Vor etwas über einem Jahr kam es zu blutigen Szenen in der Wiener U-Bahn-Station Währinger Straße: Ein 27-jähriger Afghane stach wie von Sinnen auf seine 22 Jahre alte Freundin ein, die sich von ihm trennen wollte. Die im Gesicht und am Hinterkopf getroffene Frau sackte schwerst verletzt zusammen, schwebte sogar in Lebensgefahr. "Sie war und ist die Liebe meines Lebens. Aber unsere Beziehung wurde sehr kalt", klagte der Angeklagte am Montag am Landesgericht in Wien. Die Geschworenen sprachen ihn schuldig. Der Mann wurde wegen versuchten Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt - nicht rechtskräftig.
Nach nicht einmal einer Stunde Beratungszeit gelangten die Geschworenen zu einem einstimmigen Schuldspruch. Zur Strafbemessung stellte Richter Georg Olschak in der Urteilsbegründung fest: "Für eine solch brutalste und auf grausame und heimtückische Weise begangene Tat kann nur mit der Höchststrafe vorgegangen werden." Es gelte auch generalpräventive Erwägungen zu berücksichtigen, gab der Vorsitzende zu bedenken: "Es muss ein für alle Mal klargestellt werden, dass man so mit Frauen in Mitteleuropa nicht umgeht."
Verteidigung geht in Berufung
Irene Oberschlick, die sich als Privatbeteiligen-Vertreterin im Namen der betroffenen 22-Jährigen dem Strafverfahren angeschlossen hatte, bekam ein Schmerzengeld von 50.000 Euro zugesprochen. Zudem haftet der Afghane für sämtliche zukünftige, noch nicht absehbare Folgeschäden. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Verteidigung meldete Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an.
Beide aus Afghanistan geflohen
Täter und Opfer waren mit den Eltern aus Afghanistan geflohen. Sie, die 22-Jährige, "ein Musterbeispiel für Integration", so Staatsanwältin Ursula Schrall-Kropiunig. Kindergärtnerin, Fahr- und Maturaschülerin. Er, der 27-Jährige Musiker - der "wegen der Musik und der Poesie, die verboten war", vor den Taliban floh -, war auch auf einem guten Weg. Perfektionierte seine Deutschkenntnisse, arbeitete.
Bis vor zwei Jahren. Da gingen die Lebenswege des Paares auseinander. Er frühstückte mit Joints und Whiskey, sie lernte. Und mochte seinen Lebenswandel immer weniger. "Kalt" sei die Beziehung geworden, meint Hamid J., wenn sie ihm sagte, dass er sich nicht so aufführen und keinen Blödsinn reden solle.
Zuerst mit Affäre gekuschelt, dann kam Sex "halt dazu"
Gegen die Kälte fand er eine andere Frau. Geredet habe man und gekuschelt, dann kam der Sex "halt dazu". Gewusst habe sie von seiner Freundin. Was, da gehen die Aussagen weit auseinander. Denn die Geliebte sagte als Zeugin vor Gericht, dass er ihr die Hochzeit versprochen habe. Mehrfach. Ursprünglich sollten eigentlich der 27-Jährige und die 22-Jährige heiraten. Die Verlobung scheiterte allerdings, weil der musische Mann, der sich Wien als Hilfsarbeiter verdingte, die von der Familie der jungen Frau geforderten 10.000 bis 11.000 Euro nicht aufbringen konnte.
J. sieht die 22-Jährige nach wie vor als "Liebe des Lebens". Er hatte Angst sie zu verlieren, als sie immer stärker wurde, sich nichts gefallen ließ. Das Fass zum überlaufen brachte ein Klaps auf seinen Mund an jenem 12. Juli 2016 in der Wiener U-Bahn-Station Währinger Straße bei der Aussprache, bei der er - vor anderen Fahrgästen - zu laut für sie wurde.
"Ihr Traum ist zerstört": Opfer halbseitig gelähmt
Da stach er zu. Mit dem Messer, das er gar nicht bemerkt haben will in seiner Hosentasche. Mit Klinge ist es 20 Zentimeter lang. Zuvor hatte er eine SMS an die Geliebte geschickt: "Ich gehe, um sie zu töten!" Fünf Stiche in Kopf und Rücken, einer zertrennte das Rückenmark. Die fünf Stiche bewirkten bereits lebensgefährliche Verletzungen. Doch die junge Frau stürzte obendrein über eine Eisenstiege in die Tiefe, was zusätzlich einen lebensbedrohlichen Schädelbasisbruch zur Folge hatte. Die Frau ist nun halbseitig gelähmt. "Ihr Traum", so ihre Anwältin Irene Obeschlick, "selbstbestimmt zu leben, wird sich nicht erfüllen." Sie braucht Pflege.
27-Jähriger ließ sich widerstandslos festnehmen
Der 27-Jährige ließ sich noch am Tatort widerstandslos festnehmen. "Ich denke, ich bin schuldig, weil, ich fast einen Menschen umgebracht habe. Zum Glück hat sie es überlebt. Ich bete regelmäßig, dass sie wieder gesund wird", hielt der Angeklagte in seinem Schlusswort fest. Seine Verteidigerin plädiert auf schwere Körperverletzung mit - bezogen auf die Lähmungserscheinungen der 22-Jährigen - Dauerfolgen. Vom Tötungsvorsatz sei der Mann zurückgetreten, weil er noch am Tatort Polizei und Rettung verständigt, die Schwerverletzte bei Bewusstsein gehalten und Passanten um Hilfe gebeten hätte.
Angeklagter: "Ich weiß nicht, wie ich begonnen habe zu stechen"
J. kann oder will nicht so richtig an die Bluttat erinnern "Ich weiß nicht, wie ich begonnen habe zu stechen." Er könne sich erst wieder erinnern, wie er den Kopf der blutend am Boden Liegenden hielt und diese ihn "Sei kein Esel, ich liebe dich" wissen ließ.
G. Gödel und S. Pratschner, Kronen Zeitung/krone.at
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