14-Jährige erstochen

Ehrenmord in Wien: Der Tod einer Abtrünnigen

Österreich
24.09.2017 06:45

Sie musste Kopftuch tragen. Sie durfte keine Freundinnen haben. Sie sollte eine Zwangsehe eingehen. Doch Bakhti wollte ein westliches Leben führen. War das ihr Todesurteil? Am vergangenen Montag wurde die junge Afghanin von ihrem Bruder erstochen.

Eine schmale Gasse in Wien-Favoriten. Altbau, zweiter Stock, 80 Quadratmeter. Die wenigen Kästen, die in den drei Zimmern stehen, sind desolat. Die Türen schließen nicht, vor den Schubladen fehlen die Abdeckungen.

(Bild: Andi Schiel)

Die Küchenzeile: ein Gerüst, nur eine Herdplatte funktioniert. Am Boden fleckige Teppichböden. Alte Matratzen und Sofas. Schmutzige Wände. Neonlicht. Nirgendwo ein Bild, nirgendwo eine Vase - nirgendwo irgendetwas, das Gemütlichkeit vermitteln würde.

Und dann stach er auf sie ein - 28 Mal
Eine seltsame Art von Kälte ist in der Wohnung spürbar. Eine Kälte, die nichts mit Armut zu tun hat. Sondern eher mit Gleichgültigkeit. In dieser von dem Draußen scheinbar völlig abgeschotteten Welt. Ohne einander anzusehen, sitzen oder stehen sie nun alle da, in dem größten der Räume. Hamedulla (46) und Maimona S. (38) und ein paar ihrer Kinder.

"Schlecht geht es mir", sagt der Vater, "meine Tochter ist tot, mein Sohn im Gefängnis." Seine Frau kauert neben ihm und schaut mit starrem Blick zur Decke. Die Tragödie, sie geschah am vergangenen Montag. Nur wenige Hundert Meter von ihnen entfernt, im Innenhof eines Hauses in der Puchsbaumgasse.

28 Mal stach Hikmatullah S. (18) dort mit einem Rambo-Messer auf die 14-jährige Bakhti ein. Danach stellte er sich der Polizei: "Nehmen Sie mich fest. Ich habe meine Schwester umgebracht. Und ja, es ist gut, dass sie tot ist. Denn sie hat die Ehre meiner Familie beschmutzt."

Der Tatort im Hinterhof eines Wohnhauses in der Puchsbaumgasse (Bild: Andi Schiel)
Der Tatort im Hinterhof eines Wohnhauses in der Puchsbaumgasse

War die Tat von langer Hand geplant?
Die Vorgeschichte zu dem grauenhaften Verbrechen: Wenige Tage vor seinem Tod war das Mädchen - wieder einmal - in ein Kriseninterventionszentrum geflüchtet. "Meine Eltern", so der Täter im Verhör, "kränkten sich deswegen sehr, und daher empfand ich es als meine Pflicht, ihnen Bakhti zurückzubringen."

Den Abend vor dem Drama hatte er bei Vater und Mutter verbracht, "sie weinten beide viel". In der folgenden Nacht "streifte ich rast- und ziellos in der Gegend herum". "Zufällig" habe er dann um etwa 7.30 Uhr seine Schwester getroffen, in einer U-Bahn-Station, als sie gerade auf dem Weg zur Schule war, "und da bat ich sie, mit mir ein bisschen spazieren zu gehen, damit wir in Ruhe miteinander reden können".

Ein Foto zeigt Bakhti und Hikmatullah kurz vor der Tat in einer Wiener U-Bahn-Station. (Bild: Andi Schiel)
Ein Foto zeigt Bakhti und Hikmatullah kurz vor der Tat in einer Wiener U-Bahn-Station.

Bakhti, erklärt der 18-Jährige weiter, habe sich bei der Aussprache "uneinsichtig" gezeigt: "Wir begannen zu streiten, und plötzlich versetzte sie mir einen Stoß. Ich begriff, dass sie keinen Respekt vor mir hat. Und ich wurde wütend." So wütend, dass er - angeblich - "in einer Art Blackout" seine Waffe zog. Allerdings gibt es Indizien dafür, dass die Tat geplant gewesen sein könnte.

Das Rambo-Messer wurde von Hikmatullah S. erst vor zwei Wochen gekauft, danach in einem Park vergraben und kurz vor der Tat ausgebuddelt. Der 18-Jährige trug bei dem Angriff Handschuhe.

Mädchen hatte Angst vor einem Rachemord
Und: Obwohl er beteuert, das Opfer "extrem geliebt" und "niemals geschlagen" zu haben, hatte Bakhti, mit Verletzungen an den Armen und im Gesicht, am 30. Juni 2017 ihn und den Vater wegen "dauerhafter Gewaltausübung" an ihr angezeigt. "Die beiden misshandeln mich ständig. Meine Mutter hilft mir nie, manchmal lacht sie, während ich verprügelt werde", gab sie damals der Kripo zu Protokoll: "Und mein Papa bedrohte mich sogar schon mit dem Umbringen. Ich will nicht mehr nach Hause, denn dort könnte mir Fürchterliches geschehen."

(Bild: APA/HANS KLAUS TECHT, Andi Schiel, krone.at-Grafik)

Eine Woche wohnte das Mädchen dann in einem Kriseninterventionszentrum - danach kam es wieder in die Obhut seiner Eltern. "Meine Schwester hat immer viel gelogen", sagt der Mordverdächtige. Seine Familie behauptet Ähnliches. Warum wollte die Tochter lieber in einem Heim als bei ihrer Familie leben? "Wir verstehen das nicht, es ging ihr gut bei uns", so die Eltern. Aber es muss doch Schwierigkeiten gegeben haben? "Bakhti war manchmal schwierig." Inwiefern? "Sie hielt sich nicht an Regeln."

Die 14-Jährige durfte keine Freundschaften pflegen und nur in Begleitung der Eltern oder ihrer Geschwister nach draußen. Sie wurde gezwungen, ein Kopftuch zu tragen. Und sie wehrte sich gegen eine vom Vater bereits beschlossene Zwangsheirat im Ausland. War das ihr Todesurteil?

Wegen "gefährlicher politischer Feinde" Heimat verlassen
Die Geschichte der Familie: Sie stammt aus Afghanistan, der Vater verließ 2009 seine Heimat, "weil ich dort gefährliche politische Feinde hatte". Herr S., was war früher Ihr Beruf? "Taxifahrer." Arbeitet er hier? "Ja, ganz am Anfang, sechs Monate in einem Hotel, als Tellerwäscher. Dann wurde ich schwer krank. In meinen Ohren ist dauernd ein Rauschen und mein Kopf tut weh." 2013 gelang dem Mann - offiziell gilt er in Österreich als "schutzbedürftig" -, seine Frau und seine sieben Kinder zu sich zu holen. Sie alle waren bis dahin, wie er, Analphabeten.

Zwei Töchter befinden sich mittlerweile in Pakistan, sie mussten dort arrangierte Ehen eingehen. Maimona S. gebar währenddessen in Wien zwei weitere Buben. In Kürze erwartet sie abermals ein Baby.

Wie schafft es die Familie, über die Runden zu kommen? "Es geht uns nicht schlecht, der Staat unterstützt uns", erklärt Shabana (16) stellvertretend für ihre Eltern. Der Vater spricht schlecht, die Mutter kein Wort Deutsch.

Die Zukunft ihrer Töchter und Söhne? Matiullah (19) mischt sich in das Gespräch ein: "Wir Älteren sind in Österreich in die Schule gegangen - genauso wie die Jüngeren jetzt." Einen Job zu finden, sei für ihn dennoch "fast unmöglich, und für Hikmatullah war es das genauso". Er wäre gern Maurer geworden, doch er fand nie eine Lehrstelle.

"Ich bin kein schlechter Mensch"
Wie verbrachte der 18-jährige Hikmatullah - er bezog 500 Euro Sozialhilfe - die Tage? "Er besuchte oft Freunde, in Salzburg und in Linz." Und sonst? "Ich bin viel auf der Straße gewesen", so der Mordverdächtige. Mehrfach war er vor seiner Verhaftung angezeigt worden: wegen Diebstahl, Betrug, Gewaltdelikten. "Aber ich bin kein schlechter Mensch. Und ich trinke auch keinen Alkohol." Weil ihm das seine Religion verbiete. Genauso wie das Fotografieren von Frauen. Hamedulla und Maimona S. besitzen kein einziges Bild von Bakhti.

Dem Akt zu dem Kriminalfall liegt eines bei. Es zeigt das Mädchen, am Tatort. Mit einem Schlauch im Mund und Elektroden am Oberkörper. Vergeblich hatten Notärzte versucht, das Opfer wiederzubeleben. Warum musste die 14-Jährige wirklich sterben? "Wir wissen es doch nicht", sagen ihre Eltern.

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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