Debatte um Transfers

Sozialleistungen: Wenn 950 und 1900 Euro dasselbe sind

Österreich
22.10.2009 10:41
Die Diskussion um das von der ÖVP forcierte Transferkonto hat am Donnerstag das Parlament beschäftigt. Das BZÖ brachte eine Dringliche Anfrage ein und forderte die Einrichtung eines solchen Mechanismus für mehr Transparenz bei Sozialleistungen. Das Thema hat jüngst durch eine Grazer Studie Brisanz erlangt: Demnach gleichen Steuergesetz und Sozialgelder Gehaltsunterschiede von rund 1.000 Euro bei einer vierköpfigen Familie fast aus. Selbst bei einem Unterschied von 2.000 Euro sollen die Budget-Differenzen letztlich nur 600 Euro betragen.

Die Koalitionsparteien stützen sich auf zwei unterschiedliche Studien, die aber im Grunde dasselbe bestätigen: Nämlich, dass die in Österreich verfügbaren Sozialleistungen wie Kindergeld, Familienbeihilfe, Pendlerpauschale, Wohnbeihilfe, etc. und die Steuergesetze eine messbare Umverteilung schaffen. 

Ein dem ÖVP-nahen Arbeiterbund nahestehendes Institut gab die Studie des Wirtschaftsexperten Franz Prettenthaler vom Grazer Joanneum in Auftrag, Bundeskanzleramt und Sozialministerium ließen beim WIFO eine Studie zum Thema Umverteilung machen.

Die ÖVP möchte diese Umverteilung offenbar genauer prüfen können und zu diesem Zwecke das Transferkonto zur Bündelung der Förderungzahlungen einrichten. Damit würde das Finanzministerium auf einen Blick die Einkommenssituation aller Familien und Alleinverdiener abrufen können. Die Motive dafür sind aber nicht ganz klar: Während die Volkspartei die Initiative mehr oder weniger mit "Transparenz der Transparenz wegen" begründet, orten SPÖ und Grüne dahinter einen ersten Schritt zu Kürzungen.

Transferzahlungen verbessern 950 Euro auf 2.570 Euro
Die Grazer Studie hat das Beispiel einer theoretischen Familie mit zwei Kindern jeweils mit unterschiedlichen Einkommen durchgerechnet. Bei einem Bruttohaushaltseinkommen von 950 Euro bessern die Sozialleistungen das verfügbare Monatseinkommen der Familie auf 2.570 Euro netto auf, bei einer Familie mit 1.900 brutto auf 2.990 Euro netto. Bei einem Bruttohaushaltseinkommen von 3.800 Euro bleiben dagegen nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben sowie Zahlung von Transfers nur 3.190 Euro netto.

Für diese Berechnung wurden die Sozialtransfers von Bund und Land berücksichtigt: das Kindergeld, die unabhängig vom Einkommen ausgezahlte Familienbeihilfe inklusive Kinderabsetzbetrag, die Wohnbeihilfe des Landes, die nur Niedrigverdiener erhalten. Außerdem fallen bei der unteren Einkommensgruppe weitere Zuschüssen an, etwa zur Kinderkrippe oder zur Pendlerbeihilfe.

WIFO: 11,8% der Sozialleistungen für oberes Drittel
Dass die Verteilung der Bruttoeinkommen durch die Leistungen des Staates "in beträchtlichem Ausmaß korrigiert" werden, bestätigt auch die von der SPÖ georderte WIFO-Studie. Hier werden mit realen Zahlen drei Einkommensschichten berechnet: So hat das untere Einkommensdrittel der Nicht-Selbstständigen im Schnitt ein gewichtetes Pro-Kopf-Einkommen von 895 brutto. Nach Abzug von durchschnittlich 315 Euro Abgaben und Zahlung von 749 Euro Transfers ergibt das im Schnitt ein Netto-Einkommen von 1.330 Euro. Beim zweiten Einkommensdrittel mit brutto 1.856 Euro bleibt nach Abgaben und Transfers (641 und 544 Euro) mit 1.759 Euro etwa gleich viel übrig. Das oberste Drittel mit 3.635 Euro brutto fällt nach Abgaben (1.371) und Transfers (428) auf 2.692 Euro zurück. 

Die Transferzahlungen machen im unteren Drittel knapp 84 Prozent des Gesamteinkommens aus, im mittleren Drittel nur noch rund 29 Prozent und im oberen Drittel nur mehr 11,8 Prozent. Berücksichtigt sind darin alle Sozialleistungen mit Ausnahme von Pensionen.

Angst vor "Schwelleneffekt", der Steuerzahler benachteiligt
ÖVP-Finanzminister Pröll will in Prettenthalers Studie eine mögliche Schieflage im Steuer- und Sozialsystem erkannt haben. Der Wissenschaftler machte nämlich darauf aufmerksam, dass es wegen der starren Zuverdienstgrenzen bei Sozialleistungen wie dem Kindergeld passieren kann, dass eine Familie zwar brutto mehr verdient, dass sie aber netto weniger Geld zur Verfügung hat als Wenigverdiener, weil wegen des gesteigerten Einkommens Sozialleistungen wegfallen. Der Grazer nennt dies "Schwelleneffekt". 

Pröll behauptete daraufhin, "dass 'Steuerzahlerfamilien' oft ein weit niedrigeres Familieneinkommen haben als jene, die gar keine Steuer zahlen, aber Anspruch auf zahlreiche Beihilfen haben". Wie oft dies in der Praxis tatsächlich zutrifft, ist aber unklar und kann auch schwer geklärt werden, weil die zur Berechnung notwendigen Zahlen nicht zusammengesammelt werden können. 

Transferkonto als Vorstufe zu Kürzungen?
Allemal rechtfertigt es für den Finanzminister daher den Ruf nach einem Transferkonto, auf dem der Beihilfezahler (also Vater Staat) einsehen kann, wer von diesem Schwelleneffekt profitiert bzw. dadurch verliert. Dann gebe es zwei Möglichkeiten: Man hebt die Schwelle für die Benachteiligten an und finanziert dies zum Beispiel durch mehr Steuern für Spitzenverdiener - oder man kürzt die Leistungen für diejenigen knapp unterhalb der Schwelle.

Sozialdemokraten und Grüne befürchten, dass der Finanzminister eher letztere Strategie im Schilde führt und warnen beim Transferkonto deshalb vor Kürzungsabsichten der ÖVP. Das BZÖ begründete seinen Dringlichen Antrag am Donnerstag damit, dass  "sich Leistung wieder lohnen muss". Ein Transferkonto könne in Hinblick auf ein vereinfachtes und gerechtes Steuersystem der erste Schritt sein. "Jetzt ist es einmal notwendig, dass es nur mehr eine Eintreibungs- und Auszahlungsstelle gibt, nämlich das Finanzamt. Dadurch kann man massiv Verwaltungsaufwand einsparen", meinte BZÖ-Parteichef Josef Bucher am Donnerstag.

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