A4-Flüchtlingsdrama

Ein Jahr danach: Der Fahnder und die 71 Toten

Österreich
14.08.2016 12:01

59 Männer, acht Frauen und vier Kinder erstickten qualvoll in einem Schlepper-Lkw. Ein Jahr nach dem Drama spricht nun jener Fahnder, der die Opfer in langer, harter Arbeit identifizieren musste, in der "Krone".

Bald jährt sich das Drama zum ersten Mal: Am 27. August 2015 wurde in einer Nothaltebucht der A4 bei Parndorf im Burgenland ein Kühltransporter mit ungarischem Kennzeichen entdeckt. Verwesungsgeruch drang aus dem Wagen ... Bereits am Tag davor war er, wie die Kripo später ermittelte, an der Ostautobahn abgestellt worden. Von Schleppern.

Der auf einem Pannenstreifen der A4 abgestellte Lkw der Schlepper (Bild: APA/ROLAND SCHLAGER)
Der auf einem Pannenstreifen der A4 abgestellte Lkw der Schlepper

Todeskampf der hilflosen Opfer
Bei der Öffnung des Fahrzeugs bot sich den Einsatzkräften ein grauenhaftes Bild: 71 Menschen - 59 Männer, acht Frauen, vier Kinder - befanden sich in dem nur 13 Quadratmeter großen Laderaum. Sie alle: qualvoll erstickt. Einige von ihnen dürften, wie Wunden an ihren Händen zeigten, im Todeskampf noch versucht haben, die Hintertür des Lkws aufzubrechen und die Wände aufzuschlitzen.

Die Opfer, sie stammten aus dem Irak, aus Afghanistan, Syrien und dem Iran. Es dauerte Monate, bis sie identifiziert werden konnten. "Bei einer Person wissen wir leider bis heute nicht, um wen es sich handelt", sagt Christian Rosenich vom Landeskriminalamt Burgenland. Er war Leiter jenes Fahnder-Teams, das den Leichen Namen geben, Verwandte der Verstorbenen finden, um DNA-Abnahmen bitten und ihnen letztlich Todesnachrichten überbringen musste.

Ermittler der Spurensicherung beim Todes-Lkw (Bild: APA/ROLAND SCHLAGER)
Ermittler der Spurensicherung beim Todes-Lkw

Viele Wochen harter Arbeit
Jetzt sitzt der 53-Jährige in einem ruhigen Gastgarten in Eisenstadt, nahe seiner Dienststelle, und erinnert sich an die vielen, vielen Wochen harter Arbeit nach der Tragödie. Bloß ein paar Pässe, Handys und Laptops, kontaminiert mit Leichenflüssigkeit, lagen am Anfang der Erhebungen auf seinem Schreibtisch: "Und dann begannen unsere Recherchen." Mit Unterstützung von Dolmetschern wurden Nummern, die in den Mobiltelefonen gespeichert waren, angerufen: "Manchmal erreichten wir gleich nahestehende Angehörige."

Sie weinten, sie schrien vor Schmerz bei den Gesprächen. Rosenichs Gefühle dabei? "Ich habe versucht, das Leid der Hinterbliebenen nicht zu nahe an mich heranzulassen. Denn sonst hätte ich meinen Job nicht machen können." Und wenn das "Abschotten" mal doch nicht gelang, "dann sprach ich mit einem unserer Polizeipsychologen". Was waren die schlimmsten Schicksale, mit denen er bei den Erhebungen konfrontiert war? "Da gab es Dutzende."

"Sie träumten von einer guten Zukunft"
Die Menschen, die am Morgen des 26. August in der ungarischen Stadt Kecskemét in den Lkw eines Schlepperrings gestiegen waren, "hatten von einer wundervollen Zukunft in Europa geträumt - und dafür viel aufgegeben". Kaum seien Kriegsflüchtlinge unter ihnen gewesen, "die meisten hatten in ihren Heimatländern nicht in Armut oder Angst gelebt. Sie hatten dort fixe Stellen, wohnten in sauberen Häusern, und einige konnten es sich sogar leisten, auf Urlaub zu fahren."

Woher Christian Rosenich all das weiß? "Von den Fotos und Videos, die auf den Handys und Laptops der Verstorbenen gespeichert waren. Und durch die Erzählungen ihrer Verwandten. Viele von ihnen hatten die späteren Opfer davor gewarnt, den absurden Versprechen von Schleppern Glauben zu schenken und sich ihnen für hohe Summen auszuliefern - um eine Reise ins Ungewisse anzutreten." 56 der Toten wurden letztlich zur Bestattung in die Dörfer und Städte überstellt, in denen sie einst geboren wurden, 15 auf dem muslimischen Friedhof in Wien-Inzersdorf beerdigt.

15 der 71 Opfer wurden auf dem muslimischen Friedhof in Wien-Inzersdorf bestattet. (Bild: Andi Schiel)
15 der 71 Opfer wurden auf dem muslimischen Friedhof in Wien-Inzersdorf bestattet.

Drahtzieher wohl weiterhin im Geschäft
Die fünf Männer - vier Bulgaren und ein Afghane -, die den Kühltransporter einst gekauft hatten und während der Todesfahrt in der Führerkabine saßen, sitzen in Ungarn in Haft. Demnächst soll ihnen der Prozess gemacht werden. Die Anklage wird vermutlich auf fahrlässige Tötung lauten. Die wahren Drahtzieher des Verbrechens konnten bis dato nicht ausgeforscht werden.

"Wahrscheinlich betreiben sie noch immer ihr schreckliches Geschäft", sagt Rosenich, und seine Stimme klingt bitter. Aber er will nun nicht mehr an die Täter denken. Denn sein Urlaub hat gerade begonnen. Wohin geht es? "Ich wandere in einer Pilgergruppe nach Mariazell. Ein wenig seelische Einkehr ist manchmal nämlich notwendig."

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