Das "Wythe"-Hotel (und besonders seine Dachterrassen-Bar) ist das Mekka der jungen Bobo-Szene in Williamsburg/Brooklyn. Wer dort über 30 ist, der hat Erklärungsbedarf. Ähnlicher Trubel spielt sich auf dem Rooftop des schicken "Sixty LES" in der Lower East Side/Manhattan ab. Krawattenverbot allerorts. Dorthin in die hippe Welt verirrt sich kein Staatsmann von jener Sorte, die Außenminister Sebastian Kurz auf dem hohen diplomatischen UNO-Parkett trifft. Der Politiker neuen Typs und neuer Generation hat ganz einfach ein anderes Weltbild: jenes des 21. Jahrhunderts. Das ist erfrischend, attraktiv und war längst überfällig.
Doch ja nicht täuschen lassen! Dieser Mann ist enorm ehrgeizig, was normalerweise nicht unbedingt die sympathischste Tugend ist, und er ist knallhart zielstrebig. Beides ist allerdings für einen Erfolg die unbedingte Voraussetzung. Heute kann über ihn keiner mehr "Studienabbrecher" ätzen. Der Tüchtige muss aber auch Glück haben. (König Friedrich II. von Preußen verlangte von einem geeigneten Offizier nicht nur Können, sondern auch "Fortüne".)
Kurz war zu seinem Minister-Einstand die Gastgeberrolle zweier Großkonferenzen in den Schoß gefallen, die er zum Erstaunen der internationalen Prominenz glänzend meisterte und die ihn auf Anhieb populär machte. Das wäre nicht so ohne Weiteres gelungen, hätte Kurz nicht auch Mut (zum Risiko). Sein Clash mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, fast ein Bodycheck, wurde Kult.
Sympathieträger mit Eloquenz und Schlagfertigkeit
Steigen ihm die Erfolge schon zu Kopf? Vielleicht ein leiser Anflug davon. Aber Langstreckenflüge in der Economyklasse mit Knoblauch in the air bringen rasch auf den Boden des normalen Lebens zurück. Und Kurz sucht nach Höhenflügen immer wieder rasch die Bodenhaftung. Seine besonders verbindliche Art hat auch etwas von Attitüde. Als Sympathieträger ist er kaum zu schlagen.
Eloquenz und Schlagfertigkeit verstärken das professionelle und öffentliche Durchsetzungsvermögen. Und natürlich die Medien! Kurz regiert wie vorher nur Bruno Kreisky per Medien. Er hat sie in der Tasche. Ein Wochenende ohne ein Kurz-Interview ist wie eine Heiße ohne Senf.
Apropos Kreisky: Kurz ist das, was man im Englischen ein "Political Animal" nennt. Dieser Mann hat die Politik im Blut, und dieser Instinkt lässt ihn Entwicklungen früher erkennen als andere. So hatte er vor den Folgen des Migrationsschubs (Arbeitslosenrate, Sexualdelikte) gewarnt, als es noch niemand hören wollte. Gefolgt von der Forderung nach Schließung der Balkanroute, als von Angela Merkel über Werner Faymann bis Jean-Claude Juncker noch grenzenlose Willkommenskultur gepredigt worden war.
Video: Kurz und Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel
Populismus? Na ja, wie man's nimmt. Bodenständiger Realismus wäre die bessere Bezeichnung. Kurz hat die Ohren, um ins Volk hineinhorchen zu können. Und er weiß daher, wie eine Mehrheit zu holen ist.
Braucht keine guten Managerqualitäten
Das Verwalten des Amts überlässt Kurz seinen Beamten. Dazu sind Beamte auch da. Ein Kurz versinkt nicht in Aktenbergen, sondern hält sich den Kopf frei für strategisches Denken. (Das ist ja der große Fehler der "Politik uralt": Politiker sind nicht zum Verwalten da, sondern zum Führen.)
Dazu braucht es aber gute Managerqualitäten, Aufgaben zu delegieren. Das Führen an der langen Leine. Kurz kann auf ein eingeschworenes Team um ihn herum zählen, das er sich ausgesucht hat. Nicht zufällig heißt es: Jeder Minister ist so gut wie seine Mitarbeiter um ihn.
Der ÖVP-Politiker Kurz ist, seiner Generation entsprechend, gesellschaftspolitisch liberal, aber ordnungspolitisch und wirtschaftlich deutlich konservativ. Er drängt darauf, den Sozialstaat, der die Punktgenauigkeit verloren hat, neu zu denken. Jungunternehmern und Start-up-Abenteurern gilt seine besondere Aufmerksamkeit.
Fehler? Bei den vorwärtsstürmenden Interviews am Fließband wird so manches Hoppala produziert. Niemand ist aber so geschickt wie Kurz, in einem Wörterschwall darüber hinweg zu parlieren, als wäre nichts gewesen.
Merke, politischer Gegner: Sebastian Kurz zu jagen gleicht dem Wettlauf zwischen Hase und Igel. Der Igel lacht sich eins.
Kurt Seinitz, Kronen Zeitung
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