder, die Schule wurde wieder geöffnet, das örtliche Handwerk neu belebt. Es gibt Töpfer- und Webkurse. Helen aus Äthiopien (Bild oben rechts) etwa hat neben Italienisch auch Sticken und Teppichknüpfen gelernt und verdient sich so monatlich bis zu 500 Euro extra zu ihren 200 Euro dazu, die sie als Asylsuchende von der italienischen Regierung bekommt. "Ich will nicht zurück. Weder nach Äthiopien, wo meine Mutter herkommt, noch nach Eritrea, woher mein Vater stammt", sagt die 29-Jährige. "Die beiden Länder bekriegen sich nur."
Bürgermeister: Auffanglager sind "Gefangenenlager"
Verantwortlich für die erfolgreiche Integration ist die Vereinigung "Citta Futura", die von der Region Kalabrien finanziell unterstützt wird und der größte Arbeitgeber in Riace ist. Bürgermeister Lucano, einem Vertreter der Linken, ist es gelungen, die sperrige Einwanderungspolitik Italiens erfolgreich zu umschiffen. Für diese hat er nur markige Worte übrig. "Gefangenenlager" seien die Flüchtlingszentren, "fast schon Konzentrationslager". Letztlich sei es deutlich billiger, die Menschen auf kleine Städte wie seine zu verteilen, wo es genug Arbeit gebe.
"Viele hier haben wieder die Möglichkeit bekommen, zu arbeiten", erzählt auch Cosimina Ierino, die vormittags Erwachsenen Lesen beibringt und nachmittags Kindern bei den Hausaufgaben hilft. "Und die Workshops sind für die Einwanderer außerdem wie eine Therapie. Sie sind beschäftigt, sozialisieren sich mit anderen und lernen ein Handwerk." Auch Touristen sind mittlerweile auf Riace aufmerksam geworden und unterstützen das Städtchen so zusätzlich.
"Ort der Abwanderung ist Ort der Ankunft geworden"
Für Lucano, der 2010 zum weltweit drittbesten Bürgermeister gewählt wurde, zählt aber noch etwas anderes: "Wir haben eine Botschaft der Menschlichkeit in die Welt entsandt", sagt er. "Dieser Ort der Abwanderung ist ein Ort der Ankunft geworden."
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