Die Legenden riefen und rund 10.000 Fans folgten - nach zehnjähriger Österreich- und 19-jähriger Wien-Abstinenz zeigten sich die britischen Kult-Rocker The Who rund um ihre verbliebenen Gründungsmitglieder Roger Daltrey und Pete Townshend in beneidenswerter Top-Form. Ein Stück Musikgeschichte, das zweifellos zu den Highlights des Jahres gerechnet werden darf.
"Bitte Ruhe bewahren - jetzt kommt The Who", verriet die große Videowall in der Wiener Stadthalle und forderte die rund 10.000 Anwesenden zu etwas auf, das sie auch ohne eine solche Botschaft bravourös befolgt hätten. Die Mod-Dinosaurier aus dem Land des Brexits sorgen hierzulande zwar für andächtiges Staunen, aber längst nicht mehr für dezibelskalensprengende Beifallsbekundungen. Das Gekreische und Gejohle findet heute bei Justin Bieber, One Direction und Lady Gaga statt. Roger Daltrey, Pete Townshend und Co. werden aber dennoch stil- und würdevoll empfangen, doch so wie die beiden Hauptprotagonisten längst keine Hotelzimmer mehr zu Kleinholz schlagen, wollen ihre Anhänger die Bühne auch nicht mehr brennen sehen.
Nostalgie und Kennenlernen
Das stille Einvernehmen beider vorhandenen Parteien hindert The Who glücklicherweise nicht daran, sich auch im 52. Jahr des Bestehens überraschend frisch und agil zu präsentieren. Wer sich vor einer abgehalfterten Altherrentruppe mit vielen Dollarzeichen in den Augen, aber wenig Verve in den Fingern gefürchtet hat, wurde schon beim Opener "Who Are You" eines Besseren belehrt. Die älteren im Publikum feiern nostalgische Schlüsselmomente ihres Heranwachsens, die jüngeren sehen endlich die Gesichter hinter der beliebten "CSI - Las Vegas"-Titelmelodie. Mit insgesamt drei Videowalls und drei Keyboardern gaben sich die Briten nicht mit dem Minimalprogramm zufrieden, sondern fuhren ein würdiges Rock-Legenden-Set auf. Die Ersatzbank für die verstorbenen Kultstars Keith Moon und John Entwistle absolvierten ihre Sache routiniert. Sowohl Pino Palladino am Bass, als auch Ringo-Starr-Sohn Zak Starkey an den Drums rockten ohne Furcht und Tadel.
Die Helden an der Front postierten sich nicht nur optisch passend ganz vorne, sondern zogen auch die Temposchraube an und gaben die instrumentale Richtung vor. Ein kunterbuntes Best-Of-Set haben sich The Who für ihre mittlerweile mehrfach verlängerte 50-Jahre-Jubiläumssause ausgesucht, womit sie auch im von ihnen selbst oft harsch kritisierten Mitteleuropa gut fahren. Das Publikum in Wien brauchte trotzdem einige Zeit, um auf Touren zu kommen, die Band selbst war vom ersten Augenblick an "on time" und zelebrierte ihre eigene Legende mit unheimlich viel Spielfreude und angenehm aufkeimender Selbstironie. So bemerkte Townshend, der seinen Humor gut hinter einer Portion Griesgram versteckte, bei seinem solo gezockten Song "I'm One" nach vermasseltem Beginn süffisant: "Ich sollte 16 sein für diesen verdammten Job". Auch der stark an David Hasselhoff im Rentenalter gemahnende Daltrey hatte des Öfteren den Schalk im Nacken.
Stil statt Skandal
Beflügelt von dieser guten Stimmung rutschen die Hits wie Öl durch die Gehörgänge der Fans. Das kultige "My Generation" wurde mit einer ausufernden Jam-Session schon als vierter Song verbraten, beim bekannten "Behind Blue Eyes" spürte man richtig, wie kräftig das Original im Gegensatz zum populären Limp Bizkit-Cover klingt und im hervorragend exerzierten Instrumental "The Rock" ließen The Who die Weltgeschichte der letzten 70-80 Jahre noch einmal in spannender Videoform Revue passieren. Kaum vorstellbar, dass ein an einen großväterlichen Geschichtelehrer erinnernder Townshend früher Gitarren, Verstärker und Hotelzimmer ruinierte - zu einer Zeit, als sogenannte Skandalboys wie Marilyn Manson oder Pete Doherty noch in "Abrahams Wurstkessel" schwammen.
Heute wirken die einstigen Bürgerschrecke zwar nicht unbedingt wie der personifizierte ZDF-Fernsehgarten, geben aber Altersmilde der Aggression gegenüber den Vorzug. Noch vor dem finalen Block der großen Highlights überzeugten noch zwei weitere Songs besonders eindrucksvoll. Das ohrwurmtaugliche "Join Together" wurde händeklatschend aus tausenden Kehlen inbrünstig mitgesungen und im balladesken "Love, Reign O'er Me" zeigte Daltrey, welch beeindruckende Stimmbrillanz er mit seinen stolzen 72 Jahren noch aufs Parkett legen kann. Der fünf Songs starke Block der legendären Rock-Oper "Tommy" kam dann fast schon zu spät im Set, erst bei den beiden Superhits "Baba O'Riley" und "Won't Get Fooled Again" (beide auch erfolgreich "CSI"-erprobt) stieg der Stimmungspegel noch ein letztes Mal bis zur Decke.
Abschied mit Würde
Dass es nach diesen Nummern keine Zugabe mehr geben konnte, lag zwar auf der Hand, die einzelnen Bandmitglieder aber nach dem vollen Set vorzustellen und kurz darauf von dannen zu ziehen, hatte wieder etwas Sympathisch-Skurriles an sich, das sich nur absolute Legenden erlauben dürfen. Ob es bei den Mittsiebzigern noch einmal für eine Österreich-Show reichen wird, darf stark angezweifelt werden. Sollte dieser Stadthallen-Gig aber der heimische Abgesang der einst bösesten Rockband der Erde gewesen sein, war es ein würdiger. Selbst wenn der nächste Genre-Dinosaurier dem Aussterben anheimfallen wird, hat er sich mit Pomp und Trara für das Langzeit-Fan-Gedächtnis empfohlen. Let there be rock!
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