Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan buhlt um Stimmen für sein umstrittenes Verfassungsreferendum - auch in der EU, und das mit wenig zimperlichen Mitteln. Das Votum zur neuen Verfassung am 16. April soll laut Kritikern die Rechte des Parlaments erheblich einschränken und auf den Präsidenten selbst übertragen. Daraus soll ein "Ein-Personen-Regime" entstehen. Knapp 3,7 Millionen Türken wohnen außerhalb der Heimat in Europa. krone.tv sprach mit Wiener Türken über Erdogan.
Am 16. April wird in der Türkei über das Verfassungsreferendum abgestimmt. Nachdem zuletzt geplante Auftritte des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu und von Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya von der niederländischen Regierung verhindert worden waren, kam es in Rotterdam zu gewaltsamen Ausschreitungen. Erdogan kündigte Vergeltung an. Wie sieht man die Entwicklung in der türkischen bzw. kurdischen Community in Wien?
Brunnenmarkt im 16. Bezirk. An einem Kebab-Stand wittert ein Verkäufer die Interviewsituation und sagt laut: "Erdogan ist ein Faschist!" Er spricht sich vor der Kamera aus: "Dieser Mann macht die Türkei kaputt", sagt der Kurde. "Er will ein Islamisten-Land aus der Türkei machen!" Er selbst ist der Meinung: "Demokratie ist besser." Auf die Frage, ob er nicht Angst habe, solche Äußerungen zu machen, antwortet er: "Angst? Ich hab' schon Angst. Aber was soll ich machen, ich sag die Wahrheit. Besser wir leben gut zusammen - Kurden, Türken, Brüder, alles kein Problem."
Eine Frau mit Kopftuch erzählt uns, sie unterstütze jeden demokratisch gewählten Präsidenten: "Ich glaube, ich muss den Präsidenten einfach akzeptieren." Sie denkt: "Der Präsident weiß am besten, was mit den Menschen passiert, und vielleicht weiß er besser, was das Land in Zukunft braucht." Sie steht voll hinter Erdogan: "Ich bin der Meinung unseres Präsidenten, auch bei Erdogan."
Ein Juwelier begrüßt uns, als wir sein Geschäft betreten. Er sagt gerne etwas zu Erdogan: "Erdogan ist für die Türkei der beste Mann." Das Image der Türkei in Europa sei ihm egal: "Wenn es Europa nicht passt, ist es nur für Europa ein Problem. Nicht für Erdogan und nicht für die Türkei."
Szenenwechsel, Wien-Simmering. Bei der U-Bahn-Station treffen wir auf einen älteren Herrn. Seit 1971 ist er in Österreich. Von Erdogan hält er wenig: "Mein Land ist Österreich, mein Geld und alles habe ich in Österreich eingezahlt. Mich interessiert die Türkei nicht." Ob er beim Referendum abstimmt? "Naa, naa. Wenn in Österreich Wahlen sind, dann ja, aber nicht für die Türkei."
Weiter oben in der Simmeringer Hauptstraße bitten wir eine Dame zu Wort. Sie versteht die Erdogan-Gegner nicht: "Er ist besser für uns, er versteht die Leute, er hilft den Leuten. Er macht alles. Was will man noch? Wir wissen es nicht."
In einem türkischen Café lernen wir einen Herrn kennen. Auch hier wird diskutiert. Als er uns fragt: "Was soll ich sagen?", kontert ein Bekannter: "Erdogan ist in Ordnung!" Der Mann antwortet: "Natürlich!", und fängt an zu lachen. Als er einen Schluck von seinem Bier nimmt, fällt ihm ein: "Zum Beispiel bei uns, in meiner Heimat, kann ich in der Öffentlichkeit kein Bier genießen, aber wir sind ein freies Land?" Wieder muss er lachen. Er findet, die Wahl gehe ohnehin so aus, wie es die Regierung wolle: "Egal, was du wählst, Ja oder Nein, Wähler sind egal. Wer die Wahlkarten auszählt, das ist wichtig. Egal, wie viele Ja oder Nein reingeschmissen haben, es kommt das raus, was die Regierung will." Flüsternd vergleicht er das System Erdogan mit einer "staatlichen Mafia", daraufhin beendet er das Gespräch: "Geht scho', ist schon genug."
Egal, wie die Abstimmung ausgehen wird: Erdogan und sein Verhalten bleiben eine Herausforderung für die Community.
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