Regierung uneins

Notverordnung: Text steht, Startzeitpunkt strittig

Österreich
07.09.2016 08:10

Die Regierung hat am Dienstagabend nach langen und schwierigen Beratungen den Begutachtungsentwurf für die Asyl-Notverordnung fertiggestellt. Doch während der Text nun steht, herrscht weiter Uneinigkeit, ab wann die Maßnahme in Kraft treten soll. Kanzler Christian Kern sagte, das geschehe nicht vor Erreichen von 37.500 Asylverfahren, Innenminister Wolfgang Sobotka hingegen drängt vehement auf einen früheren Start. Kanzleramtsminister Thomas Drozda sagte dazu in der "ZiB 2", wann der Zeitpunkt für das Inkrafttreten der Verordnung kommen werde, könne "niemand genau beantworten".

Auf neun eng bedruckten Seiten listet das Papier auf, weshalb Österreich es für rechtskonform hält, Flüchtlingen künftig ab Erreichen eines bestimmten Höchstwerts das Stellen von Asylanträgen zu erschweren. Die ausführliche Begründung der Maßnahme hängt damit zusammen, dass Österreich europarechtliche Probleme drohen könnten, wenn die Verordnung, die am Mittwoch für vier Wochen in Begutachtung geschickt wurde, in Kraft gesetzt wird.

"Enorme Herausforderung für die Sicherheitslage"
Die Regierung geht in dem Papier davon aus, dass eine Gefährdung für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit vorliegt. So heißt es in den Erläuterungen zur Verordnung: "Der überdurchschnittlich hohe Zuzug von Schutzsuchenden stellt eine enorme Herausforderung für die allgemeine Sicherheitslage dar."

(Bild: APA/ROLAND SCHLAGER)

Dargelegt werden diverse Statistiken, etwa dass im Vorjahr die Zahl der von Asylwerbern begangenen Straftaten - "nicht nur" Diebstähle, Suchtgiftdelikte etc., "sondern auch Vergewaltigungen und ein Mord" - deutlich gestiegen sei. Angemerkt wird ferner eine zunehmende Radikalisierung unter den Gefängnisinsassen und dass aus Kapazitätsgründen "ein an den Zielen der Resozialisierung orientierter Strafvollzug kaum mehr möglich ist".

"Personelle Ressourcen werden zum Erliegen kommen"
Argumentiert wird auch auf anderen Ebenen. Beklagt wird in den Erläuterungen etwa, dass die hohe Zahl von Asylwerbern die Behörden vor große Probleme gestellt habe: "Die hohe Qualität des Asylverfahrens kann bei einer gleichbleibend hohen Zahl an Schutzsuchenden nicht mehr sichergestellt werden, da insbesondere die personellen Ressourcen zum Erliegen kommen werden." Die Zahl der offenen Verfahren habe sich ausgehend von 31.338 zu Beginn des Jahres 2015 im Laufe des Jahres mehr als verdoppelt.

(Bild: APA/krone.at-Grafik (Symbolbild))

Versorgungsengpässe bei neuerlichem Ansturm
Überdies würden mit einem neuerlichen starken Flüchtlingszustrom die Versorgung und Unterbringung nicht mehr sichergestellt werden können. Man müsste in solchen Fällen auf Großquartiere ausweichen und diese hätten sich häufig als Orte mit einem hohen Potenzial an ethnisch-kulturellen bzw. sozialen Konflikten und Anspannungen erwiesen.

Verfestigung der Arbeitslosigkeit befürchtet
Ein weiterer Punkt in der Argumentation ist der Arbeitsmarkt. Österreich sei durch die Öffnung für die neuen EU-Länder ohnehin schon belastet, eine starke Zunahme an Schutzberechtigten bedeute nun eine Verfestigung der Arbeitslosigkeit in einem schwierigen Arbeitsmarktsegment.

Als Problemfeld wird auch der Gesundheitssektor angeführt. Ein Zustrom wie im Vorjahr berge das Risiko, dass es auch hier zu Versorgungsengpässen komme, wird gewarnt. Weiters wird betont, dass durch den Mehrbedarf an Psychologen und Psychotherapeuten mit langen Wartezeiten auf Therapieplätze zu rechnen sei.

In Spitals-Ambulanzen kommt es immer wieder zu unangenehmen Situationen. (Bild: Jürgen Radspieler (Symbolbild))
In Spitals-Ambulanzen kommt es immer wieder zu unangenehmen Situationen.

"Außerordentlich hohe Belastung" des Budgets
Verwiesen wird zudem darauf, dass der Schulbereich mit einer fünfmal so hohen Zahl neu hinzukommender Flüchtlingskinder und -jugendlicher konfrontiert gewesen sei. Auch Wohnungsengpässe werden erwartet, die nicht kurzfristig behebbar wären. Schließlich wird ausdrücklich die "außerordentlich hohe Belastung" des Staatshaushalts erwähnt: Prognostiziert werden für heuer Kosten im Asylbereich von zwei Milliarden Euro.

Streit über Startzeitpunkt der Notverordnung
Doch auch wenn man sich nun auf einen Text einigen konnte, gibt es bezüglich des Startzeitpunkts für die Notverordnung unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Koalition. SPÖ-Chef Kern sagte am Dienstag beim Mediengespräch vor dem Ministerrat, dass sie nicht vor Erreichen der Obergrenze von 37.500 Asylverfahren im laufenden Jahr in Kraft treten solle.

Bundeskanzler Christian Kern am Dienstag vor dem Ministerrat (Bild: APA/ROLAND SCHLAGER)
Bundeskanzler Christian Kern am Dienstag vor dem Ministerrat

Sobotka: "Hier irrt der Bundekanzler"
VP-Innenminister Wolfgang Sobotka sagte dagegen: "Ich glaube, hier irrt der Bundeskanzler schlicht und ergreifend." Denn was solle denn eine Verordnung bewirken, wenn die Grenze bereits erreicht ist. "Ein Feuerwehrauto zu kaufen, wenn es brennt, macht wenig Sinn", drängte der Minister auf ein früheres Ergreifen der Maßnahme.

Innenminister Wolfgang Sobotka (Bild: APA/HERBERT NEUBAUER)
Innenminister Wolfgang Sobotka

Auch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner sagte zu Kerns Aussage: "Das ist noch zu diskutieren. Es macht keinen Sinn, eine Verordnung in die Begutachtung zu geben, wenn man das nur als theoretische Übung sehen würde."

Drozda: "Das kann niemand genau beantworten"
SP-Kanzleramtsminister Drozda sagte am Dienstagabend im "ZiB 2"-Interview, wann der genaue Zeitpunkt für den Start der Verordnung kommen werde, könne "niemand genau beantworten" - hier können Sie das Interview mit Thomas Drozda ansehen.

Kanzleramtsminister Thomas Drozda (Bild: ORF)
Kanzleramtsminister Thomas Drozda

Klar sei, dass die notwendigen Beschlüsse der Regierung und des Hauptausschusses des Parlaments dann gefällt werden, wenn die Grenze von 37.500 Asylverfahren "in Reichweite" sei. Auf die Nachfrage, wann das der Fall sein werde, sagte der Minister, möglicherweise werde man "Ende November oder Dezember" in der Situation sein. Er sei jedenfalls gegen "Haarspaltereien" in dieser Frage, so Drozda. "Auf Basis der Zahlen und der Entwicklungen werden wir entscheiden."

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