Von Streit zermürbt

Vizekanzler schmeißt hin: “Einen schönen Sommer!”

Österreich
10.05.2017 14:39

Paukenschlag in der heimischen Innenpolitik: Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) hat Mittwochmittag das Handtuch geworfen. In einer kurzfristig angekündigten "persönlichen Erklärung" sagte er, er trete "zum Selbstschutz" und zum Schutz seiner Familie zurück. "Ich finde, es ist genug", so ein wütender Mitterlehner. "Ich wünsche noch einen schönen Sommer!" Kanzler Christian Kern (SPÖ) reagierte prompt und bot ÖVP-Jungstar Sebastian Kurz ausdrücklich für den Rest der Legislaturperiode eine "Reformpartnerschaft" an.

"Ich bin kein Platzhalter", sagte Mitterlehner zur weiteren Begründung seines Abgangs. Er lege alle seine Funktionen in Partei und Regierung zurück und ziehe damit die Konsequenzen aus den "Entwicklungen der vergangenen Monate und vor allem Tage". Bei all den "Inszenierungen" der jüngeren Vergangenheit in der zerkrachten Koalition habe er "keinen Sinn" mehr gesehen. In einem Krisen-Parteivorstand, der am Sonntag stattfinden soll, werde die ÖVP die weiteren Schritte und Personalentscheidungen beraten.

(Bild: APA/ROLAND SCHLAGER)

Launiger "ZiB"-Bericht brachte Fass zum Überlaufen
Neben politischer Kritik teilte Mitterlehner in seiner Abgangsrede auch Richung ORF aus: Der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, sei ein Beitrag in der ORF-"ZiB 2" vom Dienstag gewesen, der auf den Italo-Western "Django - Die Totengräber warten schon" verwiesen hatte (siehe auch: "Django" Mitterlehner im Porträt). Das sei "der letzte Mosaikstein in einem eigentlich schon fertigen Bild" gewesen. Derartige Berichterstattung finde er im öffentlich-rechtlichen Leitmedium des Landes "fehl am Platz", so Mitterlehner.

Die Anmoderation des ORF-Berichts im Video:

Abschied als Minister statt Rede am Montag
Mit Mitterlehners Rücktritt musste die Volkspartei auch eine Großveranstaltung absagen: Am Montag hätte Mitterlehner vor Hunderten geladenen Gästen in den Wiener Sofiensälen seine Rede zur Lage der Nation halten sollen. Stattdessen nimmt er an diesem Tag als Vizekanzler und Wirtschaftsminister offiziell Abschied. Mehr als 600 Zuhörer hatten sich zu Mitterlehners Ausführungen über "Österreich und Europa: Standort und Perspektiven" angemeldet. Sie wurden von der Bundespartei von der Absage informiert.

Ist jetzt der Weg frei für Kurz?
Aus der Wiener ÖVP-Stadtpartei und von hochrangigen Parlamentsabgeordneten war bereits zuvor zu hören gewesen, dass ein Rücktritt Mitterlehners unmittelbar bevorstehe. Zuletzt war öffentlich über einen solchen Schritt spekuliert worden. Als logischer Nachfolger gilt Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz, der allerdings zuletzt erklärt hatte, die Partei zum derzeitigen Zeitpunkt nicht übernehmen zu wollen.

Video: Mitterlehner fährt nach Bekanntgabe seines Rücktritts ab

Kanzler Kern reagierte mit Bedauern auf Mitterlehners Rücktritt, den er aber auch "verstehen und akzeptieren" könne, wie er am frühen Nachmittag sagte. Er verwies auf das Erreichte der knapp einjährigen Zusammenarbeit des Gespanns Kern-Mitterlehner, etwa den Rückgang der Arbeitslosigkeit und das Update des Regierungsprogramms. "Wir haben im vergangenen Jahr auch viele Aufs und Abs erlebt, es gab viele Streitereien. Die Bilanz ist, was den Stil bestrifft, mit Sicherheit durchwachsen, was die politischen Ergebnisse betrifft aber mit Sicherheit vorzeigbar", so Kern.

Kanzler Kern mit ernster Miene auf dem Weg zur Pressekonferenz (Bild: APA/HELMUT FOHRINGER)
Kanzler Kern mit ernster Miene auf dem Weg zur Pressekonferenz

Kern bietet Kurz "Reformpartnerschaft" an
Den von manchen erwarteten Schritt zu sofortigen Neuwahlen wollte Kern nicht tun, er sagte vielmehr, die Arbeit sei "noch nicht zu Ende". Die "Klärung" in der ÖVP sei nun eine Chance, die "notwendigen Veränderungen" im Land fortzuführen. Und direkt an den schwarzen Kronprinzen Kurz gerichtet, sagte Kern: "Ich biete der ÖVP und Sebastian Kurz eine Reformpartnerschaft an". Er verwies dabei offenbar auf das in der Steiermark eine Legislaturperiode hindurch praktizierte Modell eines rot-schwarzen "Kuschelkurses" in der Regierungszusammenarbeit.

Sebastian Kurz (Bild: Gerhard Bartel)
Sebastian Kurz

Van der Bellen: "Jetzt kühlen Kopf bewahren"
Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen bedauerte den Rücktritt Mitterlehners. Er habe Mitterlehner als "Sachpolitiker kennen- und schätzen gelernt". Die beiden hätten stets ein gutes Vertrauensverhältnis gehabt. An die beiden Koalitionsparteien appellierte das Staatsoberhaupt, "jetzt kühlen Kopf zu bewahren". Zwar habe er Verständnis dafür, dass nun die ÖVP-Gremien beraten müssen, dennoch bat Van der Bellen darum, möglichst rasch zu handeln, um Klarheit zu schaffen, wie es mit dem Land weitergeht.

Van der Bellens Statement im Video:

Am Ende seines knappen Statemets, bei dem - ebenso wie zuvor bei Kerns Auftritt - keine Journalistenfragen zugelassen waren, kritisierte Van der Bellen den politischen Umgangston der vergangenen Wochen und Monate, der "uns nachdenklich machen sollte". Er forderte einen anderen Umgangsstil in der Innenpolitik und eine "Kultur des Respekts".

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