Viele haben es gespürt, zahlreiche Beobachter haben es geahnt, aber Bundeskanzler Christian Kern hat es im ORF-Radio am Dienstag erstmals offen gesagt: "95 Prozent der Politik, die geboten wird, besteht aus Inszenierung." Dieses Eingeständnis lässt das dramatische Ringen der Regierung um ein neues Arbeitsprogramm (dessen Präsentation im Nationalrat sehen Sie oben im Video) samt Neuwahldebatte und Ultimatum an die ÖVP in einem neuen Licht erscheinen. Auch aktuell läuft hinter den Kulissen zwischen den Regierungsparteien eine Marketingschlacht.
Die politische Inszenierung der vergangenen Tage habe "dem Zweck gedient, am Ende alle auf einen Weg zu bringen", erklärt der Kanzler seine Vorgangsweise, bei der auch das Gespenst von vorverlegten Neuwahlen eine Rolle bekommen hat. Seine Absicht sei auch gewesen, den Ernst der Lage darzustellen. Unter anderem, weil die Regierung nach Kerns Meinung durchaus gute Ergebnisse erziele, aber diese "durch Streitereien selbst zerstört". Ginge das so weiter, "dann wird die nächste Regierung mit Sicherheit nicht mehr aus SPÖ und ÖVP bestehen". Das sagt Christian Kern offenbar in der Erwartung, dass das als Drohung verstanden wird.
"Die Lunte am Pulverfass anzünden oder nicht"
Der Regierungschef richtet auch eine Warnung an die mutmaßlichen Quertreiber in den eigenen Regierungsreihen, dass diese "sich ganz gut überlegen sollen, ob sie hier die Lunte an einem Pulverfass anzünden oder nicht". Mit der stellenweise theatralisch wirkenden Vorstellung des Bundeskanzlers hat sich im Parlament im Rahmen der Debatte über das neue Regierungsprogramm der Grünen-Politiker Werner Kogler auseinandergesetzt. Kogler meinte am Dienstag, dass sich Kern "vor lauter Inszenierung selber im Weg steht" und sich langsam entscheiden solle, ob er "mehr Showman oder mehr Manager sein will".
Die Inszenierung, die von der Koalition unter Regie von Kanzler Kern zuletzt geboten worden war, hat aber auch nach der Präsentation des erneuerten Arbeitsprogramms noch kein Ende gefunden. Während Regierung und Opposition sich den üblichen Schlagabtausch liefern, ringt das Team von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner jetzt darum, sich den Siegerstatus nach den Verhandlungen zu sichern. Dabei verfolgt die ÖVP eine eher plumpe Taktik. Beispielsweise haben Mitarbeiter der Parteizentrale SMS an Journalisten verschickt, in dem betont wird, dass das Regierungspapier "die deutliche Handschrift der ÖVP trägt".
Werbetechnisch einfach gestrickt
Werbetechnisch ähnlich einfach gestrickt legt es auch der SPÖ-Parteimanager an, der sein Handwerk im Wiener Rathaus gelernt hat. In einer öffentlich verschickten Erklärung heißt es: "Die konsequenten Verhandlungen des SPÖ-Teams mit Bundeskanzler Christian Kern haben sich gelohnt", beim Regierungsprogramm handle es sich um "ein solides Paket mit deutlicher sozialdemokratischer Handschrift".
Schon deutlich dezenter legt das Kanzleramt die Strategie an. In einem Montagabend verschickten internen Mail aus dem Kanzlerbüro an alle Mitarbeiter und Funktionäre heißt es, man solle sich "auf den kindischen Streit über 'Wer hats erfunden?'" erst gar nicht einlassen. Die ÖVP solle ihre Punkte gerne als Erfolg feiern, die SPÖ solle die Parole unter die Leute bringen, dass "für uns wichtig ist, was sich für die Menschen in unserem Land ändert".
Kommentar: Brandgefährlich
Was ist echt, was ist gespielt? In der Politik wird es zunehmend schwieriger zu unterscheiden, was ist wirklich so, was ist nur Theater. Bundeskanzler Christian Kern hält es mehr als die meisten seiner Vorgänger mit Arthur Schnitzlers "Wir spielen alle, wer es weiß, ist klug".
Kann Kern machen, er soll dann nur nicht beleidigt sein, wenn man vorsichtiger wird bei dem, was er sagt. Beispielsweise gab Kern den furchtbar Empörten, als ihn Familienministerin Sophie Karmasin im dramatischen Finale der Regierungsverhandlungen bezichtigt hatte, er stelle "die Inszenierung vor die Arbeit". Der Kanzler soll ob des Vorwurfs derart gekränkt gewesen sein, dass er sogar ein seit Langem verabredetes Essen mit Karmasin abgesagt hat.
Und nun, wo vorerst alles vorüber ist, stellt sich Kern vor das Mikrofon im ORF-Radio und sagt, dass 95 Prozent der Politik bloß aus Inszenierung bestünden. Klar, ein wenig Show gehört dazu. Und dass man als Regierungschef nicht als schlampiger Schlurf herumrennt, erwartet auch jeder.
Aber in Zeiten, in denen viel von "alternativen Fakten", "Fake-News" und Facebook-Schauermärchen die Rede ist, sollten alle ein wenig sorgfältiger sein. Vor allem als moderner Kanzler, der manchmal durchaus zu Recht den rüden Ton in einigen Medien kritisiert. Wer immer möglichst bei der Wahrheit bleibt, die Dinge das nennt, was sie wirklich sind, der läuft nicht Gefahr, dass sich am Ende nur brandgefährliches Misstrauen breitmacht.
Claus Pándi, Kronen Zeitung
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