Ein Meer an Fahnen auf beiden Seiten, doch es ist eine Feindschaft bis aufs Blut: Die einen fordern die Freilassung von PKK-Führer Abdullah Öcalan, die anderen demonstrieren mit roten Flaggen und Halbmond - Alarmstufe Rot am heutigen Samstag in der Wiener City.
Vom Schwarzenbergplatz marschieren Kurden am späten Nachmittag (Start: 16 Uhr) Richtung Parlament. Türken könnten sich ihnen erneut in den Weg stellen und für Provokationen sorgen.
Die Polizei ist nach den jüngsten Ausschreitungen am Stephansplatz gerüstet. Denn längst wird der Konflikt auch auf österreichischem Boden ausgetragen - Stichwort: Brandanschlag in Wels.
Video: "Wie im Krieg" - Panik nach Demo am Stephansplatz
Die "Krone" begab sich auf historische Spurensuche und lud Kenner beider Gruppierungen zu ausführlichen Gesprächen.
Interview: Richard Berger, Kurdische Gesellschaft in Österreich
"Krone": Herr Berger warum führen Sie als Co-Vorstand des kurdischen Dachverbands Feykom eine Demonstration in Wien durch?
Richard Berger: Wir üben unser demokratisches Recht aus und zeigen uns solidarisch mit den Opfern der antidemokratischen Politik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Wir wollen damit Aufmerksamkeit für die vielen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei erlangen und aufzeigen, dass es bereits einen Krieg gegen einen Teil der Bevölkerung in Nordkurdistan - also in der Südosttürkei - gibt.
"Krone": Warum tragen Sie diesen innertürkischen Konflikt damit nach Österreich?
Berger: Wir wollen keine innertürkischen Verhältnisse in Österreich austragen, sondern wir nutzen unser Demonstrationsrecht, um auf all diese Missstände hinzuweisen. Wir lehnen jegliche Art von Gewalt ab und führen einen friedlichen Protest durch. Es ist uns kein Anliegen, eine Eskalation auszulösen. Die Öffentlichkeitsarbeit ist ein Mittel für uns, um die Weltöffentlichkeit für die verheerenden Zustände in puncto Menschenrechte zu sensibilisieren.
"Krone": Wie kommt es da zu den Tumulten?
Berger: Wir lehnen jede Form von Gewalt ab. Anzumerken ist, dass unsere Demos, aber auch Einrichtungen und sogar Vereinsmitglieder, zur Zielscheibe von Provokateuren werden. Unsere Teilnehmer werden sogar in der Türkei denunziert und fotografiert. Via Social Media werden diese Fotos von türkischen Rechtsextremen veröffentlicht und teilweise sogar gestalkt.
"Krone": Gibt es eine Lösung für den Konflikt?
Berger: Es schaut jetzt danach aus, dass die nächste Säuberungswelle die Kurden treffen könnte. Es wurden schon Redaktionen von kurdischen Zeitungen gestürmt, Journalisten wurden in Polizeigewahrsam genommen und sitzen seither in Haft. Eine Lösung des Konfliktes kann nur auf demokratischem Wege erfolgen. Wir möchten, dass die Friedensgespräche mit Herrn Öcalan wieder aufgenommen werden. Unser Ziel ist das Konzept eines demokratischen Konföderalismus mit einer Stärkung der Selbstverwaltung.
Zur Person Richard Berger:
Der Taxiunternehmer Richard Berger ist Co-Vorsitzender der Feykom, des Rats der Kurdischen Gesellschaft in Österreich. 40.000 Kurden stehen mit ihm in Kontakt.
Interview: Birol Kilic, gemäßigte Türkische Kulturgemeinde
"Krone": Herr Kilic, wie kann es sein, dass der Kurden-Türken-Konflikt in Österreich derart eskaliert?
Kilic: Im normalen Alltag in Österreich existiert kein Problem, solange der Konflikt nicht aus der Türkei importiert und diskutiert wird. Es leben mehr als 300.000 Menschen aus der Türkei in Österreich, davon sind unseren Schätzungen nach ca. 100.000 kurdischer Abstammung. Diese sind mehrheitlich sunnitisch und kommen aus Mittelanatolien. Sie stehen teils konservativen Parteien in der Türkei nahe, wie z.B. der AKP, oder linken säkularen Gruppen.
"Krone": Was ist der Hintergrund des Konflikts allgemein?
Kilic: Es gibt unterschiedliche kurdische Gruppierungen mit unterschiedlichen Vorstellungen und Zielen. Die Forderungen reichen vom kurdischen Staat auf türkischem Territorium bis zu weitreichenden Autonomieansprüchen.
"Krone": Warum fordern die Kurden einen eigenen Staat? Wie werden sie in der Türkei benachteiligt?
Kilic: Gegenwärtig hängt es von den demokratischen Entwicklungen ab. Kurdischstämmige Politiker mit sunnitischer und konservativer Ausrichtung üben hohe Funktionen in der AKP-Regierung und im Staat aus. Eine Benachteiligung existiert wohl eher gegenüber Aleviten - egal ob Türken oder Kurden.
"Krone": Seit Jahren wird die Freilassung von PKK-Führer Öcalan gefordert. Warum?
Kilic: Er ist vielleicht eine charismatische Führungsfigur für Millionen von Kurden, aber sicherlich nicht für alle. Seine Person steht für Freiheitskampf wie einst der Bauernanführer Stefan Fadinger. Von türkischer Seite wird er als Staatsfeind und Terrorist eingestuft.
"Krone": Kurden bei uns gehen seit Jahren für ihn auf die Straße. Was bringt das?
Kilic: Man muss klar feststellen, dass die Lösung sämtlicher innertürkischen Probleme nicht auf Österreichs Straßen gefunden werden kann. Auch Übergriffe auf Vereinslokale erschweren das Leben in Österreich für alle Menschen. Wir lehnen solche Demos ab.
Zur Person Birol Kilic:
Birol Kilic ist Obmann der gemäßigten Türkischen Kulturgemeinde und warnt vor dem Import innerpolitischer Probleme aus der Türkei. Das schade allen in Österreich.
Türken gegen Kurden: Daten und Fakten
Kurden bilden eine Ethnie, deren Hauptsiedlungsgebiet sich auf die Türkei, den Irak, den Iran und Syrien erstreckt. Die Mehrheit der zehn bis 15 Millionen Kurden bekennt sich zum sunnitischen Islam, auch Aleviten und Schiiten sind darunter.
Nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches und der Bildung der Nationalstaaten blieb den Kurden ein Staat verwehrt. Wasser und Erdöl machen ihr Siedlungsgebiet zum Zankapfel. Aufstände wurden von den jeweiligen Armeen niedergeschlagen.
1978 gründete Abdullah Öcalan die PKK, eine marxistische Organisation, die für einen eigenen Staat kämpft. Erdogan geht gegen diese Pläne rigoros vor.
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