Die Österreicher sind mit dem Funktionieren der Demokratie deutlich unzufriedener als noch vor zehn Jahren. Waren 2007 noch 44 Prozent der Menschen zufrieden, gilt dies jetzt nur noch für 32 Prozent. Stolze 43 Prozent der Österreicher sprechen sich für einen "starken Mann" an der Spitze des Landes aus, 23 Prozent sind sogar für einen "starken Führer".
Diese Ergebnisse brachte eine vom Zukunftsfonds der Republik in Auftrag gegebene repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts SORA sowie des Vereins zur wissenschaftlichen Aufarbeitung von Zeitgeschichte. 1000 Personen ab 15 Jahren wurden dafür im Februar und März 2017 telefonisch befragt.
Demokratie büßt an Popularität ein
Die Demokratie ist demnach weiterhin die mit Abstand beliebteste Regierungsform, die Zustimmung zu autoritären Systemen steigt jedoch an. 78 Prozent nannten die Demokratie - trotz möglicher Probleme, die sie mit sich bringen mag - als beste Regierungsform. Sie hat allerdings in den vergangenen zehn Jahren an Zustimmung verloren: 2007 lag der Wert noch bei 86 Prozent.
Umgekehrt verhält es sich mit der Unterstützung für autoritäre Systeme: Aktuell lehnen 45 Prozent einen "starken Führer", der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss, völlig ab. Im Jahr 2007 taten dies noch 61 Prozent. 23 Prozent sind für einen "starken Führer" inklusive Systemwechsel, 2007 hatten dies noch 14 Prozent befürwortet.
Mehr als die Hälfte sieht sich als ohnmächtig
Gleichzeitig hat der Eindruck zugenommen, dass Demokratie nicht richtig funktioniere und die Menschen wenig Mitsprache hätten. Ein Grund für den Rückgang der Zufriedenheit mit der Demokratie dürfte vor allem darin besteht, dass immer mehr Menschen das Gefühl haben, keinen Einfluss auf die Aktivitäten der Regierung zu haben. Aktuell behaupten dies 52 Prozent, 2007 waren es noch 42 Prozent. Vor allem Menschen mit geringerer formaler Bildung und Jüngere vertreten diese Ansicht.
Die sinkende Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie hängt darüber hinaus auch mit dem seit 2007 gestiegenen Gefühl der Unsicherheit zusammen: Die Aussage "Alles ist heute so in Unordnung geraten, dass niemand mehr weiß, wo man eigentlich steht" erhielt 2007 noch 32 Prozent Zustimmung, 2017 waren es bereits 41 Prozent. Das Gefühl von Ohnmacht ist bei Menschen mit geringerer formaler Bildung und Älteren besonders verbreitet.
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Wer sich unsicher fühlt, will "starken Mann"
Der Wunsch nach "Recht und Ordnung" ist deshalb von 53 auf 61 Prozent gestiegen. Bei rund zehn Prozent der Österreicher zeigen sich durchgängig autoritäre Einstellungsmuster. Diese reichen von einer ambivalenten bzw. positiven Bewertung des Nationalsozialismus bis hin zum Wunsch nach dem viel zitierten "starken Mann". Der Großteil jener Menschen, die sich einen "starken Mann" an der Spitze Österreichs vorstellen können, sind Menschen mit hoher Unsicherheit und jene, die mit dem aktuellen Funktionieren der Demokratie in Österreich nicht zufrieden sind. Unter diesen beiden Gruppen befinden sich besonders viele Pflichtschulabsolventen, Arbeiter und Menschen mit mittleren Einkommen.
Das Geschichtsbewusstsein der Österreicher hat unterdessen in zentralen Aspekten zugenommen. 72 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges denkt rund die Hälfte der Bevölkerung, dass der Nationalsozialismus Österreich nur oder großteils Schlechtes gebracht hat. Rund ein Drittel sieht sowohl Gutes als auch Schlechtes im Nationalsozialismus. Je höher der Bildungsabschluss der Menschen, desto stärker verbinden sie mit dem Nationalsozialismus nur Schlechtes.
"Gewaltiger Schub beim autoritären Hardcore-Potenzial"
Der Historiker Oliver Rathkolb und SORA-Meinungsforscher Günther Ogris sehen bei Politik und Medien aufgrund der Umfrageergebnisse akuten Handlungsbedarf. Rathkolb sprach bei der Präsentation der Ergebnisse von einem "gewaltigen Schub beim autoritären Hardcore-Potenzial". Die Politik müsse sich aber auch um jene kümmern, die politisch apathisch sind. "Politische Apathie, wie immer sie verursacht sein mag, führt zu autoritären Systemen", sagte Rathkolb.
Der Historiker forderte im Hinblick auf das 100-jährige Republiksjubiläum 2018 Aktivitäten im Bildungsbereich. "Es wäre im effizienter, nicht über Ferien zu diskutieren, sondern simple Maßnahmen zu setzen." Darüber hinaus plädierte Rathkolb für eine Abkehr vom "elitären Zugang" in der Bildungspolitik. "Wir sind viel zu sehr auf Gymnasium, Mittelschule und universitäre Ausbildung fokussiert, aber lassen den Bereich der Pflichtschulen, Berufsschulen und Lehrlinge außen vor."
Politik muss Vertrauen und Image verbessern
SORA-Chef Ogris sagte, dass sich Politik und politiknahe Institutionen überlegen müssten, wie sie wieder verstärkt in Kontakt mit der Bevölkerung kommen und Vertrauen und Image verbessern. "Dasselbe gilt für die Medien. Die sind mit im Boot in der Vertrauenskrise." Medien müssten hinterfragen, wie sie den politischen Diskurs, den Kompromiss, politische Verhandlungen bewerten, kommentieren und ihren Konsumenten präsentieren. Die Wähler rief Ogris auf, sich zu fragen, welches System und welche Demokratie sie wollen, wie wichtig Regierung und Opposition, Meinungsfreiheit oder unabhängige Gerichte sind.
Bereits im September 2016 hatte SORA vor dem "stärksten demokratischen Erosionsprozess seit den 30er-Jahren" gewarnt. Das sinkende Vertrauen in die Politik sowie "permanentes Negativ-Campaigning" hätten zu dieser Entwicklung beigetragen.
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