Eigentlich sind sich alle einig: Österreich soll aus dem EU-Pakt zur "Relocation", also dem Flüchtlings-Umverteilungsmechanismus, aussteigen. Dennoch wird in der Regierung weiter Schmutzwäsche gewaschen. Dass Österreich eine entsprechende Ausnahmeregelung nicht rechtzeitig verlängert hat, bezeichnete Kanzler Christian Kern (SPÖ) am Montagabend als "Versäumnis" des Innenministeriums. Der angegriffene Ressortchef Wolfgang Sobotka (ÖVP) wehrte sich nur eine gute Stunde später und sprach von "Unterstellungen".
Die Umgangsformen zwischen SPÖ und ÖVP in der heiklen Frage der Flüchtlings-Umverteilung nehmen immer groteskere Formen an. Zunächst hatte Innenminister Sobotka am Montagvormittag angekündigt, den Prozess starten zu wollen. Am Nachmittag forderte Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) dann überraschend einen Ausstieg aus dem Programm. Daraufhin kündigte Sobotka an, einen derartigen Beschluss mitzutragen. Vor einem etwaigen Beschluss im Ministerrat solle allerdings noch eine rechtliche Prüfung vonstattengehen.
Kein "überfallsartiger Beschluss", weil "keine Gefahr in Verzug"
"Es besteht weder Gefahr in Verzug noch genügend Vorbereitungszeit, um solch einen Beschluss überfallsartig im Ministerrat zu beschließen", sagte Sobotka. "Unsere Experten werden den Vorschlag unverzüglich prüfen, denn der Schlingerkurs der SPÖ muss auch europarechtlich halten." Gleichzeitig ließ Sobotka wissen, dass er den Doskozil-Vorstoß inhaltlich unterstütze: "Selbstverständlich stimme ich in diesem Punkt mit dem Verteidigungsminister überein", "Relocation" sei "keine geeignete Lösung für eine geregelte Migration nach Europa, vor allem vor dem Hintergrund, dass kein entsprechender Außengrenzschutz gegeben ist", so Sobotka.
Alles wieder gut im Regierungslager? Weit gefehlt. Kanzler Kern schob der ÖVP trotz des Sobotka-Entgegenkommens den schwarzen Peter zu und sagte, die Verlängerung der rot-weiß-roten Ausnahmeregelung sei vom Innenministerium versäumt worden. Sobotka habe nicht rechtzeitig beantragt, den Deal, den seine Vorgängerin Johanna Mikl-Leitner für Österreich herausgeschlagen hatte, zu verlängern. "Jetzt muss die österreichische Bundesregierung schauen, wie sie damit umgeht", so Kern. "Ich bin dafür, dass wir die Ausnahmeregelung, die wir hatten, beanspruchen."
Sobotka: "Unterstellung Kerns grenzt an Absurdität"
Sobotka konterte: "Die Unterstellung Kerns ist schlichtweg falsch. Der Bundeskanzler hat insgesamt dreimal auf Ebene des Europäischen Rates den Umverteilungsprozess mitgetragen. Dass ausgerechnet er mir nun unterstellt, ich hätte einen weiteren Aufschub verabsäumt, grenzt an Absurdität", so der Innenminister. Tatsache sei, dass die Beantragung eines Aufschubs der Verpflichtungen lediglich bis 26. Dezember 2015 möglich gewesen sei. "Meine Vorgängerin wollte aufgrund der Belastung Österreichs damals sogar die Umverteilung aus Österreich bzw. einen Aufschub von 100 Prozent, was die SPÖ damals dezidiert abgelehnt hat", so der Innenminister. Nur auf Drängen der ÖVP habe man zumindest einen Aufschub von 30 Prozent erwirkt.
Losgetreten hatte die neuerliche Debatte Verteidigungsminister Doskozil. Er nannte als Begründung die Tatsache, dass Österreich angesichts der im EU-Vergleich hohen Zahlen an Asylverfahren seinen Beitrag bei der Umverteilung von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland bereits "übererfüllt" habe. Der Schritt wäre auch rechtlich gedeckt, so der Minister. Der im September 2015 beschlossene zeitweilige EU-Umverteilungsmechanismus sieht vor, dass 39.600 Flüchtlinge aus Italien und 66.400 aus Griechenland von den anderen EU-Staaten übernommen werden. Auf Österreich entfallen 462 Flüchtlinge aus Italien und 1491 aus Griechenland.
Doskozil: "Haben einen ausreichend humanitären Beitrag geleistet"
"Österreich soll aus dem ohnehin im September 2017 auslaufenden Programm aussteigen, weil es eines der am stärksten belasteten Länder ist", sagte Doskozil. "Und weil ich der Meinung bin, dass Österreich einen ausreichend humanitären Beitrag geleistet hat." Bereits am Donnerstag hatte Doskozil den Pakt zwischen Sobotka und seinem italienischen Amtskollegen, Flüchtlinge von Italien aufzunehmen, kritisiert und erklärt: "Solange die illegale, unkontrollierte Zuwanderung weiter existiert und Österreich derart stark belastet ist, nehmen wir sicher keine zusätzlichen Flüchtlinge aus Italien auf."
Laut Doskozil sei der EU-Beschluss unter dem Vorsatz der Solidarität und gerechten Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU gefasst worden. Der Blick auf die Statistik zeige aber, dass Italien in den Jahren 2015 und 2016 "weitaus weniger Belastung" stemmen habe müssen als Österreich: Pro Million Einwohner wurden in Österreich 4587 Asylanträge gestellt, in Italien 1998. Außerdem sei man bei Beschluss des Umverteilungsprogramms davon ausgegangen, dass das Dublin-System funktioniert und dass es keine Schleppungen gibt. "Das ist beides nicht der Fall", so Doskozil. Jene Flüchtlinge, die sich eigentlich in Italien aufhalten müssten, "stehen bei uns im Asylverfahren", verwies er auf die illegalen Weiterreisen.
Doskozil: Noch ist es nicht zu spät
Zu spät komme der Vorstoß eines kompletten Ausstiegs für ihn nicht: Laut dem EU-Beschluss müsse jeder Staat quartalsmäßig bekannt geben, wie viele Flüchtlinge er übernimmt, und dafür die notwendigen Informationen liefern. Österreich könne die Gründe dafür angeben, warum keine Flüchtlinge mehr übernommen werden, so Doskozil mit Blick auf die Statistik.
Kern: "Österreich hat da schon sehr, sehr viel gemacht"
"Österreich hat da wirklich schon sehr, sehr viel gemacht, das wird auch von allen anerkannt", hatte Kanzler Kern bereits am Samstag am Rande der EU-60-Jahr-Feiern in Rom gesagt. "Bei der Umverteilung geht es ja nicht um eine humanitäre Katastrophe, sondern um eine Umverteilung innerhalb Europas. Da geht es um Menschen, die schon in Sicherheit sind. In jedem Fall geht es darum, dass wir hier auch die Solidarität der anderen einfordern. Auf Dauer ist es schwierig, wenn man Solidarität immer nur dann erlebt, wenn es einem selber nützt."
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