Giftschlamm-Drama

Ungarn: Schwere Vorwürfe gegen Aluminium-Firma

Ausland
13.10.2010 12:23
Mitarbeiter der Aluminiumfirma MAL, deren geborstenes Abfallbecken zu der Giftschlamm-Katastrophe in Ungarn geführt hat, erheben schwere Vorwürfe: Das Unternehmen habe laut der Tageszeitung "Nepszabadsag" jeden, der offen über die Probleme mit dem Damm sprach, mit Entlassung gedroht. Nach Angaben von über 20 Angestellten soll der von der Polizei festgenommene MAL-Boss Zoltan Bakonyi seit Wochen von den Lecks in den Beckenmauern gewusst und auch Maßnahmen dagegen unternommen haben.

Der Generaldirektor von MAL war am Montag verhaftet worden. Die Polizei verdächtigt den Manager der Umweltschädigung und der Massengefährdung mit mehrfacher Todesfolge, das Unternehmen soll mittels eines am Montag beschlossenen Gesetzes für mindestens zwei Jahre verstaatlicht werden. Premierminister Viktor Orban ortet hinter einer der schlimmsten Umweltkatastrophen in der Geschichte Ungarns "menschliche Fahrlässigkeit".

In der Unglücksfabrik soll trotz der Katastrophe schon am Freitag die Aluminium-Produktion wieder anlaufen. Die Behörden gaben nach Angaben vom Mittwoch die Erlaubnis, das für die Produktion benötigte Kraftwerk hochzufahren. Andernfalls drohe dem Unternehmen großer finanzieller Schaden. 

Nach Ansicht der Regierung muss MAL die Kosten für die Aufräumarbeiten übernehmen. Das Unternehmen argumentiert dagegen, dass die Katastrophe durch Naturgewalten ausgelöst worden sei. MAL hat für seine Haftpflichtversicherung nur eine Deckungssumme von 20 Millionen Forinth (73.000 Euro), wie Firmenchef Lajos Tolnay der Zeitung "Figyelo" sagte.

Auch an Gutachtern wachsen Zweifel
Indes zeigt eine mehrere Monate alte Luftaufnahme von dem Giftschlamm-Becken, dass es vermutlich schon damals ein Leck gegeben hat. Zu sehen ist darauf eine rote Spur, die aus der Wand des Reservoirs sickert, wie am Dienstag bekannt wurde. Das Foto ist einer der Hinweise auf Unregelmäßigkeiten, denen die Polizei bei ihren Ermittlungen nachgeht. Die Luftaufnahme nährt die Zweifel, dass die Gutachter, die das Reservoir einer Aluminiumfabrik noch kurz vor dem Unglück untersuchten, Warnzeichen übersehen haben könnten.

Am Montag vergangener Woche waren aus dem lecken MAL-Deponiebecken nahe der Stadt Ajka, 160 Kilometer südwestlich von Budapest, 700.000 Kubikmeter ätzender, giftiger Rotschlamm - als Überrest von Aluminiumgewinnung aus Bauxit - ausgetreten. Binnen einer Stunde wurden drei Ortschaften überschwemmt, die Flut verbreitete sich über Bäche und Flüsse bis hin zur Donau. Neun Menschen kamen dabei ums Leben, 150 wurden verletzt. Noch immer befinden sich 45 Menschen im Krankenhaus, zwei davon sind weiterhin in sehr ernstem Zustand. Die Höhe des Sachschadens ist noch nicht absehbar. Der ungarische Umweltstaatssekretär Zoltan Illes sagte, allein an Geldstrafen für Schäden an Wasserwegen und Umwelt seien bereits 19,2 Milliarden Forint (70 Millionen Euro) angefallen.

Erfolg im Kampf gegen zweiten Dammbruch
Seit dem Wochenende wird fieberhaft am Bau von neuen Schutzwällen, der Abdichtung des maroden Damms sowie der Sicherung eines zweiten löchrigen Reservoirs in dem Aluminiumwerk gearbeitet. Im westungarischen Komitat Veszprem konnten sich die Einsatzkräfte beim Kampf gegen einen neuerlichen Dammbruch, der von dem zweiten Becken droht, am Mittwoch über einen kleinen Erfolg freuen: Aus der betroffenen Sektion, die an das vorige Woche geborstene Becken grenzt, wurde ein Großteil des Wassers abgepumpt.

Mit dieser Maßnahme soll eine zweite Überschwemmung mit giftigem Rotschlamm verhindert werden. Halte der Damm, wäre aktuell keine erneute Verseuchung der Umgebung zu befürchten, so ein Behördensprecher. Wegen der dickflüssigeren Zusammensetzung des Schlammes würde eine neuerliche Giftlawine zudem "nur wenige hundert Meter weit" kommen.

WHO-Experten sollen Ungarn unterstützen
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat eine Expertengruppe nach Ungarn geschickt, um die Behörden bei der Untersuchung der Folgen des Chemieunfalls zu unterstützen. Die Mission solle die kurz-, mittel- und langfristigen Gesundheitsfolgen der Überschwemmung untersuchen, teilte die UNO-Organisation am Mittwoch mit. Die Ergebnisse sollten den ungarischen Behörden helfen, entsprechende Vorsorgemaßnahmen zu treffen.

Der Mitteilung zufolge soll die Mission zudem klären, welche Folgen die Katastrophe für die Anrainerländer der Donau haben könnte. "Während ernsthafte kurzfristige Gesundheitsfolgen als unwahrscheinlich gelten, können mögliche mittel- und langfristige Folgen durch die Verunreinigung mit Schwermetallen - etwa über die Nahrungskette - nur eingeschätzt werden, wenn weitere Informationen verfügbar werden", hieß es.

Luft bringt keine Schadstoffe nach Österreich
Für Österreich bleibt der Giftschlamm jedenfalls vorerst weiter ungefährlich: "Es herrscht weiterhin stabile Hochdrucklage mit nur sehr schwachen Winden", meldete die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) am Dienstag. Von ZAMG-Experten werde die Verfrachtungen der Luftmassen aus dem betroffenen Gebiet rund um Ajka laufend beobachtet und analysiert. Bestandteile des giftigen Rotschlamms gelangen demnach derzeit nicht in die Luftströmung: "Die schädlichen Inhaltsstoffe des Schlammes sind derzeit gebunden, das heißt, diese können nicht mit der Luftströmung verfrachtet werden."

Auch für die von der Umweltkatastrophe direkt betroffenen Bewohner in Ungarn gab es am Dienstag hoffnungsfrohe Nachrichten: Das Wetter ist laut den Meteorologen im Moment kein Risikofaktor für einen weiteren desolaten Damm, der zu brechen droht. Bis Ende der Woche liege die Wahrscheinlichkeit für stärkere Niederschläge, die einen Dammbruch beschleunigen könnten, deutlich unter zehn Prozent, so die ZAMG.

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