Der mittlerweile siebente Verhandlungstag im Amok-Prozess gegen den Todeslenker Alen R. ist am Mittwoch ganz im Zeichen des Streits der Gutachter um die Zurechnungsfähigkeit des 27-Jährigen gestanden. Seit 9 Uhr erörterten die zuständigen Psychiater ihre Ansichten rund um den geistigen Zustand R.s am 20. Juni 2015, als er mit einem SUV durch die Grazer Herrengasse raste. Für den Sachverständigen Jürgen Müller wähnte sich R. "im Auftrag der Gerechtigkeit unterwegs". Ein Urteil im Prozess wird es erst am Donnerstag geben.
Bereits kurz vor 8 Uhr waren alle Eintrittskarten für Zuschauer vergeben, auch das Polizeiaufgebot war deutlich größer als an den vorangegangenen Verhandlungstagen. Nachdem am Dienstag die letzten Zeugen gehört worden waren, waren am Mittwoch erneut die psychiatrischen Gutachter und die psychologischen Sachverständigen am Wort.
Uneinigkeit über Zurechnungsfähigkeit
Die Experten sind sich nicht einig, ob Alen R. für seine Tat zur Rechenschaft gezogen werden kann oder nicht. Bereits am Tag nach der Amokfahrt hatte Psychiater Peter Hofmann den Betroffenen untersucht, später dann noch einige Male. Er kam in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass R. an "paranoider Schizophrenie" leide und daher nicht zurechnungsfähig sei. Manfred Walzl, ein Grazer Psychiater, wurde ebenfalls beauftragt, den 27-Jährigen zu untersuchen. Er kam, anders als sein Kollege, zu dem Schluss, R. sei zurechnungsfähig.
Also wurde als "Obergutachter" der deutsche Experte Jürgen Müller hinzugezogen, der sich Hofmanns Meinung - sein Gutachten hatte Hofmann bereits am Dienstag erläutert - anschloss. So erklärte er vor Gericht, dass sich R. am Tattag "im Auftrag der Gerechtigkeit unterwegs" wähnte, und seine Zurechnungsfähigkeit dadurch komplett aufgehoben gewesen sei. Der 27-Jährige habe nicht gewusst, "dass er Unrecht tut", so Müller.
Die Geschworenen müssen in dem aufsehenerregenden Prozess vor allem über die Zurechnungsfähigkeit des Betroffenen entscheiden, da die Staatsanwaltschaft keine Anklage, sondern nur einen Antrag auf Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingebracht hat.
Als Hauptfrage gilt es für die Laienrichter zu beantworten, ob der 27-Jährige am 20. Juni 2015 drei Menschen getötet und rund 50 verletzt hat. Da die Tat außer Frage steht, wird die Zusatzfrage entscheidend sein: Ist der Betroffene imstande, sein Unrecht einzusehen, war also zum Tatzeitpunkt die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit gegeben?
Sollten die Geschworenen befinden, dass R. zurechnungsfähig war, kann er verurteilt werden. Zusätzlich ist eine Einweisung in eine Anstalt möglich. Kommen die Laienrichter zu dem Schluss, dass der 27-Jährige nicht zurechnungsfähig war, wird nur die unbefristete Einweisung verfügt.
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