War seine Unterstützung für Alexander Van der Bellen im Endspurt des Wahlkampfs eine Absage an Schwarz-Blau? Mit Conny Bischofberger spricht ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner (61) über Heinz-Christian Strache als Kanzler, schlafende Bären und den lieben Gott.
Durch sein Büro am Wiener Stubenring 1 zieht der Duft von Vanillekipferl. ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner kommt uns auf dem Teppich mit den roten Rosen entgegen, er sieht kampflustig aus. Auf dem Tisch stehen selbst gebackene Kekse seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie ein prächtiger Adventkranz mit dicken Kerzen und weißen Schleifen. "Die zwei Lichter brennen bei mir den ganzen Tag", erzählt der Vizekanzler, "das macht erstens eine angenehme Atmosphäre und führt zweitens, bei einem unveränderten Tagesablauf, der nicht unbedingt an Weihnachten erinnert, hin zum Thema."
Zwei Wochen vor dem Heiligen Abend sind die politischen Themen alles andere als versöhnlich. Im "Krone"-Interview zieht Mitterlehner, der im Wahlkampf - sehr zum Ärger der FPÖ - Van der Bellen unterstützte, Bilanz über die "Bundespräsidentschaftsstichwahlwiederholungsverschiebung" (Wort des Jahres 2016), kommentiert den Vorwurf des "Selbstmordattentats" aus dem Mund des unterlegenen Norbert Hofer und spricht über den Zustand seiner Partei - mit dem hochgelobten Sebastian Kurz als möglicher Nachfolger im Hintergrund. Dabei rührt er immer wieder in seiner Melange und lässt den Löffel das ganze Gespräch über dort stecken.
"Krone": Herr Mitterlehner, ist Ihre blaue Krawatte möglicherweise ein Zeichen der Versöhnung?
Reinhold Mitterlehner (lacht): Die hat einfach ganz gut zum Anzug gepasst. Politisch hat sie nichts zu bedeuten. Schon gar nicht - Sie spielen offensichtlich auf die Bundespräsidentenwahl an - als Signal an die FPÖ.
Hat sich Alexander Van der Bellen schon bei Ihnen bedankt?
Wir treffen einander in der kommenden Woche. Aber ich habe ja keine Wahlempfehlung abgegeben.
Wenn das keine Wahlempfehlung war, was war es dann?
Eine klare, persönliche Positionierung. Das Ergebnis dessen, was mir rundherum signalisiert wurde: In einer Führungsposition soll man sich nicht hinter dem Wahlgeheimnis verstecken. Deshalb habe ich gesagt, dass ich Van der Bellen wählen werde. Vor allem deshalb, weil Österreich einen weltoffenen und international akzeptierten Bundespräsidenten braucht.
Können Sie den Moment beschreiben, in dem Sie diesen Entschluss gefasst haben? Denn die offizielle Parteilinie war ja nach dem Ausscheiden des ÖVP-Kandidaten Andreas Khol eine andere.
Der Moment war die Einladung von Brexit-Befürwortern und dann ein Interview, in dem Hofer meinte, ein "Öxit" wäre auch bei uns vorstellbar. Später, als das nicht mehr "en vogue" war, hat er sich dann wieder distanziert, er tat so, als hätte er es nie gesagt. Damals dachte ich mir: Wir brauchen einen Bundespräsidenten, der in schwierigen, unsicheren Zeiten wie ein Fels in der Brandung steht, nicht jemanden, der als Meinungsführer, wenn es opportun erscheint, voranmarschiert und dann, wenn es schwierig wird, als Allererster in den Graben springt.
Ihre Wahlempfehlung für Alexander Van der Bellen komme einem "Selbstmordattentat" gleich, schäumte Norbert Hofer. Bei einem Selbstmordattentat ist es ja so, dass man jemanden in den Tod reißen will und dann selber draufgeht.
Da kann ich nur sagen: Hurra, wir leben noch! Ich weiß nicht, ob Hofer bewusst war, was er da eigentlich daherredet. Ich möchte das nicht aufwerten, indem ich es selber die ganze Zeit kommentiere. Aber eines ist klar: Wir lassen uns sicher nicht von ihm vorschreiben, was wir tun. Es wird bei uns jetzt sogar eine Diskussion geführt werden, wie wir uns von den Freiheitlichen stärker abgrenzen können.
Klingt da eine Absage an Schwarz-Blau durch?
Meiner Meinung nach ist die FPÖ derzeit unser größter Konkurrent. Nicht die Sozialdemokraten, da gibt es kaum einen Wähleraustausch. Wir müssen darstellen, dass wir die besseren Konzepte haben und uns im Gegensatz zur FPÖ auf dem Boden der Rechtsstaatlichkeit bewegen. Ich sehe in dieser Auseinandersetzung, die wir bisher viel zu wenig geführt haben, große Chancen. Auseinandersetzung ist Reibung und durch Reibung gewinnt man Energie.
Heinz-Christian Strache schiebt Ihnen die Schuld am Ausgang der Wahl in die Schuhe. Hat er recht? Haben Sie Van der Bellen den Sieg gerettet?
Immer allen anderen die Schuld geben und die Ursachen nicht bei sich selber suchen, das kennzeichnet doch die FPÖ. Meine Möglichkeiten in allen Ehren, aber diese Zuschreibung ist übertrieben. Außer im Mühlviertel, da stimmt's wirklich. Da haben alle vier Bezirke gedreht. Die FPÖ sollte sich einmal mit ihrer Diskussionskultur, mit Frau Stenzel, mit Herrn Farage und vielem anderen beschäftigen, dann käme sie der Ursache näher. Und dann gibt es noch jemanden, der heißt "Genosse Trend". Den sollte man sich genau anschauen. Im Übrigen kann man eine Wahlentscheidung auch nicht vor Gericht erzwingen. Daher war es nur stimmig, dass derjenige, der schon einmal gewonnen hat, auch das zweite Mal bestätigt wurde.
Hofer will rechtliche Schritte gegen den lieben Gott einleiten, schrieb die Satire-Plattform "Tagespresse". Können Sie über so was lachen?
Ja! Gott wollte Hofer allem Anschein nach wahrlich nicht helfen. Ich weiß nicht, ob er jetzt gut beraten ist, daraus noch mehr Siegeswillen für ein weiteres Antreten abzuleiten.
Ein Fernsehkommentator beschien Hofer "zähnefletschende Freundlichkeit". Wie würden Sie seinen Charakter beschreiben?
Er hat zwei Gesichter. Das eine wirkt so sanft, aber kaum läuft etwas nicht so, wie er es sich vorgestellt hat, zeigt er sein anderes, sein wahres Gesicht und sagt Dinge wie "man habe einen schlafenden Bären geweckt". Sind wir jetzt im Tierreich? Ich glaube, was die Schuld am Wahlergebnis betrifft, hat IHM jemand einen Bären aufgebunden.
Was dachten Sie sich, als Ursula Stenzel vor laufender Kamera meinte, der Vater von Van der Bellen hätte eine Nähe zu den Nazis gehabt?
Das war, genauso wie der Vorwurf, Van der Bellen wäre ein Spion gewesen, absolut daneben. So eine Taktik steht auf so kurzen Beinen, die stürzt in sich selber zusammen. Frau Stenzel hat mit ihrer fast geifernden Verfolgungs- und Aufklärungswut ja genau das Gegenteil bewirkt.
Aber Frau Stenzel ist in Ihrer Partei groß geworden!
Sie ist im ORF groß geworden und hat sich dann entschlossen, Politikerin zu werden. Ich möchte das nicht weiter bewerten, aber ich glaube, man nennt so jemanden "Wendehals".
Schmeichelt es Ihnen eigentlich, jetzt als "Mann der Stunde" bezeichnet zu werden, weil Ihrem Statement auch viele Bürgermeister und Alt-Landeshauptleute gefolgt sind?
Das ist keine Kategorie, in der ich mich gerne sehe. Wenn meine Stimme einen Ausschlag gegeben hat - diesbezügliche Rechnungen sind aber reine Spekulation -, dann freut mich das und dann werde ich sie auch bei den kommenden Nationalratswahlen einsetzen. Die nächste Aufgabe, das kann ich jetzt schon sagen, wird es sein, alles dafür zu tun, dass Strache nicht Bundeskanzler wird.
Würden Sie sagen, dass Sie das auch als Parteiobmann gestärkt hat? Sitzt "Django" wieder fest im Sattel?
Ich möchte es anders formulieren. Wenn Hofer gewonnen hätte, dann wäre es umgekehrt gewesen. Auch deshalb war es die richtige Entscheidung. Das Ergebnis spricht für sich.
Wie ist es möglich, dass dann Reinhold Lopatka aus Ihrer Partei genau das Gegenteil sagt?
Ich akzeptiere durchaus andere Meinungen. Geärgert hat mich, dass er das nicht mit mir abgestimmt hat. Sonst wäre es vielleicht sogar als Strategie erkennbar gewesen, dass man sagt, er deckt den einen Teil, ich den anderen Teil in der Partei ab. Das hat Lopatka nicht getan, ganz im Gegenteil. Er hat mir versichert, dass er sich nicht für Hofer aussprechen werde.
Sind Sie da streng oder gibt es eh keine Konsequenzen?
Ich würde sagen, ich bin da korrekt. Es ist Konsequenz genug, wenn man das ausredet.
Mehr als 2,1 Millionen Menschen haben trotzdem Norbert Hofer gewählt. Lässt man die jetzt im Stich?
Überhaupt nicht. Das wird jetzt am Bundespräsidenten liegen, die Gräben zuzuschütten.
Ist Österreich ein gespaltenes Land?
Überhaupt nicht.
Sie haben die Gräben ins Spiel gebracht.
Man darf sie nicht überbewerten. Da und dort gibt es natürlich Wunden.
Herr Mitterlehner, der durchschnittliche Parteiobmann der ÖVP steht weniger als vier Jahre an der Spitze seiner Partei. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie wieder als Spitzenkandidat in die nächsten Nationalratswahlen gehen?
Ich bin für vier Jahre gewählt und arbeite daran, den Schnitt nach oben zu bringen, den Sie gerade genannt haben. Also die vier Jahre zu absolvieren.
Wie wollen Sie es schaffen, die ÖVP zur zweitstärksten Partei zu machen?
Indem wir unser Profil zuspitzen, gerade was den Arbeitsmarkt und unsere Wirtschaftskompetenz anbelangt. Wir dürfen die gute Arbeit der Regierung auch nicht durch internen Streit in den Schatten stellen. Der Bürger hat genug von polarisierenden Auseinandersetzungen. Wir dürfen ihm keine Schlammschlachten mehr liefern.
Wird die ÖVP bei der Flüchtlingsthematik weiterhin einen härteren Kurs vorgeben?
Die Linie haben wir gemeinsam entwickelt, und sie ist richtig: Balkanroute schließen, Schutz der Außengrenzen verstärken, Abschiebungen forcieren. Das ist ein klarer Weg, der auf dem Boden der EU-Verträge steht.
Glauben Sie, dass die Wahl von Van der Bellen auch ein Signal für eine liberalere Flüchtlingspolitik war? Motto: Wenn sich Europa anstrengt, dann schaffen wir das?
Nein, das glaube ich nicht. Die Stimmung in der Bevölkerung ist die: Wir haben sehr viel geholfen, jetzt müssen wir jene, die da sind, erst einmal integrieren. Zu weiterer unbeschränkter Zuwanderung gibt es ein klares Nein.
Ihr Außenminister Sebastian Kurz ist vom US-Magazin "Politico" gerade zu einer jener 28 Persönlichkeiten gewählt worden, die Europa 2017 gestalten werden. Werden Sie da nicht neidisch?
Die Frage habe ich erwartet. Schauen Sie, jeder hat seine Rolle. Die Erfolge von Sebastian Kurz werden der Partei insgesamt nutzen.
Ganz ehrlich: Ist es nicht zermürbend, wenn es einen Jüngeren gibt, der immer als der Bessere hingestellt und sogar als Nachfolger genannt wird?
Ich weiß nicht, wie mürbe ich Ihnen jetzt vorkomme, aber ich kann sehr gut damit umgehen.
Gibt es noch Zweifel, dass er Ihnen nachfolgen wird?
Gerade die letzte Woche ist ein Zeichen dafür, dass sich in der Politik stets unerwartete Wendungen ergeben können. Einfache Prognosen halte ich deshalb für sehr gewagt. Wer hätte gedacht, dass Herr Trump amerikanischer Präsident wird?
Ihre Argumentation spricht eher für Kurz als ÖVP-Spitzenkandidat.
Sie spricht gegen alle diese Linearprognosen. Ich war 1998 am Cover des "Profil" als Politiker, der eine große Rolle spielen werde. Trotzdem kam ich erst zwei Jahre später in den Nationalrat und bekam Jahre später erst Ministerverantwortung. Also selbst auf mich treffen Prognosen nicht zu. Bei der FPÖ ist es ja dasselbe: Hofer und Strache können hunderttausendmal ihre Freundschaft beschwören, die Führungsdiskussion ist da.
Hinter uns brennen die Kerzen des Adventkranzes. Mögen Sie Weihnachten?
Sehr. Einmal ein paar Tage an etwas anderes denken als an die Politik, darauf freue ich mich schon. Und auf die ganze Familie. Das Fest bringt jedes Jahr alle zusammen, die unter dem Jahr eigene Wege gehen. Sich treffen und austauschen, das hat etwas sehr Zentrales, Unverschiebbares, das ich nicht missen möchte.
Wie ist Ihre ganz persönliche Bilanz des Jahres 2016?
Ich bin ungetrübten Mutes. Meine Einstellung ist noch immer dieselbe: Auf dem Weg bleiben und Linie halten. Das zahlt sich aus. Darauf bin ich auch ein bisschen stolz. Ich bin nirgends abgebogen und werde diesen Weg auch weiterhin gehen. Nicht aus irgendeinem Kalkül heraus oder weil ich mich mit irgendjemandem arrangiert habe, sondern weil er richtig ist.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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