Es ist eines der großen Geheimnisse der Menschheitsgeschichte - und es liegt direkt unter uns. Kilometerlange Tunnelsysteme, kunstvoll und mit kaum vorstellbarem Aufwand aus dem Fels gehauen, Jahrtausende alt. Und keiner weiß, wer sie wann und wofür geschaffen hat. Den bekannten steirischen Prähistoriker und Anthropospeläologen Dr. Heinrich Kusch und sein Team beschäftigt das subterrane Rätsel seit vielen Jahren.
Tausende Stunden haben er, seine Gattin Ingrid, Johann Dinauer sowie Aloisia und Ferdinand Reiß auf eigene Kosten in den letzten Jahren in der oststeirischen Unterwelt verbracht und dabei verblüffende Entdeckungen gemacht. Die spannende Suche nach Erklärungen haben der Grazer und seine Frau jetzt in einem 208 Seiten dicken Text-Bildband mit dem Titel "Tore zur Unterwelt" eindrucksvoll beschrieben. Allein: Das Rätsel wird darin auch nicht gelöst - aber Kusch erzeugt Gänsehaut. Unter uns existiert das (noch) Unerklärliche. Er wird weiterforschen, aber jetzt lässt er uns alle daran teilhaben.
Parallelen zu ausländischen Entdeckungen
Die Gänge, die Kusch & Co. entdeckt haben, sehen großteils gleich aus. Nur wenig davon ist zugänglich, aber man weiß, dass viele Kilometer davon geschaffen wurden. Wann, von wem und wofür? "Ähnliche Entdeckungen hat man auch anderswo gemacht", sagt Heinrich Kusch, "in Russland, England, Frankreich oder Italien etwa. Auch in anderen Teilen Europas, in Deutschland, Österreich, Ungarn, Tschechien oder Spanien, weiß man von den sogenannten "Erdställen". Dabei handelt es sich - simpel ausgedrückt - um meist kleine Anlagen unter der Erdoberfläche."
Als Entstehungszeitraum hat man bis jetzt das Früh- oder Hochmittelalter angegeben. Aber man weiß auch, dass das Alter einzelner unterirdischer Anlagen vor allem im Mittelmeerraum bis in das Neolithikum, also die Jungsteinzeit, zurückreicht. Doch: Waren die Menschen damals überhaupt in der Lage, so tief unter der Erdoberfläche kunstvolle Gänge mit dem damals zur Verfügung stehenden primitiven Werkzeug (Steinäxte) aus dem Fels zu hauen? Wohl kaum.
Alter Plan in Kanonenkugel entdeckt
Kusch & Co. sind durch einen alten Plan auf das Mysterium aufmerksam geworden. Das Papier - eine Kopie des Originals aus dem 15. Jahrhundert - steckte in einer Kanonenkugel, die beim Abriss eines alten Bauernhauses vor etwa drei Jahrzehnten entdeckt wurde. Darauf sind gewaltige unterirdische Anlagen verzeichnet, die sich unter dem Stift Vorau weithin erstrecken. "Als uns am Beginn der Suche nach den Erdställen erstmals bewusst wurde, in welch unerforschtes Gebiet wir da vordringen, haben wir beim besten Willen nicht begreifen können, welche Dimensionen unsere Forschungen in der Zukunft erreichen würden", sagt Heinrich Kusch.
"In den folgenden Jahren haben wir - teils durch die Mithilfe der Bevölkerung - zahlreiche Zugänge zu diesem Gangnetz entdeckt und teilweise erkundet. Auch Sondierungsbohrungen haben wir mit Unterstützung der Vorauer Chorherren unternommen und einzelne Teile in mühsamer Grabungsarbeit freigelegt. Dabei haben wir erkannt, dass die Stollen mit unheimlicher Präzision und unerklärbarer Technik aus dem Sedimentgestein herausgearbeitet wurden. Noch unglaublicher sind die später, wahrscheinlich in der Megalithzeit - also vor 3.500 bis 6.500 Jahren - entstandenen Steingänge, welche die älteren, oberflächennahen Felsgänge ersetzt haben, weil diese eingestürzt waren.
Unfassbarer Arbeitsaufwand
Hier wurden mit Unmengen von Steinplatten, die einzeln bis zu einer Tonne schwer sind, und mächtigen Steinen lange Zugänge zum alten, teils noch intakten System geschaffen. Ein Arbeitsaufwand, der nach unserem Verständnis kaum möglich zu sein scheint." Wieder die Frage: Wer waren die Bauherren, wie und warum sind die Gänge entstanden?
Dem Laien drängt sich da die Frage auf, die sich der seriöse Wissenschafter nie und nimmer zu stellen wagt: Hat es vor der uns bekannten Kultur vielleicht einmal eine ganz andere gegeben? Die wahren Antworten kann nur die Wissenschaft finden. Artefakte, die zweckdienliche Hinweise auf diese Fragen geben könnten, haben Kusch & Co. bisher noch nicht gefunden. Die Hoffnung, dass man irgendwann Erklärendes unter der oststeirischen Erde entdecken könnte, lebt aber weiter.
von Werner Kopacka, Kronen Zeitung
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