Er wollte etwas über den Beginn von Terrorismus erzählen, meint Josef Hader zu seinem Regiedebüt. In der Gesellschaftssatire "Wilde Maus" (Kinostart: 17. Februar), die Weltpremiere im Wettbewerb der 67. Berlinale feierte, verliert ein Kulturjournalist erst seinen Job, dann sein Ego und in weiterer Folge jegliche Kontrolle über sein gutbürgerliches Leben.
Als Georg (Hader) nach 25 Jahren als Musikkritiker bei der Wiener Zeitung "Express" wegen Sparmaßnahmen gekündigt wird, versteht er die Welt nicht mehr. Klar verdient er mit einem alten Vertrag dreimal so viel wie die jungen Kollegen - aber zurecht, "i bin a Instanz". Ein Schuldiger für alles, was schief läuft, ist schnell im sehr deutschen (Ex-)Chef (Jörg Hartmann) gefunden. Also zieht er nachts aus, um erst kleine, dann zunehmend größere Sachbeschädigungen zu begehen: Ein mit dem Schlüssel zerkratzter Autolack, ein in den Gartenteich geworfener toter Fisch. Und dann der Gang ins Waffengeschäft.
Seiner jüngeren Ehefrau Johanna (Pia Hierzegger) sagt Georg in all der Zeit davon nichts, ist seine Männlichkeit doch ohnehin schon angekratzt, weil seit drei Jahren erfolglos an Nachwuchs gearbeitet wird. Wenn Georg also vorgibt, in die Redaktion zu gehen, vertreibt er sich eigentlich die Zeit im Prater. Und findet einen Komplizen im ebenfalls arbeitslosen Erich (Georg Friedrich), der ihn einst in der Schule gehänselt hat. Aus Mangel an Beschäftigung und Freunden steigt er mit dem ungewöhnlichen Kompagnon ins Fahrgeschäft ein und bringt die marode Achterbahn "Wilde Maus" in Schuss.
Als Zuseher muss man sich fortlaufend ärgern über diesen Narzissten, der sich - im Auto aufgeputscht von Beethoven, Schumann & Co. - in Rachegelüsten verrennt und vor Hilfestellung buchstäblich wegläuft. Dass man Georg dann doch irgendwie mag, liegt daran, dass er das Gesicht Josef Haders trägt. Der ist als Protagonist, dessen Gewaltausbrüche ebenso unvermittelt kommen wie berührende Tiefpunkte, in Höchstform. Der Kabarettist und Schauspieler ("Das ewige Leben", "Vor der Morgenröte") ist hier neben Hauptdarsteller und Drehbuchautor auch erstmals Regisseur und liefert als solcher einen starken Einstand ab, zeigt Talent für Timing und Schauspielführung, einen bitterbösen Blick auf postmoderne Beziehungen und ein Gefühl für Kinobilder.
Wenn Hader, nur in Boxershorts gekleidet, diagonal über das Bild durch den Schnee stapft oder vor der Abenddämmerung hoch oben auf der "Wilden Maus" sitzt, dann muss man das auf der großen Leinwand sehen. Eine besondere Qualität erlangt der Film nicht zuletzt, weil er Georg zwar kontinuierlich Eskalationsstufen hinaufklettern lässt, dabei aber nie überdreht. Auch Georg Friedrich kann eine dezentere, berührendere Version seines Paradeproleten abliefern.
Mit der Krise des bürgerlichen Donaustädters sieht man ein weniger analysiertes Milieu satirisch beackert; nicht zuletzt hat Hader Vertreter der totgesagten Medienbranche in einem Interview als "die Stahlarbeiter des Mittelstandes" ausgemacht. Die Außenwelt - Flüchtlingskrise, Syrien-Krieg - dringt in den richtigen Momenten als Hintergrundgeräusch aus Fernseher und Radio, die Jugend - mit all ihrer Sorge um die Auswirkungen des eigenen Seins auf die Welt - läuft vorbei, ja: überholt.
Man ist im Bobo-Sumpf mit seinen eigenen Neurosen und (Luxus-)Problemen beschäftigt, vermeidet tunlichst jede Form von problemlösender Kommunikation. "Kleine Würstel" sind hier die Männer, deren große Egos die Sicht auf das wirklich Wichtige versperren und sie in letzter Konsequenz zu raufenden Schulbuben zurückentwickeln lassen. Das ist pechschwarz und höchst unterhaltsam erzählt, und immer wieder voller Überraschungen. Schön ist, dass bei all dem (fehlgeleiteten) Testosteron auch Johanna viel Platz eingeräumt wird, kann Pia Hierzegger doch kongenial lakonisch den abgeklärten Gegenpart geben, der vor (wenn auch weniger radikaler) Entgleisung nicht gefeit ist.
APA
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