Peter Pilz hat am Dienstag seine Kandidatur für die Nationalratswahl mit eigener Liste bekannt gegeben. Damit ist die Trennung von den Grünen endgültig vollzogen. In einem Abschiedsbrief bedankt sich der 63-Jährige bei seiner Ex-Partei für die lehrreichen Jahre, übt aber auch Kritik, da die Ängste der Bevölkerung vor der massenhaften Migration und vor der Gefahr des radikalisierten Islam nicht ernst genug genommen worden seien. In diesem Zusammenhang stellt Pilz die provokante Frage: "Warum steckt ihr eure Köpfe in den grünen Sand?" Im Folgenden sein Beitrag im Wortlaut.
Liebe Grüne,
vor mehr als drei Jahrzehnten habe ich gemeinsam mit vielen anderen eure Partei mitbegründet. Jetzt ist es für mich Zeit, sie zu verlassen. Gleich am Anfang, damit kein Missverständnis entsteht: 31 Jahre lang habt ihr mich immer wieder gewählt, auf Wiener Landesversammlungen und auf Bundeskongressen. In diesen 31 Jahren habe ich viel gelernt und einiges erreicht. Wir haben gezeigt, dass zu einer sauberen Umwelt auch eine saubere Politik gehört. Seit wir im Nationalrat sind, kontrolliert das Parlament. Der Stachel, der viele beim Aussitzen stört, hatte bis jetzt nur eine Farbe: Grün. Für diese 31 Jahre danke ich euch.
Demokratische Wahl verloren und respektiert
Vor wenigen Wochen haben sich unsere Wege am Bundeskongress in Linz getrennt. Ich habe eine demokratische Wahl verloren und das respektiert. Kurz hat mich das Wahlergebnis überrascht und auch ein bisschen gekränkt. Aber dann war da etwas anderes: ein Gefühl der Befreiung. Vielleicht habt ihr das auch gespürt. Unsere Trennung hat nicht in Linz begonnen. Sie hat eine Geschichte. Und die reicht jetzt schon lange zurück. Schon rund um die ersten Untersuchungsausschüsse habe ich für eine Öffnung zu den Menschen, die damals Jörg Haider gefolgt sind, plädiert. "Aber die werden nie grün, da haben wir keine Chance!" Das habe ich schon vor zwanzig Jahren gehört. Und das habe ich schon damals nicht verstanden.
Überall in Europa wenden sich Menschen vom alten politischen System ab. Sie sind enttäuscht, weil sie den Eindruck haben, dass sie vergessen werden. Alleinerziehende Mütter an der Armutsgrenze; kleine Handwerker im Baunebengewerbe, denen Dumpingunternehmen im grenznahen Bereich das Geschäft ruinieren; junge, qualifizierte Menschen, die in prekären Arbeitsverhältnissen keine Sicherheit finden. Aus Zuversicht ist Unsicherheit geworden, und Angst wird immer mehr zum wahlentscheidenden Motiv.
Mit gewonnenem Vertrauen kaum etwas gemacht
Mit dem erfolgreichen Kampf gegen Korruption haben wir bei vielen dieser Menschen Vertrauen gewonnen. Aber wir haben kaum etwas daraus gemacht. "Das sind nicht unsere Wähler." Aber war euch klar, dass diese Wählerinnen und Wähler alle Wahlen entscheiden? Vor zwei Jahren hat die Flüchtlingskrise auch uns überrascht. Da habe ich den letzten und heikelsten Versuch unternommen. Wir haben die Menschen, die nach einer gefährlichen Flucht angekommen sind, willkommen geheißen. So wie viele von uns habe auch ich einige von ihnen an der ungarischen Grenze abgeholt. Aber schon damals war klar, dass nicht alle kommen können.
Droht Gefahr von "Islamophobie" oder vom politischen Islam?
Vor Ort dafür sorgen, damit möglichst wenige flüchten müssen: Das war mein Vorschlag. Die Millionen für das World Food Programme, die wir dafür in Jordanien brauchten, habe ich mit Kollegen aus SPÖ und ÖVP organisiert. Bei euch habe ich mich dafür rechtfertigen müssen. Wenn ein neues Problem nicht in eine alte Lösung passt - warum steckt ihr eure Köpfe dann gleich in den grünen Sand? Ihr habt lange ignoriert, dass der politische Islam längst in Österreich angekommen ist. Recep Tayyip Erdogan weiß, warum er in Atib und UETD investiert. Wenn es ihm und mit ihm saudischen und bosnischen Extremisten gelingt, mit Schulen, Kindergärten und Moscheeverbänden islamistische Brückenköpfe zu bauen, kann er unsere offene Gesellschaft von innen her angreifen. Er verlässt sich dabei auf eine unserer größten Schwächen: die falsche Toleranz. Glaubt ihr wirklich, dass die Gefahr von der "Islamophobie" und nicht vom politischen Islam droht?
Grüne haben seit 2015 fast die Hälfte ihrer Wähler verloren
Große Ängste kann man nicht wegreden. Man muss sie den Menschen nehmen. Dazu muss man sie ernst nehmen. Niemand von den Protestwählerinnen und den Weißwählern ist als Freiheitlicher auf die Welt gekommen. Aber viele von ihnen landen dort, weil sich sonst niemand um sie kümmert. Haben wir ihnen wirklich kein besseres Angebot zu machen als die FPÖ? Das habe ich euch am Bundeskongress gefragt. Ihr habt mir eine klare Antwort gegeben. Aber schon vor dem Kongress hätten wir gemeinsam feststellen müssen: Die Grünen haben seit 2015 fast die Hälfte ihrer Wähler und Wählerinnen verloren. Viele von ihnen kenne ich. Sie sind enttäuscht, weil sie vergeblich die neuen Antworten auf die neuen Fragen erwartet haben.
Nach Linz haben mich vier Fragen beschäftigt: Wer kann die verlorenen Wähler und Wählerinnen der Grünen zurückgewinnen? Wer kann Weißwähler zurück an die Urnen holen? Und wer kann Protestwähler von der FPÖ für die andere Seite gewinnen? Wer kann damit vielleicht eine neue Mehrheit jenseits von Schwarz-Blau schaffen? Ihr könnt das nicht. Das ist inzwischen wahrscheinlich auch euch klar. Aber eine neue Liste, die all das versucht, was ihr nicht wollt oder nicht könnt, die hätte eine Chance. Das haben mir immer mehr Menschen gesagt. Und davon bin ich jetzt, wenige Wochen später überzeugt.
Nach wie vor eine wichtige Partei
Überall entsteht etwas Neues, weil die Zeit dafür reif ist. Klar, ich bin kein Bernie Sanders, Jeremy Corbyn oder Emmanuel Macron. Aber wir sind jetzt, ein paar Wochen nach dem Linzer Kongress, ein Team, das das gemeinsam probieren will. Ich halte die Grünen vom Umweltschutz bis zur Bildungspolitik nach wie vor für eine wichtige Partei. Wir haben nach wie vor gemeinsame Gegner. Aber wir haben eines nicht mehr: ein gemeinsames Projekt. Auch die Zukunft Europas wird im Streit um wenige Fragen entschieden: Gelingt es, Arbeit, Einkommen und Lebenschancen so umzuverteilen, dass Europa wieder ein Kontinent der Sicherheit wird? Gelingt es, Europa vor denen zu schützen, die unter der Fahne einer Ideologie oder einer Religion unsere Grundwerte und damit unsere offene Gesellschaft angreifen? Und gelingt es, Korruption und Machtmissbrauch rechtzeitig - bevor sie das Vertrauen in die Politik endgültig vergiften - zu bekämpfen?
Menschen wollen keine Politiker, die herumstehen
Ich höre dann immer wieder, dass die Grünen ohnehin für vieles davon stehen. Aber die Menschen wollen keine Politiker, die herumstehen. Sie wollen Politiker, die etwas tun. Gestern haben wir unsere neue Liste öffentlich vorgestellt. Damit ist es Zeit für den letzten Schritt: Ich lege meine Mitgliedschaft bei den Wiener Grünen zurück.
Auf Wiedersehen, hoffentlich im Parlament
Peter Pilz
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