Sie gilt bei Geheimdiensten und Sicherheitsexperten als bevorzugtes Kommunikationsmittel von Dschihadisten: Die App Telegram, mit der Handynutzer verschlüsselte Nachrichten an einzelne Kontakte oder ganze Gruppen schicken können. Nach der Verhaftung eines tschetschenischen Ehepaars in Baden bei Wien rückt die App nun erneut in den Fokus der Ermittler. Die Frau drohte damit, das Verteidigungsministerium in Wien "in die Luft zu sprengen". Ihr Mann stand zuvor via Telegram mit IS-Anwerbern in Kontakt.
Schon mehrfach hat sich herausgestellt, dass Attentate mithilfe des Mitteilungsdienstes Telegram vorbereitet wurden - unter anderem der Mord an einem französischen Priester in der Normandie. Einer der 19-jährigen Täter von Saint-Etienne-du-Rouvray verschickte kurz vor der Tat Botschaften, in denen von einer "Kirche" und einem "Messer" die Rede war.
Auch in Brasilien wurden im Sommer zehn Männer festgenommen, die Anschläge während der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro vorbereitet hatten. Auch diese Verdächtigen kommunizierten nach Angaben der Polizei per Telegram.
Vollkommen verschlüsselter Terroristen-Chat in Europa
"Die Nutzung von Instant-Messenger-Diensten durch Islamisten beziehungsweise Dschihadisten ist kein Novum", sagt dazu eine Sprecherin des deutschen Verfassungsschutzes bereits im August gegenüber der AFP. Auch der Chef des französischen Inlands-Geheimdienstes DGSI, Patrick Calvar, nannte Telegram "das wichtigste von Terroristen genutzte Netzwerk". Er forderte internationale Übereinkünfte, um mit der Verschlüsselungstechnik umgehen zu können.
Wer über Telegram Nachrichten, Bilder oder Videos teilt, dem garantieren die Anbieter - die nötigen Einstellungen vorausgesetzt - eine vollständige Verschlüsselung. Dies ist inzwischen übrigens auch bei WhatsApp üblich. Wollen Geheimdienste auf verdächtige Botschaften zugreifen, benötigen sie den richtigen Code oder müssen Zugang zum Computer oder Handy des Versenders haben.
Telegram arbeitet wenig mit Behörden zusammen
In der Kritik stehen die Telegram-Macher, weil sie weniger als andere Anbieter mit staatlichen Stellen zusammenarbeiten. Der französische Sicherheitsexperte Gerome Billois sagte dazu: "Twitter, Facebook und andere haben gute Beziehungen zu den Sicherheitskräften entwickelt. Sie können innerhalb weniger Stunden reagieren, während dies bei Telegram nicht der Fall ist."
Kurz nach den Anschlägen in Frankreich vom November 2015 mit 130 Toten reagierte Telegram dann aber doch: Nach eigenen Angaben sperrte der Dienst knapp 80 Propaganda-Kanäle der Terrormiliz Islamischer Staat, die nach wie vor große Gebiete im Irak und in Syrien kontrolliert. Dabei handelte es sich um Kanäle, über die sich - ähnlich wie bei Twitter - Botschaften an ein großes Publikum schicken lassen.
Geheimnisvolle Gründer kommen aus Russland
Telegram gibt es seit 2013. Der Messenger-Dienst wurde von den russischen Brüdern Pawel und Nikolai Durow entwickelt. Von Pawel ist nur bekannt, dass er ein begabter Mathematiker und Programmierer sein soll. Sein Bruder Nikolai tritt dagegen als das "Gesicht" von Telegram in Erscheinung, er hat eine Facebook-Seite und postet Fotos auf Instagram. Seine Heimat Russland verließ er 2014 wegen eines Streits mit den Behörden.
Ansonsten geben sich die Gründer geheimnisvoll. Laut der Website telegram.org soll der Hauptsitz ihres Unternehmens in Berlin sein. Eine Adresse oder ein Impressum findet sich allerdings nirgends. Auf einer Konferenz in den USA beschrieb Pawel Durow die Mitglieder seines Teams als "digitale Nomaden", die von verschiedenen Standorten aus arbeiteten. Laut einem Bericht der "Washington Post" verbergen sich hinter Telegram verschiedene Briefkastenfirmen ...
Telegram trotz mysteriösem Image sehr beliebt
Das mysteriöse Image tut der Beliebtheit der App keinen Abbruch. Vor einigen Monaten zählte der Dienst mehr als 100 Millionen Nutzer. Beliebt ist er neben Europa auch in arabischen Ländern oder im Iran, wo die Behörden keinen Zugriff auf missliebige Botschaften haben sollen.
Nach Anschlägen wird immer wieder gefordert, verschlüsselte Nachrichtendienste zu schließen. Dadurch lasse sich die Kommunikation zwischen Dschihadisten aber nicht unterbinden, betont Sicherheitsexperte Billois. Nach den Anschlägen von Paris im November etwa habe sich herausgestellt, dass die Attentäter für ihre Absprachen auf ein ebenso banales wie weit verbreitetes Mittel zurückgriffen: Gänzlich unverschlüsselte SMS.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.