Der von Bundeskanzler Christian Kern ausgelöste Koalitionsstreit um ein Ende der europäischen Sparpolitik zieht immer größere Kreise. Bei seiner Werbetour für den Wirtschaftsstandort Österreich im britischen Finanzzentrum wurde Finanzminister Hans Jörg Schelling am Donnerstag von dieser Debatte eingeholt. Ohne Kern namentlich zu nennen, stellte sich Schelling in London gegen die Kanzlerlinie und sagte: "Von Sparen sind wir wirklich weit entfernt."
Eröffnet hatte das Fernduell zwischen dem SPÖ-Kanzler und dem ÖVP-Finanzminister am Donnerstag um 9 Uhr Ortszeit in London der internationale Wirtschaftssender CNBC. Unter Bezug auf die über die "Frankfurter Allgemeine" erteilte Absage Kerns an Europas Austeritätspolitik (sparsamer Umgang mit dem Budget) stellte Schelling klar, dass dies nicht österreichische Regierungslinie sei.
Der Finanzminister führte aus, dass man zuerst von der hohen Staatsverschuldung herunterkommen müsse. Es werde nicht genug gespart, am Ende laufe alles wieder auf höhere Steuern hinaus, befürchtet Schelling. Das könne und wolle er nicht akzeptieren. Schelling: "Noch mehr Schulden machen, aber keine Pensionsreform machen, dafür habe ich kein Verständnis."
Schelling wiederholte seinen Standpunkt, dass das, was in Europa wirklich fehle, Strukturreformen seien. Und Investitionen müssten von privaten Unternehmen finanziert werden und nicht durch neue Verschuldung aus dem Staatshaushalt.
Wirtschaftsstandort Österreich empfehlen
Das Werben um neue Investoren war auch der eigentliche Grund des Schelling-Besuchs in London. Bei einer Standortoffensive, die von Notenbankpräsident Claus Raidl angeführt wird, sollte auch im besonderen Hinblick auf den britischen EU-Austritt (Brexit) der Wirtschaftsplatz Österreich als Tor für Investoren nach Südosteuropa empfohlen werden. "Wir haben mehr zu bieten als Lipizzaner und schöne Kultur, wir bieten modernste Technologie", warb Raidl vor britischen Managern für Österreich.
Das Beste herausholen, viele separate Deals
Zwischen den Werbetouren und der Verteidigung einer unausweichlich nötigen Austeritätspolitik traf Finanzminister Schelling den britischen Schatzkanzler Philip Hammond. Erstes Ziel war es, herauszufinden, welche Strategien von den Briten bei ihrem etwa zwei Jahre dauernden EU-Austrittsverfahren wirklich verfolgt werden.
Finanzmarktbeobachter in London registrieren, dass das Vereinigte Königreich die knallharte Strategie verfolge, das Beste für sich herauszuholen und dabei die EU zu spalten, um mit möglichst vielen Nationalstaaten separate Deals zu schließen. Dabei soll sich vor allem wieder einmal Deutschland jetzt schon die Poleposition in Großbritannien gesichert haben. Der deutschen Autoindustrie etwa ist es letztlich völlig egal, ob die Briten Mitglied der EU sind oder nicht. Hauptsache, sie kaufen Autos "made in Germany".
Insgesamt gibt es allerdings noch wenig konkrete Anhaltspunkte über den weiteren Brexit-Ablauf. Schelling erhielt von seinem britischen Amtskollegen jedenfalls "keine Informationen, wann sie konkret den Austrittsantrag stellen".
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