"Freies Kräftespiel"

Koalition ist Geschichte! Jetzt jeder gegen jeden?

Österreich
16.05.2017 16:50

Sie haben einander im Parlament zwar die Hand geschüttelt - das war es dann aber auch schon wieder, mehr Freundlichkeiten, Gemeinsamkeiten oder Kompromisse sind nicht möglich. Kanzler Christian Kern (SPÖ) und der neue ÖVP-Chef Sebastian Kurz liefern bereits einen Vorgeschmack auf den beinharten Wahlkampf. Die Koalition wird ab jetzt nicht mehr zusammenarbeiten, mit allen Parteien können Mehrheiten gesucht und gebildet werden. Bis zur Wahl am 15. Oktober.

(Bild: EPA/CHRISTIAN BRUNA)

"Wenn es wirklich darum geht, Projekte auf den Weg zu bringen", sei er dabei, so Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP), der nun das Amt des Vizekanzlers übernimmt. Am Mittwoch sollen sowohl er als auch sein Parteikollege Harald Mahrer, der zum Wirtschafts- und Wissenschaftsminister aufsteigt, angelobt werden.

Kern spricht Kurz Glaubwürdigkeit ab
Der SPÖ ist all dies bereits völlig egal. Bundeskanzler Kern beharrte darauf, dass der neue ÖVP-Chef Kurz auch Vizekanzler wird. Weil es darum gehe, dass die Parteichefs "Verantwortung übernehmen" müssten. Wenn die ÖVP das nicht wolle, fehle die Glaubwürdigkeit am Angebot zur Fortführung der Sacharbeit, so Kern. Daher setze er jetzt auf einen "lebendigen Parlamentarismus" (siehe Video unten).

Im Klartext heißt das: Die Koalition hat sich in einer regelrechten Blitzscheidung formal schon jetzt getrennt, es wird keine weitere Regierungsarbeit, keine gemeinsamen Anträge, keine gemeinsamen Beschlüsse mehr geben. Jetzt herrscht ein freies Spiel der Kräfte im Parlament, jeder kann mit jedem versuchen, eine Mehrheit zu bilden.

Kurz: "Geordnet und besonnen agieren"
Kurz, der bei seiner Rede im Hohen Haus lautstark ausgebuht wurde, betonte erneut, dass er sich an das Koalitionsabkommen gebunden fühle. Er wolle "geordnet und besonnen agieren", so Kurz. Die SPÖ will er jedenfalls nicht überstimmen.

Am Dienstagnachmittag gab es noch ein Treffen von Kanzler Kern mit den anderen Parteichefs. Dabei wurden das weitere Vorgehen besprochen und der 15. Oktober als Wahltermin fixiert. Zu tun gäbe es in den kommenden Monaten jedenfalls genug. Die SPÖ hat eine Liste mit zehn Punkten vorgelegt, die noch vor der Wahl erledigt werden sollen - Themen, um die schon sehr lange gestritten wird. Ob nun allerdings unter den geänderten Verhältnissen tatsächlich etwas weitergeht, darf bezweifelt werden. Mehrheiten zu finden, wird kein leichtes Unterfangen.

Doris Vettermann und Michael Pommer, Kronen Zeitung

Filzmaier analysiert: Freie Mehrheiten
Ab sofort winken SPÖ und ÖVP im Parlament nicht länger Ministerratsbeschlüsse durch. Stattdessen könnte es freie Mehrheiten unter den Abgeordneten geben. Der Politologe Peter Filzmaier erklärt, was das bedeutet.

Politologe Peter Filzmaier (Bild: Martin A. Jöchl, APA/HERBERT NEUBAUER)
Politologe Peter Filzmaier
  • 1. Fast alle Nationalratsabgeordnete stimmen trotzdem streng nach Parteilinie ab. Es gilt die "freiwillige" Fraktionsdisziplin vulgo Klubzwang. Man muss nach Parteien durchrechnen, welche Mehrheit sich ausgeht.
  • 2. ÖVP, FPÖ, SPÖ und Grüne haben nicht genug Stimmen. Werden sich also linksliberalste Rote oder Grüne mit rechtesten Blauen arrangieren? Oder buhlt die FPÖ plötzlich um Parteilose, die sie selbst einst ausgeschlossen hat?
  • 3. Vieles wird nach dem Kriterium "Nützt mir das für die Wahl?" abgestimmt. Die Frage ist stets, ob Wahlversprechen finanzierbar sind. 2008 wurden Ho-Ruck-Beschlüsse gefasst, die Milliarden kosteten. Manches war nicht bezahlbar und wurde zurückgenommen.
  • 4. Bei Gesetzen mit seriöser Vorarbeit geht es um ein Wahlkampf-Match, was mehr öffentliche Aufmerksamkeit bekommt. Der ÖVP ist das Sicherheitspolizeigesetz wichtig, die SPÖ will Mindestlöhne durchbringen. Klar, weil "Recht und Ordnung"-Politik spricht schwarze Wählerschichten an - und die Wenigverdiener sind oft Stimmenbringer der Roten.
  • 5. Immerhin haben SPÖ und ÖVP die Restvernunft, sich nicht gegenseitig zu schaden. Etwa dadurch, dass man in freien Abstimmungen über Misstrauensanträge Minister abberuft. Hier sind Rote und Schwarze weiterhin gemeinsam dagegen.
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