Traiskirchen-Chef:

“Caritas, Amnesty & Co. verdienen an der Krise”

Österreich
24.03.2017 16:33

Politiker und Hilfsorganisationen missbrauchten das Asylwesen für Parteipolitik und eigene Interessen, um die Asylwerber selbst gehe es ihnen am wenigsten - diesen Vorwurf erhebt der langjährige Leiter des Flüchtlingslagers Traiskirchen, Franz Schabhüttl, in seinem am Freitag präsentierten Buch "Brennpunkt Traiskirchen". Er sagt: Der Staat mache sich "zum verlängerten Arm der Schlepper" - und die NGOs verdienten an der Flüchtlingskrise.

Franz Schabhüttl sorgt mit seinem Buch "Brennpunkt Traiskirchen" für Aufsehen. (Bild: APA/Herbert Neubauer)
Franz Schabhüttl sorgt mit seinem Buch "Brennpunkt Traiskirchen" für Aufsehen.

Weder das Bild des linken noch das des rechten Lagers entspreche der Realität des Asylwesens, berichten Schabhüttl und Mit-Autor Andreas Wetz in ihrem Protokoll aus dem Inneren des Asylsystems. Asylwerber seien weder "hilfsbedürftig und arm" noch "böse und gefährlich". Beide Lager würden die Wirklichkeit bewusst verzerren. "Die Wahrheit sieht anders aus", sagte Schabhüttl bei der Präsentation des Buches.

So herrschte etwa laut Darstellung von NGOs wie Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen und Caritas im Sommer 2015, als das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen mit 4740 Flüchtlingen deutlich überbelegt war, unter den Asylwerbern Not, Hunger und medizinische Unterversorgung. Das sei zu jedem Zeitpunkt falsch gewesen und habe in der Bevölkerung "zutiefst menschliche, aber objektiv nicht notwendige Hilfsreflexe" ausgelöst. "Wir mussten durch die so ausgelöste Spendenflut auf Kosten der Steuerzahler wöchentlich bis zu 50 Tonnen an brauchbaren Waren entsorgen", so Schabhüttl.

Traiskirchen-Leiter Franz Schabhüttl (Bild: Klemens Groh)
Traiskirchen-Leiter Franz Schabhüttl

"Die Caritas hatte ihren Spendenbus an einer medienwirksamen Stelle platziert und die übermittelten Bilder zeigten immer nur Asylwerber, die zu einem ankommenden Auto eilten, aus dem Güter verteilt wurden. Nicht gezeigt wurden die Berge an Spenden, die in Müllcontainern verschwanden."

"Man wollte es halt nicht hören"
Er habe damals darauf hingewiesen, dass man keine Spendengüter brauche, weil es im Lager alles gebe, "aber man wollte es halt nicht hören", berichtete Schabhüttl. Hilfsorganisationen wie die Caritas leisteten wichtige Arbeit, würden auf dem Gebiet des Asyl- und Fremdenwesens aus finanziellem Eigeninteresse aber wie große Wirtschaftsbetriebe agieren.

Die Darstellung populistischer und regionaler Politiker, dass Asylwerber tendenziell kriminell seien, sei ebenso falsch. Wenn es um Kriminalität gegangen sei, dann vor allem um Handydiebstähle und andere niederschwellige Strafrechtsdelikte wie Drogenhandel in kleinen Mengen. Schwerwiegende Zwischenfälle wie Massenschlägereien kamen während Schabhüttls 26 Jahren in Traiskirchen zwar vor, jedoch sehr selten. Anlass für solche Auseinandersetzungen waren nie inter-ethnische Konflikte, sondern Revierstreitigkeiten einzelner Straftäter, die sich Verstärkung bei nicht in die Geschäfte eingeweihten Landsleuten holten.

(Bild: APA/HANS PUNZ)

"Für 40 Prozent der Flüchtlinge gab es objektiv keinen Fluchtgrund"
Wenn es ein Vorurteil bezüglich Asylwerbern gebe, dann dieses: Sie seien mehrheitlich jung, männlich und nachtaktiv, so Schabhüttl, der Traiskirchen 13 Jahre leitete und am 1. April in den Ruhestand tritt. Die meisten Flüchtlinge sind demnach nicht wegen akuter Lebensbedrohung von einem Land in das nächste sichere gegangen, sondern auf der Suche nach besseren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Sie hätten ihre Flucht großteils zu Hause bei Schlepperbanden gebucht und viel Geld dafür bezahlt. Ihr Hauptproblem bestehe darin, dass sich die Versprechungen der Schlepper als Lügen herausgestellt hätten und viele schon deshalb nicht mehr nach Hause könnten, weil sie sich für ihre Flucht verschuldet hätten und zu Hause ihr Gesicht verlieren würden. Für knapp 40 Prozent aller Flüchtlinge im Jahr 2016 sei objektiv betrachtet nie ein Fluchtgrund vorgelegen.

Jetzt kommen "Wahrheiten, die zuvor niemand hören wollte"
Schabhüttl und Wetz geht es mit ihrem Buch darum, "ein paar Wahrheiten auszusprechen, die in den vergangenen Jahren niemand hören wollte". Es handle sich nicht um eine Abrechnung, sondern um seine persönliche Wahrnehmung und subjektive Wahrheit, so Schabhüttl bei der Buchpräsentation. Es sei bedauerlich, dass der Bevölkerung stets ein verzerrtes Bild dieser nüchternen Wirklichkeit präsentiert werde. "Im Klartext heißt das, dass die Österreicher nur ausgesuchte und der eigenen Agenda dienliche Details aufgetischt bekommen, was eine vernünftige Asyl- und Integrationspolitik erschwert bis unmöglich macht."

Franz Schabhüttl (Bild: APA/ROBERT JAEGER)
Franz Schabhüttl

"Obdachlosenzelt war nie notwendig"
Mit "eigenwilligen Interpretationen der Realität" werde öffentlicher Druck aufgebaut, der falsche Maßnahmen auslöse. Als Beispiel dafür nennen Schabhüttl und Wetz ein von Christian Konrad in seiner Funktion als Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung urgiertes Warte- und Obdachlosenzelt, das eine siebenstellige Summe verschlungen habe, aber eigentlich nie notwendig gewesen sei. Der Politik wirf Schabhüttl Aktionismus vor.

Sommer 2015: Die 171 Notzelte sind mittlerweile abgebaut. (Bild: Klemens Groh)
Sommer 2015: Die 171 Notzelte sind mittlerweile abgebaut.

Als Niederösterreich 2014 etwa einen gewerberechtlichen Aufnahmestopp in Traiskirchen verfügt hatte und der private Partner ORS keine neuen Flüchtlinge versorgen durfte, musste sich das Innenministerium wieder selbst um die Flüchtlinge kümmern. Die Folge: 4500 Beamten-Überstunden und Zusatzkosten von mehr als einer Million Euro.

"Staat verlängerter Arm der Schlepper"
Als Kernproblem des Asylwesens ortet Schabhüttl die Genfer Flüchtlingskonvention. "Es gibt keine andere Möglichkeit zu kommen als über ein Asylverfahren, und wenn jemand über ein Asylverfahren kommt, ist der Staat gezwungen, mit ihm umzugehen. Der Staat macht sich damit zum verlängerten Arm der Schlepper und die NGOs verdienen dabei durch Betreuung etwa im medizinischen, psychologischen oder rechtlichen Bereich, weil sie den Staat mit dem Zeigefinger der eigenen Moral vor sich hertreiben. Die Schlepper entscheiden, wen sie bringen, und sie bringen vorwiegend die unteren sozialen Schichten."

(Bild: Klemens Groh)

Der Staat müsse deshalb in den Herkunftsländern stärker kommunizieren, was Asylwerber wirklich erwartet, und eine Möglichkeit zur Zuwanderung außerhalb der Asylschiene schaffen, über die er selbst bestimmt. So müssten potenzielle Einwanderer etwa eine Möglichkeit haben, in ihrem Heimatland Einwanderungsanträge zu stellen. "Diese Dinge wurden bereits diskutiert und immer als unmöglich eingestuft. Für die Schließung der Balkanroute galt lange das Gleiche, und es hat dann doch geklappt."

Die aktuelle Lage im Flüchtlingslager Traiskirchen bezeichnete Schabhüttl als "ruhig". Der "Belagstand" pendle seit Monaten zwischen 500 und 700 Flüchtlingen.

Kurz auf Malta: "NGOs am Mittelmeer Partner der Schlepper"
Ähnlich hatte sich am Freitag auch Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) auf Malta geäußert. Bei einem Besuch der Frontex-Mission im Mittelmeer kritisierte Kurz die Rettungsaktionen von Hilfsorganisationen im Mittelmeer scharf: "Der NGO-Wahnsinn muss beendet werden!" Die Rettungsaktionen der NGOs führten dazu, dass mehr Flüchtlinge im Mittelmeer sterben würden statt weniger, so der Außenminister.

Caritas-Chef: "Es wurden keine Spenden entsorgt"
Caritas-Wien-Chef Klaus Schwertner wehrt sich im "Krone"-Interview gegen die Vorwürfe Schabhüttls: "Der Vorwurf, dass es uns hier um eine PR-Kampagne gegangen sei, ist absurd. Noch absurder ist es, wenn angesichts von obdachlosen Kindern von Zeltromantik gesprochen wird. Es ging vielmehr um konkrete Hilfe. In Traiskirchen herrschte dringender Handlungsbedarf."

Klaus Schwertner (Bild: Klemens Groh)
Klaus Schwertner

Der Spendenbus seiner Organisation sei auch nicht "medienwirksam" vor dem Eingangstor der Erstaufnahmestelle geparkt worden. "Wir waren lange vor dem Höhepunkt vor Ort und halfen. Scheinwerfer und Kameras sind schon lange weitergezogen", sagt Schwertner. Dass viele Spendengüter einfach weggeworfen worden seien und tonnenweise Müll produziert wurde, der nicht notwendig gewesen wäre, streitet der Caritas-Chef ebenfalls ab: "Wenn Menschen obdachlos sind und verschmutzte Kleidung nicht waschen können, oder wenn Zeltplanen zerreißenlangjährigen Leiter des Flüchtlingslagers: "Ich würde freiwilligen und Hilfsorganisationen nicht ablehnend und skeptisch entgegentreten, sondern versuchen, gemeinsam an einem Strang zu ziehen."

krone.at/Kronen Zeitung

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